Gedankenexperiment: So könnte es auf einer bebauten Theresienwiese aussehen.
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Gedankenexperiment: So könnte es auf einer bebauten Theresienwiese aussehen.

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Unbezahlbar? Nachverdichtet? Wohnen der Zukunft in München

Wie wollen wir künftig wohnen in der Landeshauptstadt? Wohnraum in München ist inzwischen nahezu unbezahlbar, und Grund und Boden erst recht. Schließlich kann man doch nicht die Theresienwiese bebauen, oder?

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Über dieses Thema berichtet: Mittags in Oberbayern am .

Soll vielleicht die Theresienwiese bebaut werden, weil es sonst kaum noch Platz in der Münchner Innenstadt gibt? Das ist natürlich keine ernst gemeinte Frage, denn die Wiesn in München ist ein historischer Platz, der über Generationen traditionell als Freiraum in der Stadt gepflegt und ganz bewusst nicht zugebaut wurde. Doch die Idee, die Theresienwiese zu bebauen, hat der Münchner Architekt und Architekturtheoretiker Mathieu Wellner durchgespielt, um unseren Blick auf die Möglichkeiten des Bauens in der Stadt zu weiten und zu schärfen. Wie er die Zukunft des Bauens an verschiedenen Stellen in München sieht, das erläutert er als Gast in der Sendung "Mittags in Oberbayern”. Mit in der Gesprächsrunde: die Münchner Stadtbaurätin Elisabeth Merk, die für das Bauen und das Planen von Bauten in München verantwortlich ist. Das Gespräch führt Bayern 1-Moderatorin Anja Wolf.

Anja Wolf: Herr Wellner, ich fange mal mit Ihnen an. Die Theresienwiese bebauen? Ist das eine Schnapsidee?

Mathieu Wellner: Natürlich ist das eine Schnapsidee! Aber es ist ein Gedankenexperiment, und Experimente sollten doch erlaubt sein. Deswegen habe ich zwei Varianten ausprobiert einmal die Dichte von Schwabing und dann die Dichte von Manhattan auf die Theresienwiese zu setzen, nur um zu sehen, wie das wäre. Weil dann hätten wir durch die Collagen richtige Bilder im Kopf und könnten darüber reden.

Anja Wolf: Was ist Ihr Gefühl: Manhattan auf der Theresienwiese?

Mathieu Wellner: Schwabing!

Anja Wolf: Frau Merk, mit diesem Gedankenexperiment rund um die Theresienwiese wird ja klar, worum es beim Thema Wohnen hier München geht. Der Platz für die Wohnungen ist einfach knapp. Gleichzeitig haben wir enorme Preise, und Kritiker sagen da ja längst: Wohnen darf kein Investment sein, sondern Wohnen muss als soziales Gut verstanden werden.

Elisabeth Merk: Ich sag mal, wenn schon Theresienweise bebauen, dann nur als eine Art genossenschaftliches Manhattan. Aber die Theresienwiese ist, glaube ich, so stark mit der Identität der Stadt verbunden, ich glaube, wir hätten andere Möglichkeiten an vielleicht unerwarteten Orten verwegen zu sein.

Anja Wolf: Dieses Experiment, die Theresienwiese zu bebauen, bringt Bewegung in den Kopf. Ist es das, was Sie wollen?

Mathieu Wellner: Es geht darum, eine Diskussion zu beginnen, eine Diskussion darüber, in welcher Stadt wir leben wollen. Es geht hier nicht nur ums Wohnen. Stellen Sie sich vor, wenn alle Neubaugebiete nur Wohnraum wären, dann hätten wir sowohl in Freiham oder Daglfing oder auch an anderen Stellen, die bebaut werden könnten, reine Wohnstädte, reine Schlafstädte, und die Mobilitätsprobleme wären noch schlimmer, als sie jetzt schon ist. Aber ich will in keiner Wohnstadt leben. Ich will in der Stadt leben. Mich interessiert es, dass die verschiedenen Stadtviertel auch unterschiedliche Identitäten haben.

