Der Fall von Kabul hatte für große Schlagzeilen gesorgt. Die Bilder von Menschen, die verzweifelt versuchten, den Flughafen zu erreichen, um Afghanistan zu verlassen, nachdem die radikalislamischen Taliban die Macht erobert hatten, haben auch in Deutschland viele Menschen bewegt. Gab es beim chaotischen Abzug Deutschlands eine falsche Gefährdungseinschätzung durch die damalige Bundesregierung?
Ex-Entwicklungsminister Müller sieht keine Versäumnisse
Der ehemalige Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) ist sich keiner Versäumnisse bewusst. Trotz der dramatischen Umstände des Abzugs im Zusammenhang mit der Machtübernahme der Taliban 2021 habe es "keine Verschleppungen, Vergewaltigungen oder Tötungen" unter den afghanischen Ortskräften der deutschen Entwicklungszusammenarbeit gegeben. Daher müsse man sich auch keine falsche Gefährdungseinschätzung vorwerfen lassen.
Müller: "Deutsche Entwicklungsarbeit bleibender Wert"
Müller sagte nach seiner Zeugenbefragung im Ausschuss auch, niemand hätte vorher einschätzen können, wie das Taliban-Regime später operieren würde. Fakt ist, dass im August 2021 eine historische Fluchtbewegung in Gang gekommen war, auf die die Staaten des Westens trotz ihrer mehr als 20-jährigen Stationierung völlig unvorbereitet waren.
Mittlerweile sind Menschen- und vor allem Frauenrechte im Land kaum mehr nennenswert vorhanden. Mindestens 1,4 Millionen Mädchen sind nach UN-Angaben seit 2021 vom Besuch einer weiterführenden Schule ausgeschlossen worden. Was das für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit bedeutet?
Gerd Müller hat hier seine ganz eigenen Ansichten. Das deutsche Entwicklungsengagement in Afghanistan gehe 100 Jahre zurück. Millionen von Frauen seien unterrichtet, Schulen und Krankenhäuser gebaut worden. Müllers Fazit: "Was die deutsche Entwicklungszusammenarbeit in Afghanistan geleistet hat, ist ein bleibender Wert."
Probleme bei der Absprache mit den USA
Eine Einschätzung, die Sara Nanni (B90/Die Grünen) explizit nicht teilt. Sie könne das vor allem im Hinblick auf die Ortskräfte nicht nachvollziehen. Was Nanni ebenfalls befremdlich findet: Dass Müller die Zusammenarbeit zwischen den Ministerien (Innenministerium, Verteidigungsministerium, Außenministerium) als gut bezeichnet hat, das stehe "im krassen Widerspruch zu den zwei Jahren Aufarbeitung im Ausschuss."
Die Zusammenarbeit, beziehungsweise die fehlende Zusammenarbeit mehrerer Ministerien steht auch im Fokus des Ausschusses. Der ehemalige Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) brachte noch ein weiteres Thema zur Sprache: die schwierige Abstimmung mit den US-Partnern. Die damalige US-Regierung habe den mit den islamistischen Taliban in Doha in Katar ausgehandelten Termin für einen US-Abzug zum 11. September 2021 nicht mit der afghanischen Regierung rückgekoppelt und dieser quasi "den Stuhl vor die Tür" gestellt, sagte der SPD-Politiker bei seiner Zeugenbefragung.
Eine Lageanalyse mit den beteiligten NATO-Partnern über einen koordinierten Abzug habe es nicht gegeben. Eine Erklärung, die zumindest Sara Nanni nicht zufriedenstellt. Ihrer Ansicht nach war Heiko Maas "nicht im Stoff" und konnte auf Nannis Fragen im Ausschuss auch nicht ausreichend antworten.
Maas hatte seinen Rücktritt angeboten
Maas hatte als Bundesaußenminister eine Schlüsselrolle bei der Evakuierung von tausenden afghanischen Ortskräften, die für die Bundesrepublik als Übersetzer, Fahrer oder an anderer Stelle gearbeitet hatten und nach der Machtübernahme durch die Taliban um ihr Leben fürchten mussten. Er hatte damals seinen Rücktritt als Außenminister angeboten, war aber letztlich im Amt geblieben. Dazu hatte ihm auch der damalige Vize-Kanzler Olaf Scholz (SPD) geraten.
Die letzte Zeugenaussage wird von Angela Merkel kommen
Der Afghanistan-Untersuchungsausschuss befindet sich nach zwei Jahren auf der Zielgeraden, steht aber unter großem Zeitdruck. Durch die vorgezogene Neuwahl muss der Abschlussbericht deutlich schneller als geplant fertiggestellt werden. Nächste Woche wird noch die Bundeskanzlerin a. D., Angela Merkel (CDU), zu ihrer Rolle in der Afghanistan-Causa gehört werden. Liefen bei ihr alle Fäden zusammen oder warum kam es zum Chaos – diesen Fragen soll sich Merkel stellen.
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