Bundesaußenministerin Baerbock und der Außenminister der Ukraine, Dmytro Kuleba, besuchen eine zerstörte Heizkesselanlage in Charkiw.
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Bundesaußenministerin Baerbock und der Außenminister der Ukraine, Dmytro Kuleba, besuchen eine zerstörte Heizkesselanlage in Charkiw.

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"Unendliches Leid": Baerbock besucht ostukrainische Stadt

Charkiw war eines der ersten Ziele des russischen Angriffskriegs - nun hat die Bundesaußenministerin die von Zerstörung gezeichnete Millionenstadt besucht. Baerbock brachte ein neues Hilfspaket mit und versprach der Ukraine weitere Waffenlieferungen.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im BR Fernsehen am .

Bei einem zunächst geheim gehaltenen Besuch in Charkiw hat Außenministerin Annalena Baerbock der Ukraine weitere Waffenhilfe zugesagt. Die Ukraine benötige dies, "um ihre Mitbürgerinnen und Mitbürger zu befreien, die noch unter dem Terror russischer Besatzung leiden", sagte die Grünen-Politikerin am Dienstag in der ostukrainischen Millionenstadt. Derzeit sind ukrainische Truppen vor allem durch schwere russische Angriffe im östlichen Gebiet Donezk unter Druck.

Baerbock besuchte die Ukraine nur wenige Tage nach der Entscheidung der Bundesregierung zur Abgabe deutscher Schützenpanzer vom Typ Marder an das von Russland attackierte Land. Nun gibt es Forderungen, auch den Kampfpanzer Leopard 2 zu liefern. Dafür signalisierte am Dienstag EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen Unterstützung.

Baerbock: Charkiw als "Sinnbild für den absoluten Irrsinn"

Baerbock brachte bei ihrem Besuch in Charkiw ein "weiteres Hilfspaket" mit, wie sie sagte. Enthalten seien 20 Millionen Euro für die Minenräumung und weitere 20 Millionen Euro für Bodenstationen des Satelliten-Netzwerks Starlink, das die Ukraine mit Internet versorgt. Zudem kündigte Baerbock weitere Generatoren für die ukrainische Energie-Infrastruktur an.

Die Ministerin erklärte, die Menschen in der Ukraine sollten "wissen, dass sie sich auf unsere Solidarität und unsere Unterstützung verlassen können". Sie betonte zudem die EU-Perspektive für Kiew. Ihr sei wichtig, "dass wir auch in diesem Kriegswinter den Platz der Ukraine in unserer europäischen Familie nicht aus dem Blick verlieren". Die Ukrainerinnen und Ukrainer sähen "ihre Zukunft in Europa, in der EU", sagte Baerbock.

Charkiw sei "Sinnbild für den absoluten Irrsinn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine und für das unendliche Leid, mit dem die Menschen, ganz besonders hier im Osten des Landes, jeden Tag konfrontiert sind", sagte Baerbock. "Heute sieht man praktisch an jeder Straßenecke tiefe Spuren der russischen Zerstörungswut." Charkiw spiegele die Schrecken des Krieges wider, "aber auch den ganzen Mut, die Widerstandsfähigkeit und damit die Hoffnung auf ein Leben in Frieden".

Kuleba wirbt um Leopard-Panzer

Baerbock wurde in Charkiw vom ukrainischen Außenminister Dmytro Kuleba und dem ukrainischen Botschafter in Deutschland, Oleksii Makeiev, begleitet. Kuleba sagte, er habe keinen Zweifel daran, dass die Ukraine auch deutsche Kampfpanzer vom Typ Leopard erhalten werde. Die Panzer würden gebraucht, um weitere Gebiete von russischer Besatzung zu befreien. "Die Bundesregierung weiß im tiefsten Inneren, dass diese Notwendigkeit besteht." Je länger sich diese Entscheidung aber hinziehe, desto mehr Opfer werde es auch in der Zivilbevölkerung geben, warnte Kuleba. Insgesamt wolle er aber der Bundesregierung für die bereits geleistete Unterstützung danken.