Elisabeth Merk: Ich denke, wir bebauen ja die Bayernkaserne oder die Prinz Eugen-Kaserne und haben da ja auch dazugelernt und versuchen nicht nur, dichte Bebauungsstrukturen, die an Schwabing heranreichen, neu zu generieren, sondern auch Nutzungsdurchmischungen und Nachbarschaften zu machen. Ich meine, die Theresienwiese gefällt mir ja auch, und ich philosophiere da ganz viel rum. Aber ehrlich gesagt, die Frage ist, welche Orte gibt man für welche Nutzung her? Man könnte auch sagen: Wir bebauen jetzt mal den Englischen Garten oder wir haben da noch Sportflächen oder den Grüngürtel. Und ich denke, Freiräume haben in einer Stadt, die dichter und lebendiger ist, was wir beide uns ja wünschen, auch eine ganz besondere Bedeutung. Im Grüngürtel zu bauen oder vielleicht auch eine Theresienwiese oder einen Englischen Garten zu bebauen, das generiert fantastische Bilder. Aber ich habe ja gesagt, wenn, dann würde ich mir Manhattan wünschen, weil dann lohnt sich es richtig, und sozial ist es ja nur, wenn es die richtigen Trägerschaften dann auch in der Hand haben. Die Stadt im Erbbaurecht und die Genossenschaften, weil sie Konzepte erfinden, die auch in der Lage sind, sehr unterschiedliche Bevölkerungsstruktur zu mischen.

Anja Wolf: Jetzt gibt es ja auch ganz neu diese Idee eines Bürgerfonds. Die hat der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter ins Spiel gebracht.

Elisabeth Merk: Ja, das finden wir natürlich gut. Die Frage ist: Was kriegt der Bürger für sein Geld, das er ja in einen Fonds einbringt? Ich meine, es muss eine Beteiligung sein, damit es eine größere Mitsprache gibt, die dann auch verantwortungsvoll ausgeübt wird.

Anja Wolf: Von den Münchnern kommt der Wunsch, dass der Normalverdiener, die Mittelschicht sich das hier leisten kann! In den nächsten 15 Jahren werden in München noch einmal 300.000 Menschen mehr leben - dann wären es 1,8 Millionen Einwohner. Und deshalb sollen ja jährlich 8.500 neue und bezahlbare Wohnungen entstehen. München hat das größte Wohnungsbauprogramm von ganz Deutschland. Welche Hebel sind eingebaut, um diese Wahnsinnspreisspirale endlich in den Griff zu kriegen bei diesen Wohnungsbauprogramm? Wer wird wie verpflichtet?

Elisabeth Merk: Beispielsweise die sozialgerichtete Bodennutzung ermöglicht uns ja, dass wir 30 Prozent geförderten Wohnungsbau plus zehn Prozent gedämpften Mietwohnungsbau generieren. Das sind immerhin 40 Prozent, wenn ein Privater auf seinen eigenen Flächen etwas entwickelt. Wenn die Stadt das selber tut wie jetzt bei den Kasernenflächen oder anderen Liegenschaften, die der Stadt gehören, haben wir 50 Prozent dieses München-Modells plus dann einen konzeptionellen Mietwohnungsbau und davon dann wieder Teilmengen bis zu 40 Prozent für den genossenschaftlichen Wohnungsbau. Aber wir haben auch Instrumente wie die Erhaltungssatzung, wo wir stark in den Bestand hinein wirken. Denn der Bestand ist natürlich auch eine Maschinerie der Bodenpreisentwicklung, wo wir nur dämpfen können. Der Mietspiegel ist etwas, was ja auch diskutiert wird, das man anders berechnen müsste, um da zu einer anderen Grundwertannahme zu kommen. Es gibt Themenfelder, die hat man direkt in der Hand bei der eigenen Grundstücksvergabe. Es gibt aber auch Themenfelder, da kann man drauf einwirken über die hoheitliche Planung und andere, da brauchen wir eindeutig das Land und den Bund. Und es ist Gottseidank jetzt so, dass diese Aufmerksamkeit da ist. Das war ja in den vergangenen Jahrzehnten eigentlich nicht immer der Fall. Wir glauben, dass wir fast alles versuchen, was wir so in der Hand haben. Aber gegenüber der Finanzwirtschaft, der Zinspolitik und den globalen Investment Märkten kann die Stadtbaurätin relativ wenig ausrichten und das sind Mechanismen, die man mit betrachten muss.

