In der Affäre um zu Unrecht bewilligte Asylanträge erwägt die SPD einen Untersuchungsausschuss und erhöht damit den Druck auf Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU). "Horst Seehofer muss glaubwürdig aufklären, wann er von welchen Vorgängen Kenntnis erlangt hat", sagte SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland angesichts der Vorgänge im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF).
"Wenn Herr Seehofer die Aufklärung so gar nicht voranbringt, kann man die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses als ultima ratio nicht mehr ausschließen." Thorsten Schäfer-Gümbel, stellvertretender Bundesvorsitzender der SPD
Grüne wollen Umbau des BAMF
Die Grünen verlangen angesichts der Affäre einen Umbau der Behörde. "Was sich auf jeden Fall abzeichnet, ist, dass wir eine lückenlose Qualität bei der Schulung der Mitarbeiter brauchen", sagte die flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Luise Amtsberg, der ARD. "Aber natürlich brauchen wir auch mehr Kontrollmechanismen, also das Vier-Augen-Prinzip."
Linke: Seehofer muss im eigenen Ministerium aufklären
Die innenpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, Ulla Jelpke, fordert von Bundesinnenminister Seehofer auch im eigenen Ministerium nach Fehlern zu suchen. Im Interview mit dem Bayerischen Rundfunk sagte Jelpke:
"Es wäre ja völlig falsch so zu tun, als würden wir die Probleme nicht schon seit langer Zeit kennen. Es ist jetzt seine Aufgabe, auch im Innenministerium aufzuräumen." Ulla Jelpke, Innenpolitische Sprecherin der Linken
Jelpke geht davon aus, dass auch in anderen Teilen des BAMF "schlampig gearbeitet" worden sei. Sie würde es begrüßen, wenn nach Horst Seehofer und Jutta Cordt auch der ehemalige Innenminister de Maizière und der ehemalige BAMF-Chef Weise vom Innenausschuss angehört würden.
Ex-BAMF-Chef Weise verteidigt Behörde
Der ehemalige Chef des BAMF, Frank-Jürgen Weise, hat derweil eine "Überforderung" der Behörde eingeräumt. Diese sei durch die große Zahl an Flüchtlingen in sehr kurzer Zeit verursacht worden "und ein BAMF, das darauf in keiner Weise eingestellt war", erklärte Weise auf Anfrage der "Welt". Doch zugleich verteidigte Weise die Beschleunigung bei der Bearbeitung der Asylanträge.
Wäre die Schlagzahl der Behörde nicht erhöht worden, "würden sich noch immer hunderttausende Anträge im BAMF stapeln", erklärte Weise. Für die Beschleunigung seien allerdings Fehler in Kauf genommen worden. "Dass es durch viele neue Mitarbeitende auch zu Fehlern kommen kann, war klar, aber im Rahmen der Risikoabwägung das kleinere Übel", erklärte Weise. Er war von September 2015 bis Ende 2016 Chef des BAMF, am 1. Januar 2017 übernahm Jutta Cordt.
Personalrat: Beschäftigte nicht unter Generalverdacht stellen
An die jetzige Chefin der Nürnberger Behörde, Jutta Cordt, hatte sich am Montag auch der Gesamtpersonalrat des BAMF in einem offenen Brief gewandt. Darin wehren sich die Personalvertreter dagegen, dass die Beschäftigten unter den Generalverdacht gestellt würden, "inkompetent und willkürlich zu handeln". Es müssten die Verantwortlichen auf Führungsebene zur Rechenschaft gezogen werden – unabhängig von ihrer Funktion, heißt es wörtlich: "Wir fordern Sie auf, alle sogenannte Führungskräfte zur Rechenschaft zu ziehen, die ein rechtsstaatliches Asylverfahren mittels entsprechender Vorgaben von Anhörungen und Bescheiden verhindert haben."
"Erledigungen" vor Qualität
Dabei gehe es nicht nur um den Skandal der Bremer BAMF-Außenstelle. Bis heute würden unter Zeitdruck und Androhung dienstlicher Sanktionen Asylverfahren durchgeführt. Und dies geschehe, seit Cordts Vorgänger Frank-Jürgen Weise im Jahr 2015 Präsident der Asylbehörde wurde. Bis heute werde den "Erledigungen" absoluter Vorrang eingeräumt und die Qualität diesem Ziel vollständig untergeordnet, schreibt der Gesamtpersonalrat. Dieser appelliert in dem dreiseitigen Schreiben an die BAMF-Präsidentin, das dem BR vorliegt, einen Neuanfang mit den Beschäftigten zu gewährleisten.
Seehofer und Cordt am Nachmittag vor Innenausschuss
Im April war bekannt geworden, dass die Bremer BAMF-Außenstelle zwischen 2013 und 2016 in mindestens 1.200 Fällen Asylanträge zu Unrecht bewilligt haben soll. Inzwischen hat Seehofer angekündigt, die Angelegenheit werde "ohne Rücksicht auf Institutionen und Personen" aufgeklärt. Er will zudem bundesweit stichprobenartig Asylbescheide überprüfen lassen. Es gibt Überlegungen, wegen der Affäre einen Untersuchungsausschuss im Bundestag einzurichten. Seehofer und die Präsidentin des Asyl-Bundesamts, Jutta Cordt, sollen im Tagesverlauf vor dem Innenausschuss des Bundestags Rede und Antwort stehen. Die Parlamentarier verlangen insbesondere Aufklärung darüber, wem wann konkrete Informationen zu den Missständen vorlagen und wie darauf reagiert worden ist.