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Gespräche gegen das Vergessen

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Aufarbeitung von Naziverbrechen: Gespräche gegen das Vergessen

Warum wurden so viele Nazi-Verbrecher nicht bestraft? Was hat dieses Thema mit uns heute zu tun? Antworten auf diese und weitere Fragen suchte das 'Gespräch gegen das Vergessen' veranstaltet vom Bayerischen Rundfunk und dem Münchner Volkstheater.

Der Münchner Kabarettist Christian Springer engagiert sich seit Jahrzehnten gegen das Vergessen. Schon als Student reiste er nach Syrien, heftete sich an die Spur des SS-Hauptsturmführers und NS-Massenmörders Alois Brunner. Als einer der wichtigsten Mitarbeiter von Adolf Eichmann beteiligte er sich maßgeblich an der Vernichtung der europäischen Juden.

Fluchtpunkt Damaskus

Nach dem Krieg tauchte Brunner in Syrien unter und lebte jahrzehntelang in Damaskus, geschützt von der syrischen Regierung, aber auch, mutmaßt Springer, von bundesdeutschen Behörden.

Christian Springer, Kabarettist

"Wir unterhalten uns hier über einen Massenmörder brutalster Art, eiskalt, der sich in Syrien versteckt hat, der vom syrischen Staat gedeckt wurde, der wahrscheinlich von BND-Mitgliedern, auch als er schon sehr alt war, noch umsorgt worden ist, und wo man 800 Meter entfernt von der deutschen Botschaft komplett seine Lebensumstände gekannt hat. Aber man wollte nicht, dass irgendetwas herauskommt, weil er womöglich auf der Gehaltsliste des Bundesnachrichtendienstes stand." Christian Springer, Kabarettist

Springer ist wegen seiner akribischen Recherchen ein wichtiger Zeitzeuge. Er hat das Verstecken, Vertuschen und Desinformieren aus erster Hand erlebt. Sogar das Bundeskriminalamt (BKA) nimmt Kontakt zu ihm auf. Zunächst glaubt Springer, es gebe ein echtes Interesse der Behörde, das Versteck Alois Brunners zu finden und seine Auslieferung nach Deutschland zu betreiben. Doch irgendwann begreift er, dass es dem BKA offensichtlich nur darum ging, Informationen zu erhalten. Mit dem Ziel, den Altnazi Brunner besser zu schützen?

Zeitzeugen im Volkstheater

Gemeinsam mit Springer sitzen auf der Bühne im Münchner Volkstheater weitere Zeitzeugen: die jüdische Auschwitz-Überlebende Esther Bejarano, 93, und Dietrich Kuhlbrodt: Der frühere Oberstaatsanwalt aus Hamburg, heute 85 Jahre alt, erinnert an einen ganz dunklen Fleck bundesdeutscher Geschichte: an Nazi-Verbrecher, die in Westdeutschland Karriere machten und strafrechtlich nicht verfolgt wurden. Mitte der 60er Jahre wurde Kuhlbrodt als junger Staatsanwalt nach Ludwigsburg entsandt. Dort befand sich die Zentralstelle zur Aufklärung von Naziverbrechen.

Die Arbeit der Ermittler wird behindert

Kuhlbrodts Aufgabe. Zwar soll er Großverfahren gegen Nazi-Verbrecher vorbereiten, doch Anklageschriften darf er nicht verfassen. Die insgesamt nur sieben Staatsanwälte sollen sich durch zehntausende Aktenseiten lesen. Doch bereits nach einem Jahr ist ihre Zeit abgelaufen. Neue Staatsanwälte übernehmen ihre Arbeit, müssen wieder von vorne anfangen. Eine Zentralstelle, die absichtlich falsch organisiert ist, glaubt Kuhlbrodt:

"Wir waren alle der Auffassung, weil wir das als skandalös empfanden, dass das eigentlich nur eine Augenwischerei war, damit der Bundeskanzler sagen konnte: Ja, das ist für diese jüdischen Organisationen: wir arbeiten das auf, wir haben eine eigene Einrichtung dafür, aber der Misserfolg war garantiert, weil es so nicht funktionierte." Dietrich Kuhlbrodt, ehemaliger Oberstaatsanwalt

Kabarettist Christian Springer stellt im Gespräch gegen das Vergessen den Bezug zur Gegenwart her: Nach dem Terroranschlag des Islamisten Anis Amri auf den Berliner Weihnachtsmarkt werden 40 verschiedene Behörden befragt. Hätten sie im Vorfeld miteinander kommuniziert, wäre der Anschlag so nicht passiert. Davon ist Springer überzeugt.

"Es ist ein Komplettversagen und ein Armutszeugnis, man kann sich nur vor den Opfern verbeugen und entschuldigen, aber es ist eine unfassbare Schande." Christian Springer, Kabarettist

Die heute vom BR im Münchner Volkstheater aufgezeichnete Sendung wird am Mittwoch, 11. April 2018 um 21:00 bis 22:15 auf ARD-alpha ausgestrahlt.