Anja Wolf: Herr Wellner, meinen Sie, München stünde vielleicht besser da, wenn die Stadt es schon lange so gemacht haben würde wie Wien? Das ist ja immer ein großes Vorbild - Stichwort konsequenter Gemeindebau und staatlich geförderte Genossenschaften?

Mathieu Wellner: Ich meine, die Fehler, die München in der Vergangenheit gemacht hat, die hat München vor allem in den 20er Jahren gemacht, als das rote Wien sehr viele Grundstücke bebaut hat. Diese Fehler kann man nicht aufholen! Oder dass die Neue Heimat nicht gekauft wurde, das ist auch ein Fehler, den man nicht wiedergutmachen kann. Aber es gibt immer noch Lücken, um zu bauen. Insofern mache ich mir keine Sorgen. Frau Merk sprach auch von Partizipation, das ist ganz wichtig. Es muss ja nicht immer für die ganze Stadt die gleichen Regeln geben, es könnte auch ganz unterschiedliche Regeln geben, und in jedem Viertel gibt es auch unterschiedliche Stakeholder. Stakeholder bedeutet ja: am Prozess Beteiligte. Und das sind auch am Prozess beteiligte Firmen. Die Stadt funktioniert ja nicht nur sozial und kulturell, sondern auch wirtschaftlich. Ich will ja auch in meinem Viertel arbeiten können.

Anja Wolf: Haben Sie das Gefühl, dass sich da bei den Menschen auch etwas verändert? Also wenn ich jetzt zum Beispiel letztes Jahr an die große Demo denke mit dem Titel "Ausspekuliert" - ich habe schon das Gefühl, dass die Menschen sich auch wieder mobilisieren lassen, auf die Straße zu gehen und sich einzusetzen für dieses Recht, anständig zu wohnen. Haben Sie das Gefühl, da tut sich was?

Mathieu Wellner: Ja, hoffentlich!

Elisabeth Merk: Ja, schon. Wenn man sagt, 75 Prozent in München sind Mieter, und dafür langt es eigentlich nicht, dass man den Mieterverein hat, so gute Arbeit er auch leistet. 75 Prozent unserer Bevölkerung wohnen zur Miete und die dürfen sich wirklich artikulieren! Ich begrüße es sehr, dass da mehr Bewegung drin ist, weil man vielleicht auch erkennt, die Politik - auch die Politik in Berlin - sieht es plötzlich anders.

Anja Wolf: Würden Sie sich da mehr wünschen?

Mathieu Wellner: Ob jetzt die Stadt in den letzten 20 Jahren alles richtig gemacht hat, weiß ich nicht. Ich würde das eher bestreiten. Ich denke, dass die Möglichkeiten, München zu erweitern, München zu verändern, nie größer waren. Seit der Wende, seit dem Moment, als die Industriebrachen, die Bahnbrachen und vor allem die Militärbrachen zur Verfügung standen, als der Flughafen sich verändert hat und dann die Messe und das Messegelände weggezogen, gab es sehr viele Möglichkeiten, München sehr viel großstädtischer zu bauen, aber im Grunde gab es da einfach keinen Mut zum Risiko.

Elisabeth Merk: Bei uns ist der Mut zum Risiko schon da, aber wir haben ja auch von Partizipation gesprochen. Und man wünscht sich die lebendige, urbane Stadt, aber man will sie ungern vor der Haustür haben. Und wer mich jetzt von ihnen begleitet auf unsere Bürgerversammlungen, versteht dann auch die Nöte. Man wohnt zum Teil sehr kleinteilig gerade in den Stadterweiterungsgebieten der 70er Jahre und tut sich sehr schwer vor Ort mit einer weiteren Nachverdichtung. Und ich finde, das reicht nicht, immer Mut zu proklamieren, sondern man muss mit den Menschen, die es direkt betrifft, dann auch Ideen entwickeln, wo Schnittstellen sind. Und das merkt man ja, wenn man Leute aus anderen Städten nach München führt. Herr Sakamoto, der damals die Werkbund-Siedlung entwickelt hat, der ist mit mir durch München gegangen. Der sagte zu mir: So locker würde er auch gerne mal bauen. Der empfand das als eine ganz große Qualität, während wir sagen: Wir möchten endlich mal so dicht wie in Tokio werden, um unser Problem zu lösen.

