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Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan auf dem G20-Gipfel

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Der lange Arm Erdogans

Unter Deutsch-Türken geht die Angst um. Denn der Arm Erdogans reicht weit. Das zeigt nicht nur die Festnahme des deutschen Schriftstellers Akhanli in Spanien. Erdogan hat auch in Deutschland Netzwerke. Von Kemal Hür

Über dieses Thema berichtet: Der Funkstreifzug am .

Eine türkische Teestube in Berlin-Kreuzberg. Männer sitzen unter Neonlampen und spielen Karten. Im Fernsehen laufen türkische Nachrichten. Von draußen ist zu hören, dass sie über Politik diskutieren. Doch als sie das Mikrofon des Reporters sehen, schweigen sie. Sie wollen mit uns nicht sprechen. Einer der Männer sagt, woher sollen wir wissen, dass Sie wirklich ein Journalist sind und kein Agent?

Kritik an Erdogan nur hinter vorgehaltener Hand

Seit dem gescheiterten Putschversuch im Sommer 2016 und dem darauf folgenden rigorosen Durchgreifen Erdogans gegen jegliche Opposition trauen sich viele Gegner und Kritiker des türkischen Präsidenten nicht mehr, offen und öffentlich ihre Meinung zu sagen. Ein falsches Wort über Erdogan könne einen ins Gefängnis bringen, sagen sie. Die Tatsache, dass es auch unter den Deutsch-Türken viele Anhänger Erdogans gibt, stößt hier auf Unverständnis.

"Sie leben in Deutschland, profitieren von der Freiheit hier und vergöttern Erdogan. Dann geht doch zu ihm!" Erdogan-Kritiker in Berlin, der anonym bleiben möchte

Anfeindungen und Drohungen

Seit dem Putschversuch sind in der Türkei zehntausende Menschen entlassen und inhaftiert worden. Erdogan lässt seine Kritiker auch im Ausland verfolgen. Seine Anhänger denunzieren unliebsame Gegner und drohen ihnen im gesamten Bundesgebiet.

Der in Hamburg lebende Vorsitzende der Kurdischen Gemeinde, Ali Ertan Toprak, ist in den türkischen Medien und in sozialen Netzwerken permanenten Anfeindungen ausgesetzt.

"Hier schreibt mir einer, er möchte mir mein Nasenbein brechen und würde mich gerne mit seinen Jugendlichen zusammenschlagen und auseinandernehmen. Das sind noch die harmlosen; es gibt schlimmere." Ali Ertan Toprak, Vorsitzender der Kurdischen Gemeinde

Levent Bayram, ein bekennender Gülen-Anhänger in Berlin, macht seit dem Putschversuch keinen Urlaub mehr in der Türkei. Die Türkei macht die Gülen-Bewegung für den Putschversuch verantwortlich und stuft sie als Terrororganisation ein. Bayram hat eine Vielzahl von Beschimpfungen und Drohungen erhalten und hat nun Angst.

Türkischer Geheimdienst spioniert in Deutschland

Das Klima der Angst wird verstärkt durch Aktivitäten des türkischen Geheimdienstes, MIT, die den deutschen Behörden bekannt sind. Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius von der SPD bestätigt:

"Wir wissen davon. Bundesweit 300 Personen und 200 Organisationen, die offenkundig ausgeforscht werden vom türkischen Geheimdienst MIT. Und wenn die türkische Regierung meint, diese Menschen hier ausforschen zu müssen, tut sie das aus rein staatspolitischen Gründen und offenbar in der Absicht, politische Gegner mundtot zu machen. Das können wir nicht verhindern. Aber wir sollten alles daran setzen, die Menschen hier zu schützen." Boris Pistorius, niedersächsischer Innenminister, SPD

Doch das gelingt nicht immer. Bereits mehrere deutsche Staatsbürger sitzen in der Türkei in Haft. Der türkeistämmige Schriftsteller Dogan Akhanli wurde von deutschen Behörden nicht gewarnt, dass bei Interpol ein türkisches Dringlichkeitsgesuch gegen ihn vorlag. Akhanli wurde am 19. August während seines Spanienurlaubs festgenommen und darf das Land nicht verlassen, bis die spanische Justiz über den türkischen Auslieferungsantrag entscheidet.

Erdogan mischt im deutschen Wahlkampf mit

Kritiker zum Schweigen bringen, die Anhänger sammeln – für Erdogan geht es nach dem knapp gewonnenen Referendum um den Rückhalt für die Umwandlung des Landes zum Präsidialsystem. 2019 sind Parlaments- und Präsidentschaftswahlen – dafür braucht Erdogan eine breite Mehrheit. Seine Strategie ist offenbar, ausländische Feinbilder aufzubauen. Dafür eignet sich Deutschland besonders gut, weil es die treibende Kraft in der EU ist und hier viele türkeistämmige Menschen leben. So schreckt Erdogan auch nicht davor zurück, sich in den Bundestagswahlkampf direkt einzumischen.

"Ich appelliere an euch: Macht bloß keinen Fehler und unterstützt die CDU, SPD oder die Grünen. Sie sind alle Feinde der Türkei. Unterstützt diejenigen Parteien, die nicht türkeifeindlich sind." Aufruf des türkischen Präsidenten Erdogan

Erdogan spricht zwar keine Wahlempfehlung aus, aber seine Anhänger wissen, was er meint. Zur Bundestagswahl tritt in Nordrhein-Westfalen eine Partei an, die von seinen Anhängern gegründet wurde: Allianz Deutscher Demokraten, ADD. Diese Splitterpartei wird offen von einer Organisation unterstützt, die Erdogan in Deutschland als Lobbyverein für seine AKP gegründet hat: UETD, Union Europäisch-Türkischer Demokraten. Die ADD hat bei der letzten Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen nur eine unbeachtliche Zahl an Stimmen erhalten. Sie dürfte - trotz der Unterstützung von Erdogan - auch bei der Bundestagswahl keine Rolle spielen, sagen Wahlforscher. Doch Erdogans Appelle und Attacken Richtung Deutschland sorgen hierzulande für eine Spaltung der türkischstämmigen Gemeinde und für Verärgerung.

"Wir werden uns von niemandem, auch nicht von Präsident Erdogan, da hineinreden lassen, dass unsere deutschen Staatsbürger, egal welcher Abstammung sie sind, auch die türkischstämmigen deutschen Staatsbürger, ein freies Wahlrecht haben."Angela Merkel, Bundeskanzlerin

Dagdelen: Netzwerk aus Spitzeln und Rockern

Die Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen von der Linken ist eine große Kritikerin des türkischen Präsidenten Erdogan. Sie hat im Bundestag mehrere Kleine Anfragen laufen, in denen sie die Verbindungen der UETD, des Moscheeverbandes DITIB und des Rockerclubs Osmanen Germania zur türkischen Regierung und zum türkischen Geheimdienst MIT untersuchen lässt. Sie warnt von einem Erdogan-Netzwerk in Deutschland.

"Das kriegen viele Bürgerinnen und Bürger mit, was in diesem Land passiert. Sie sind verunsichert. Sie fühlen sich nicht einverstanden mit diesem langen Arm von Erdogan in Deutschland durch seine Lobby-Organisationen wie die UETD, von kriminellen, gewaltbereiten rockerähnlichen Gruppierungen, die hier in Deutschland agieren, oder den von Erdogan gesteuertem Moscheeverband DITIB, der mit seinen Spitzel-Imamen in Deutschland weiter von der Bundesregierung hofiert und mit Steuervergünstigung unterstützt wird." Sevim Dagdelen, Bundestagsabgeordnete der Linken