Friedhof von Krusha e Madhe, 15 Kilometer nordwestlich von Prizren. Serbischen Polizeieinheiten und Paramilitärs überfielen das Dorf.
Bildrechte: BR / Clemens Verenkotte

Friedhof von Krusha e Madhe, 15 Kilometer nordwestlich von Prizren. Serbischen Polizeieinheiten und Paramilitärs überfielen das Dorf.

Per Mail sharen
Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

20 Jahre danach: Der Tag, an dem die NATO eingriff

Für die Kosovo-Albaner war es der Tag der Rettung, für die Serben der Tag des Niedergangs: Am Abend des 24. März 1999 griffen NATO-Verbände in den Kosovo-Krieg ein und flogen bis zum 10. Juni Tausende von Einsätzen.

Am 24. Marz 1999 griffen die NATO-Streitkräfte ohne ein Mandat des UN-Sicherheitsrates in die Auseinandersetzung zwischen der nach Unabhängigkeit strebenden Befreiungsarmee des Kosovo, UÇK, und der serbisch-jugoslawischen Armee ein. Bis zum 10. Juni flogen NATO-Flugzeuge Tausende von Einsätzen im Kosovo und Serbien. Die NATO-Staaten begründeten Ihr Engagement damit, eine humanitäre Katastrophe im Kosovo verhindern zu wollen.

Heute, 20 Jahre nach dem NATO-Eingreifen zugunsten der kosovarischen UCK-Verbände, sind die Folgen in Serbien und im Kosovo noch deutlich zu spüren.

Unterschiedliche Sichtweisen

"Ohne die NATO gäbe es hier keine Albaner mehr“, sagt uns ein ehemaliger UCK-Kommandeur.

"Das war ein Verstoß gegen das Völkerrecht", meint der damalige jugoslawische Außenminister Zivadin Jovanovic gegenüber dem ARD-Studio Wien.

Bildrechte: BR / Videostandbild / Besnik Hamiti
Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

Fahrije Hoti aus Krusha e Madhe, Kosovo.

Der Ehemann von Fahrije Hoti aus Krusha e Madhe, Kosovo wurde, zusammen mit den männlichen Bewohnern ihres Dorfes, nach dem Überfall serbischer Polizei und Paramilitärs 1999 getötet.

Nach ihrer Rückkehr aus Albanien gründete sie eine Bäuerinnen-Kooperative, damit sie und die Frauen des Ortes vom Verkauf landwirtschaftlicher Produkte überleben können. Heute ernährt ihre Initative rund 200 Familien in der Region. Ihre Produkte werden zu 70 Prozent exportiert, nach Deutschland, Italien und in die Schweiz.

Bildrechte: BR / Videostandbild / Dejan Stefanovic
Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

Oberst a. D. Zoltan Dani.

Oberst a. D. Zoltan Dani vor dem Foto seiner damaligen Einheit, die am 27.03.1999 den US-Tarnkappenbomber ca. 50 Kilometer westlich von Belgrad abgeschossen hat.

Bildrechte: BR / Clemens Verenkotte
Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

Die Mannschaft des 3. Bataillons der serbischen Raketen-Brigade

Nach dem Abschuss des US-Tarnkappenbombers am 27.03.1999: Die Mannschaft des 3. Bataillons der serbischen Raketen-Brigade 250. Oberst a. D. Zoltan Dani, obere Reihe, Mitte.

Bildrechte: BR / Clemens Verenkotte
Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

Ein Teilstück des abgeschossenen US-Tarnkappenbomber

Oberst a. D. Zoltan Dani erhielt ein Teilstück des abgeschossenen US-Tarnkappenbombers. Die übrigen Überreste des Stealth Bombers vom Typ F 117A befinden sich im Luftfahrtmuseum Belgrad.