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Bayern 1-Moderatorin Anja Wolf, die Münchner Stadtbaurätin Elisabeth Merk und Architekt und Architekturtheoretiker Mathieu Wellner.

Anja Wolf: Gutes Wohnen muss bezahlbar sein, und dazu gehören außerdem die Lage und die Infrastruktur. Frau Merk, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, heißt verdichten, umstrukturieren, erweitern, neu bauen? Wie soll es denn gehen und worauf hoffen Sie dabei? Was sind die Pläne für die nächsten Jahre?

Elisabeth Merk: Unsere großen Pläne sind natürlich, die Stadterweiterung in Freiham gut hinzubekommen, durch eine Tieferlegung der S8 im Münchner Nordosten noch größere Flächen, die der Stadt auch gehören und damit zumindest zum Teil verfügbar sind, gut im Zusammenhang zu entwickeln und Infrastruktur zu ergänzen, also den U-Bahn-Ringschluss zur Messestadt beispielsweise, aber vor allen Dingen auch die Strukturen der Stadt weiterzuentwickeln. Und ehrlich gesagt, schließe ich nicht aus, dass wir nach 20 oder 25 Jahren sagen, kann man denn im Arnulfpark oder auch in Riem nochmal nachverdichten? Jetzt haben wir 25. Geburtstag in Riem und jetzt schauen wir doch mal, ob da nicht noch ein bisschen mehr geht. Ein ganz großes Pfund ist wirklich Neuperlach, weil das in die Jahre gekommen ist. Man muss es erneuern, man muss es anschauen. Und da steckt ganz viel Qualität drin, die man weiterentwickeln kann.

Mathieu Wellner: Also jetzt, 50 Jahre nach dem Bau von Neuperlach, zu sagen: Ja, die Stadt ist in Bewegung, da müssen wir was machen, das ist natürlich sehr spät. Das ist nicht allein Ihre Schuld, Frau Merk, aber das hätten andere Kollegen schon machen können. Oder wenn Sie das Olympiadorf anschauen: Für mich war das eigentlich die letzte gute Planung in München, und das war 1972 und ist also auch schon länger her. Insofern geht es mir gar nicht darum, verwegener zu bauen, sondern einfach weiter zu bauen. Auch sich zu trauen, die Programme zu ändern. Gebäude können heute hybrider sein.

Anja Wolf: Was heißt denn das konkret? Flachdächer nutzen? Große Straßen überbauen? Was kann das alles sein?

Mathieu Wellner: Ganz konkret: Ein Beispiel ist das Osram-Gebäude am Candid-Platz. Es gab einen Wettbewerb, und die Optionen waren, es entweder zu nutzen oder abzureißen. Wir hatten daran teilgenommen und hatten Möglichkeiten gefunden, wie man dieses Gebäude mit einem öffentlichen Sockel mit Cafés, auch mit Büros und Wohnungen umbauen kann.

Elisabeth Merk: Bei dem Osram-Gebäude haben wir ja versucht, an einem Strang zu ziehen. Da waren Sie unserer Zeit eigentlich voraus. Das war vielleicht fünf Jahre zu früh. Als ich vor zehn Jahren hier war und es hieß, überbaut mir doch mal einen Supermarkt mit Wohnen, da haben mich die Akteure der Wohnungswirtschaft und des Einzelhandels ausgelacht. Heute kommt keiner mehr, ohne zu sagen: Frau Merk. da machen wir ein schönes Projekt und packen Wohnungen drauf.

Anja Wolf: Nervt es Sie manchmal, Herr Wellner, dass die Dinge so lange dauern?

Mathieu Wellner: Ja, schrecklich.

Elisabeth Merk: Mich nervt es schon auch!

