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Pflegerinnen bei der Arbeit

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Wie macht man Jobs in der Pflege attraktiver?

Wie macht man Jobs in der Pflege attraktiver?

Wenn im Krankenhaus Pflegekräfte fehlen, leiden die Patienten. Experten warnen: Wenn sich am System nichts ändert, wird aus dem Pflegenotstand bald die Pflegekatastrophe. Was muss sich ändern, damit der Beruf wieder attraktiver wird? Von F. Heinhold

Über dieses Thema berichtet: Gesundheit! am .

14 Uhr. Die Spätschicht beginnt für Pflegerin Julia Jungbauer am Klinikum rechts der Isar in München. Ein junger Patient hat schmerzhafte Entzündungen am Nagelbett. Julia muss dem Chirurgen assistieren und dem Patienten Mut machen. Er ist Boxsport-Fan, während der Arzt am Finger operiert, unterhalten sich beide über Schwergewichte und Leichtgewichte im Ring. "Sobald die Leute abgelenkt sind, konzentrieren sie sich nicht mehr so auf den Schmerz. Sie müssen mir antworten, dadurch wird es für sie ein bisschen leichter", sagt Julia Jungbauer.

Die medizinische Versorgung ist eben nur ein Teil des Pflegerjobs. Das Menschliche ist genauso wichtig. Daniela Eibl unterstützt die junge Kollegin. Julia ist ganz neu in der Notaufnahme und noch voll motiviert: "Jeder Mensch ist anders - das ist das, was mich persönlich so interessiert."

Pflegekräfte fehlen - zu wenig Bewerber

Noch während sie den Verband fertigmacht, wird es hektisch. Ein junges Mädchen ist von der Straßenbahn angefahren worden. Ein Notfall. Alle verfügbaren Kräfte müssen in den Schockraum. Jetzt hat nur dieser Fall Priorität. In solchen Momenten fehlen natürlich Pfleger im Rest der Notaufnahme.

Was das Team hier noch stemmen kann, führt auf vielen Stationen in Bayerns Krankenhäusern oft zum Kollaps. Der Pflegenotstand in Deutschland ist dramatisch – im Krankenhausbereich, wie in der Altenpflege. Bis 2030 werden laut Bertelsmann Stiftung 500.000 Pflegekräfte fehlen. Offene Krankenpflegerstellen bleiben im Schnitt 194 Tage unbesetzt. Weil es zu wenig Bewerber gibt.

Wenn Pflegekräfte fehlen, leiden die Angehörigen

Was das für die Patienten bedeutet, erlebt Paula Angermann aus München immer wieder. Mit ihrer Schwester pflegt sie ihren schwerstbehinderten Mann bei sich zu Hause. "Mein Mann kommt nicht ins Heim", sagt sie: "Wir haben uns versprochen, dass wir uns um uns kümmern, wenn es uns mal schlecht geht."

Bei einem Krankenhaus-Aufenthalt musste ihr Mann einen halben Tag mit voller Windel und prallgefülltem Urinbeutel auf dem Gang liegen. Zu Essen stellte man ihm ein Tablett mit Brotzeit ans Bett - obwohl ihr Mann nur gebreite Nahrung verträgt und seine Arme nicht bewegen kann. Wenn sie nicht zufällig dagewesen wäre, hätte er nichts zu essen bekommen, sagt Paula Angermann. Die Pflegerinnen, das Krankenhauspersonal könnten nichts dafür, die täten alles was sie können. "Es geht einfach nicht mehr, man muss mehr einstellen. Es geht nicht, wenn die Politik weiter so zurückhaltend ist und nicht genug in die Pflege ihrer eigenen Leute investiert."

Besserer Lohn, bessere Arbeitsbedingungen

Besserer Lohn wäre wichtig, um neue Pfleger zu gewinnen. Aber Geld ist nicht alles. In Augsburg treffen wir zwei junge Pflegenachwuchskräfte, die gerade in der Ausbildung sind. Sie sagen, dass sich vor allem der Arbeitsalltag ändern muss. "Wir haben super Möglichkeiten gelernt, wie man prophylaktisch am Patienten arbeitet, wie man vorbeugt, damit bestimmte Krankheiten erst gar nicht auftreten. So etwas machen wir auf Station zum Beispiel gar nicht", bemängeln sie: "Da wird man hin und wieder belächelt, wenn man sagt: Hey, ich habe die Studie gelesen, ist ja toll, was da rauskam. Die Antwort heißt dann: Ja ja, wir machen das aber anders."

Um talentierte junge Leute anzuziehen, müssen Pfleger mehr Karrierechancen und Kompetenzen bekommen. "Unser Beruf ist so viel mehr als Waschen und Essengeben. Man muss dieses Bild abschaffen, dass die Pflegekräfte ja nur die Handlanger der Ärzte sind", sagen die Auszubildenden.

Tabu-Thema in vielen Pflege-Einrichtungen

Aber wie schwierig es ist, offen über nötige Reformen in der Pflege zu reden, haben wir selbst erlebt. Der Leiter der Akademie für Pflege am städtischen Klinikum in München wollte uns ein Interview geben – ein renommierter und kritischer Experte. Im letzten Moment schiebt die Geschäftsführung einen Riegel vor. "Zur aktuell diffusen Großwetterlage in der Gesundheitspolitik möchten wir uns nicht in einem Interview äußern", schreibt uns das Klinikum.

Den Pflegeexperten Claus Fussek wundert das nicht. Im ganzen Land wollten Einrichtungen lieber nicht über das unangenehme Thema sprechen: "Man kann es sich nicht vorstellen, es herrscht ein Klima der Angst und des Schweigens. Eine Einrichtung ohne Mängel kann es nicht geben. Wichtig ist, wie man mit Problemen und Beschwerden umgeht." Fussek kämpft seit Jahren dafür, dass Pflege in der Politik endlich zur Chefsache gemacht wird. Und dass motivierte und junge Pflegekräfte in den Einrichtungen nicht durch die Arbeitsbedingungen verheizt werden. "Pflege geht uns alle an", betont Fussek: "Pflege muss Schicksalsfrage der Gesellschaft, der Nation werden."

Pflege: Ausbildung attraktiver machen

Am Klinikum rechts der Isar wird offen mit dem Thema umgegangen. Miriam Kloß ist OP-Pflegerin und bildet Nachwuchskräfte aus. Sie sagt: "Ja, wir haben auch Pflegenotstand, das merkt man schon. Wenn wir natürlich relativ wenig Personal haben, können wir den Leuten nicht so gerecht werden und sie einarbeiten, so wie wir es eigentlich sollten."

Hier dürfen wir die Pfleger den ganzen Tag begleiten. Ohne Aufsicht und Vorgaben von der Geschäftsführung. Miriams Arbeit ist hochspezialisiert, fordert technisches Know-how und starke Nerven. Wenn die Pfleger gleichwertige Partner im Team sind, ist der Beruf auch für qualifizierte, junge Leute attraktiver. Miriam hat das Gefühl, dass sich ihre insgesamt siebenjährige Ausbildung gelohnt hat: "Das, was wir lernen, machen wir auch wirklich tagtäglich in der OP. Was wir lernen, können wir auch in der Praxis gebrauchen."

Auf Station geht eine stressige Schicht zu Ende. Julia Jungbauer will sich von der Personalnot in der Branche nicht demotivieren lassen. "Ich mache einfach meinen Job, in der Hoffnung, dass genug junge Leute nachkommen, die sagen, sie möchten es noch machen", sagt sie. Und das müssen wir alle hoffen. Denn auf gute Pflegekräfte wird früher oder später jeder angewiesen sein.