NATO-Einsatz „Operation Allied Force"

Vom 24. März bis 10. Juni 1999 dauerte der NATO-Einsatz „Operation Allied Force“ gegen die damalige Bundesrepublik Jugoslawien an, mit dem die untereinander über Ausmaß und Ziele der Militäroperation zerstrittenen Mitgliedsländer der Allianz die gewaltsame Vertreibung und Tötung von Kosovaren durch jugoslawische und serbische Armee-, Polizei- und paramilitärische Einheiten beenden wollten. Während der ausschließlich aus der Luft geführten NATO-Operation auf Ziele im gesamten Gebiet der damaligen Bundesrepublik Jugoslawien setzte die Allianz rund 28.000 Sprengkörper ein.

NATO habe in Serbien, eine humanitäre Katastrophe ausgelöst

Die Allianz hätte gemäß ihrer Statuten nur dann eingreifen dürfen, wenn ein Mitgliedsland angegriffen worden wäre. Und das sei ja nicht der Fall gewesen. Das westliche Bündnis habe den Einsatz damit begründet, eine humanitäre Katastrophe im Kosovo verhindern zu wollen. Doch gleichzeitig habe die NATO hier, in Serbien, eine humanitäre Katastrophe ausgelöst. Rund 200.000 Serben flüchteten als Folge der anhaltenden Übergriffe der Kosovarischen Befreiungsarmee UCK, sowie nach Ende des NATO-Einsatzes und des ab dem 10. Juni 1999 vereinbarten Rückzugs der jugoslawischen und serbischen Armee- und Polizeiverbände aus dem Kosovo.

Tiefverwurzelte Dankbarkeit der Kosovo-Albaner

Die tiefverwurzelte Dankbarkeit der Kosovo-Albaner, gleich welchen Lebensalters oder Herkunft, gegenüber der NATO und vor allem den USA basiert auf dem kollektiven Erlebnis, dass sie ohne das militärische Eingreifen der westlichen Allianz aus dem Kosovo endgültig vertrieben worden wären. Die Menschenrechtsorganisation „Human Rights Watch“ in ihrer Dokumentation „Under Orders – War Crimes in Kosovo“ schreibt: „Niemand sah das Tempo und Ausmaß der Vertreibungen voraus. In den ersten drei Wochen nach Beginn der NATO-Bombardierungen strömten 525.000 Flüchtlinge aus dem Kosovo in die Nachbarländer. Insgesamt vertrieben (jugoslawische und serbische) Regierungs-Einheiten 862.000 Albaner aus dem Kosovo. Mehr als 80 Prozent der gesamten Bevölkerung des Kosovo – von denen 90 Prozent Kosovo-Albaner waren – waren aus ihren Häusern vertrieben worden.“

Der heute 82-jährige Ex-Außenminister Zivadin Jovanovic – während und nach dem Kosovo-Krieg Belgrads Chefdiplomat ist davon überzeugt, dass Washington nach dem Daytoner Abkommen zur Beendigung des Kriegs in Bosnien-Herzegowina 1995 das strategische Ziel verfolgt habe, Serbien geopolitisch auf dem Balkan zu schwächen, Montenegro und Kosovo von der damaligen Bundesrepublik Jugoslawien abzutrennen und Milosevic abzusetzen. Die damaligen US-Akteure, wie Chefunterhändler Richard Holbrooke, Außenministerin Madelaine Albright und Präsident Clinton sind ihm noch so vertraut wie vor 20 Jahren. 1998 habe sich die US-Regierung entschieden, die kosovarische Befreiungsarmee UCK, die bis dahin als Terrororganisation gegolten habe, anzuerkennen und mit deren Hilfe Serbien auf Dauer zu schwächen.

Bildrechte: BR / Dejan Stefanovic
Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

Zivadin Jovanovic, von 1998 bis 2000 Außenminister der früheren Bundesrepublik Jugoslawien.

"Im Mai 1998 hatten Richard Holbrooke, Madelaine Albright und Präsident Clinton entschieden, Milosevic zu stürzen und sie betrachteten die UCK als einen hilfreichen Faktor bei dieser Operation. Ab diesem Zeitpunkt war es egal, was ich oder irgendjemand sonst in der Welt über die UCK dachte, ob es eine Terror- oder Befreiungsorganisation war. Das wurde total gleichgültig. Es wurde ein Instrument, um Milosevic zu stürzen." Zivadin Jovanovic, Ex-Außenminister Jugoslawien