Anja Wolf: Frau Merk, Sie als Stadtbaurätin sind natürlich abhängig von den politischen Entscheidungen, die der Stadtrat trifft. Aktuelles Beispiel: die sogenannte städtebauliche Entwicklungsmaßnahme, kurz SEM, für den Münchner Nordosten. Da geht es ja um Wohnraum für 10.000 bis 30.000 Menschen. Und diese SEM ist ja schon nicht so ganz leicht vermittelbar, weil mit ihr die Grundstückspreise einfrieren und es theoretisch ja sogar die Option gibt,Grundstücksbesitzer zu enteignen. Entsprechend groß ist ja auch der Widerstand jetzt im Münchner Nordosten. Das Ganze zeigt schon: Bauen im großen Stil ist komplex und durchaus auch kontrovers.

Elisabeth Merk: Und dieser Diskussion muss man sich stellen, wir machen ja jetzt einen städtebaulichen Ideenwettbewerb. Ich war vorletzten Samstag draußen bei der Bürgerinformation. Ich hatte den Eindruck, wenn man direkt mit den Menschen in den Dialog kommt, dass man dann sehr viel auch gut erläutern kann. Deswegen sind noch nicht alle dafür, aber man kann diese Unsicherheiten etwas ausräumen und ich glaube, darum geht’s. Das Zweite ist, dass man vermitteln muss: Wo wollen wir eigentlich hin? Das ist natürlich bei so riesigen Maßnahmen umso schwieriger. Und deswegen brauchen wir ja erst einmal eine Chance, dass wir in Planungen überhaupt mal einsteigen mit Bildern zu diesen Qualitäten. Und am Ende muss man aber sagen: kann man das überhaupt in vernünftigen Abschnitten bebauen? Ist es überhaupt möglich, dass man das gut erschließt und kommt am Ende auch so etwas wie bezahlbares Wohnen raus? Weil ansonsten muss man ja die Anstrengung gar nicht unternehmen. Andererseits Ich bin jetzt 55 Jahre alt. Im Jahr 1963, als ich auf die Welt gekommen bin, hat Hans-Jochen Vogel Freiham zum ersten Mal aufgesetzt. 55 Jahre danach bin ich jetzt die, die versucht, dort ein urbanes Quartier zu entwickeln. Daran kann man sehen, wie lang diese Linien zum Teil sind. Das heißt: Manchmal schießen wir vielleicht auch Pfeile für die Zukunft ab und können da gar nicht meinen, dass wir die sind, die das zu Ende bringen.

Anja Wolf: Und Sie sind dann auch nicht die, die im Zweifel die Lorbeeren einfahren?

Elisabeth Merk: Da geht es nicht um Lorbeeren!

Anja Wolf: Vielleicht schon! In der Politik schon, weil die ist ja doch kurzlebig. Aber beim Planen fürs Wohnen muss man ja einen langen Atem haben.

Elisabeth Merk: Ich meine, es geht eigentlich um Verantwortung sowohl der Politik als auch der Stadtgesellschaft als Bürgerschaft und natürlich die Verantwortung von uns, die wir planen, um zu sagen, wir schießen diese Pfeile in die richtige Richtung ab.

Mathieu Wellner: Ich finde die Genossenschaften leisten wirklich ganz hervorragende Arbeit, indem sie in ihren Konzepten verschiedene Grundrisstypen anbieten und die dann auch gewechselt werden könnten.

Anja Wolf: Also, die Idee wäre, jemand wohnt in einer 100-Quadratmeter-Wohnung, weil da früher mal die Kinder mit dabei waren, die sind ausgezogen. Auf der anderen Seite ist eine junge Familie da, die Nachwuchs bekommt, ein Baby bekommt und derzeit noch in einer 50 Quadratmeter Wohnung wohnt, dass die zwei einfach tauschen.