Baerbock ist als erstes deutsches Kabinettsmitglied seit Beginn des russischen Angriffskriegs in die Ostukraine gereist. Die nur gut 20 Kilometer von der Grenze zu Russland entfernte Millionenstadt war auch in jüngster Zeit russischen Angriffen ausgesetzt. Baerbocks Besuch fand unter strengen Sicherheitsvorkehrungen statt. Die Ministerin und ihre Delegation reisten mit dem Zug an. Die Visite dauerte nur wenige Stunden. Am späten Dienstagnachmittag traten sie bereits wieder die Rückreise nach Deutschland an.

Nur wenige Stunden nach dem Besuch wurde Charkiw nach Angaben des Regionalgouverneurs bombardiert. Im Onlinedienst Telegram forderte Gouverneur Oleg Synegubow die Bewohner dazu auf, in den Schutzräumen zu bleiben.

Karte: Die militärische Lage in der Ukraine

Ukrainische Truppen bei Bachmut unter Druck

Weiter südlich, nahe der umkämpften Stadt Bachmut, geraten die ukrainischen Truppen offenbar zunehmend unter Druck. Laut ukrainischen Angaben hat das russische Militär seine Angriffe zuletzt intensiviert. Alles sei vollständig zerstört, es gebe "fast kein Leben mehr", sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj mit Blick auf Bachmut und die nahe gelegene Stadt Soledar. Das gesamte Gebiet bei Soledar sei von "den Leichen der Besatzer und Narben der Angriffe bedeckt", sagte Selenskyj am Montagabend. "So sieht Wahnsinn aus."

Vizeverteidigungsministerin Hanna Maljar sagte, Russland habe eine große Zahl von Sturmgruppen in den Kampf geworfen. Der Feind rücke buchstäblich auf den Leichen seiner eigenen Soldaten vor, setze massiv Artillerie, Raketenwerfer und Mörser ein und treffe dabei seine eigenen Soldaten.

Wagner-Gruppe bei Vormarsch auf Soledar dabei

Das britische Verteidigungsministerium twitterte am Montag, russische Truppen seien in den vergangenen Tagen gemeinsam mit Söldnern der privaten Wagner-Gruppe in Soledar vorgerückt und kontrollierten wahrscheinlich einen Großteil des Orts. Die Einnahme der zehn Kilometer nördlich von Bachmut gelegenen Kleinstadt sei vermutlich das unmittelbare Ziel des russischen Militärs und Teil einer Strategie, Bachmut zu umzingeln. Die ukrainischen Truppen hielten aber stabile Verteidigungslinien und hätten die Kontrolle über Nachschubrouten.

Eine russische Einnahme von Bachmut würde die ukrainischen Nachschubrouten kappen und einen russischen Vormarsch auf Kramatorsk und Slowjansk erleichtern, wichtigen ukrainischen Festungen in der Region Donezk. Die Gefechte sind Teil des Kampfs um die Kontrolle über den Osten der Ukraine.

Von der Leyen für weitere Waffenlieferungen an Ukraine

In Brüssel unterstützte EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen die Linie von Ländern, die Leopard-2-Lieferungen erwägen: "Ich denke, die Ukraine sollte die militärische Ausrüstung bekommen, die sie braucht und benutzen kann, um ihre Heimat zu verteidigen", sagte sie. Dies umfasse moderne Flugabwehrsysteme und andere moderne militärische Ausrüstung.

Länder wie Spanien oder Polen könnten ihre Exemplare des Panzers aber nicht ohne Genehmigung des Herstellerlandes Deutschland an die Ukraine abgeben. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg kündigte Gespräche auf dem US-Militärstützpunkt Ramstein über weitere Waffen, Munition und Ersatzteile für die Ukraine an. Nach US-Angaben soll das Treffen am 20. Januar stattfinden.

Vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs und der Machtpolitik Chinas vereinbarten die Nato und die EU in einer Erklärung eine engere Zusammenarbeit, vor allem zum Schutz kritischer Infrastruktur wie Energie- und Wasserversorgung. Von der Leyen kündigte auch neue Sanktionen gegen Belarus an, das Russland im Ukraine-Krieg unterstützt.

  • Zum Artikel: "Deutsche Panzer für die Ukraine - Lob und weitere Forderungen"

Mit Informationen von dpa und Reuters

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