Elisabeth Merk: Es gibt ja von unseren städtischen Gesellschaften und Genossenschaften durchaus so Pilotprojekte, und da muss man sagen: Das muss man ganz aktiv bewerben, weil die Leute von sich aus freiwillig da sehr vorsichtig sind. Zum einen bieten unsere Gesellschaften Umzugsmanagement an, dann auch kostenlos. Denn das sind ja Kosten, wenn man umzieht. Das ist ja gerade bei Älteren ein Thema. Und dann ist es oft so, dass man hinterher für eine kleinere Wohnung - selbst wenn sie gefördert ist - nicht wirklich viel weniger zahlt, wenn man überhaupt das Glück hat, dass es ungefähr gleich ist. Das heißt, wir würden das unterstützen, haben aber bisher gemerkt, das ist nicht so einfach. Es gibt ein paar Plattformen, aber man müsste das noch viel aktiver bewerben. Und ich glaube, man müsste auch in ganz persönlichen Gesprächen den Menschen vermitteln, warum das sinnvoll ist. Auf der anderen Seite bleibt die persönliche Entscheidungsfreiheit. Wer sagt denn, dass wenn man älter wird, das dann eine kleinere Wohnung praktischer ist. Aber gerade, wenn man nicht mehr viel rausgehen kann, dann ist man vielleicht sehr dankbar, dass man ein Zimmer mehr hat. Das heißt: wir brauchen wirklich Modelle, die Familienwohnen zusammenbringen mit diesen Einzelschicksalen.

Mathieu Wellner: Und ich denke, durch unterschiedliche Grundrisstypen könnte man sich natürlich auch ganz andere Wohnformen vorstellen. Es gibt schöne Beispiele, wo man quasi gemeinsame Wohnküchen, aber einzelne Zimmer hat, also ein Sharing Collective Modell. Und es wäre schön, wenn der Markt sich auch diesen Ideen öffnen könnte - auch im Bestand.

Anja Wolf: Zum Schluss würde ich gerne einfach noch mal ganz frei denken: Wenn es nur nach ihnen beiden jeweils ginge: Wie würde München in 15 Jahren aussehen?

Elisabeth Merk: Ich glaube, wir werden an einigen Achsen doch deutlich interessante Hochpunkte erleben.

Anja Wolf: Wir gehen also in die Höhe!

Elisabeth Merk: Aber gleichzeitig werden wir auch viel kompakter in den Bereichen bauen, die wir heute noch bebauen dürfen.

Anja Wolf: Was heißt das konkret?

Elisabeth Merk: Ich rede mich jetzt um Kopf und Kragen! Ich sag mal, die Achse nach Riem ist für mich eine hochspannende - also vom Vogelweide-Platz, wo die Hochhäuser gerade gebaut werden, Süddeutscher Verlag, bis zur Messestadt. Da ist, finde ich, Luft nach oben und das sind auch spannende Räume, die man umstrukturieren kann. Die zweite Achse, die ich hochspannend betrachte, ist die Achse nach Garching. Da haben wir schon eine U-Bahn. Und der Frankfurter Ring, wo wir gerade eine Seilbahn projektieren: Was wird das heißen für eine weitere Entwicklung der Stadt? Und dann denke ich, müssen wir manche Bereiche im Grüngürtel und in den Isarauen und in diesen grünen Korridoren auch aktiv verteidigen und sagen, da wird jetzt mal nichts gebaut, weil wir brauchen auch diese Entlastungsräume.

Anja Wolf: Herr Wellner, wie sieht Ihr München der Zukunft aus?

Mathieu Wellner: Für das München in 15 Jahren sehe ich kaum Veränderung, weil dann natürlich noch viele Ideen von Frau Merk noch überprüft werden müssen und lange nicht genehmigt sind. Aber das München in 50 Jahren hat dann vielleicht gute Projekte realisieren können und vielleicht gibt es dann auch wirklich neue Stadtteile in München und dann hat man vielleicht seine jeweilige Identität in jedem Viertel, in dem man wohnt, arbeitet und sich auch erholt.

Anja Wolf: Das heißt, da muss man sich gar nicht so viel bewegen, weil man alles in seinem Quartier hat.

Mathieu Wellner: Das ist doch wunderbar!

Elisabeth Merk: Das finde ich auch! Und insofern sind die Quartiere und wiederum diese Genossenschaftsideen, die man sehr gut auf so einer Quartiersebene umsetzen kann, schon sehr zukunftsweisend, auch wenn sie ja eigentlich ein Instrument sind aus dem frühen 20. Jahrhundert.

Anja Wolf: Diese Ideen haben sich aber bewährt.

Elisabeth Merk: Genau.

Anja Wolf: Dankeschön für den Besuch!