Symbolbild: Ein Häftling in Handschellen wird von einem Wachmann weggeführt
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Symbolbild: Ein Häftling in Handschellen wird von einem Wachmann weggeführt

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Der schwierige Umgang mit Syrien-Rückkehrern

Rund 200 Unterstützer der Terrormiliz IS sind aus den Kampfgebieten nach Deutschland zurückgekehrt. Diejenigen, die von deutschen Gerichten verurteilt wurden, haben es im Gefängnis häufig schwer. Das zeigt ein Fall aus Bayern. Von Joseph Röhmel

Über dieses Thema berichtet: Der Funkstreifzug am .

In den letzten Jahren hat Bilal Fani (Name geändert) viel mitgemacht. Islamisten hetzen gegen ihn auf Facebook, im Gefängnis wurde er bespuckt und bedroht. Bilal Fani war selbst in Syrien beim Kämpfen. Nun gibt er sich geläutert. Salafisten seien Lügner und würden junge Menschen manipulieren. Fani will diese Ideologie bekämpfen. Nach seiner Rückkehr hat er ausgepackt und alte Weggefährten belastet. Deshalb gilt er den Islamisten als Verräter. Gleichzeitig fühlt er sich von Beamten in dem bayerischen Hochsicherheitsgefängnis, in dem er einsitzt, schikaniert.

"Die Leute zeigen mit dem Finger auf mich. Ich bin ja der Frauen- und Kindermörder. Wenn jetzt draußen eine Bombe detoniert, die werden sagen, das sind Leute von dir, warum machen die das – Unschuldige töten. Was soll ich jetzt dagegen tun? Was soll ich darauf antworten? Mir bleibt gar nichts übrig als darauf zu antworten, dass es kein rechter Weg ist." Bilal Fani, inhaftierter Syrien-Rückkehrer  

Davon berichtet er dem Bayerischen Rundfunk und dem Spiegel in seinem ersten Interview. Es ist eine Geschichte, in der es auch um die Frage geht, wie der Staat mit Rückkehrern verfahren soll, die sich ausstiegswillig zeigen.

"Alles nur Lug und Trug"

Bilal Fani ist geboren und aufgewachsen in Bayern, seine Wurzeln liegen in Zentralasien. Er war 2013 mehrere Monate in Syrien und hat sich auf Seiten einer Terrorgruppe den Kämpfen angeschlossen. Im Interview erzählt er, was ihn dorthin geführt hat. Es war die Scheidung von seiner Ehefrau. Es waren die Sicherheitsbehörden, von denen er sich unter Druck gesetzt gefühlt hat. Und dann hörte er in Propaganda-Videos die Worte der islamstischen Prediger: "'Wie rechtfertigst du dich vor Gott, wenn du mal stirbst? Du hast deinen Brüdern und Schwestern nicht geholfen.' Das hat mich psychisch richtig zerfressen."

Fani folgte in Syrien der Junud al-Sham, einer tschetschenischen Al-Kaida nahen Dschihadisten-Gruppe. "Das ist alles nur Lug und Trug gewesen", sagt er, die Versprechungen der Prediger in den Videos hätten sich nie erfüllt:

"Man wurde als Kanonenfutter vorgestellt. Und die Prediger und die Amire saßen dann halt irgendwo weit entfernt, wo die Kugeln halt nicht kommen. Da gab es keine feierlichen Beerdigungen für die sogenannten Märtyrer. Die wurden auf Lkw massenweise gepackt und dann verscharrt." Bilal Fani, inhaftierter Syrien-Rückkehrer

Nur ein Bruchteil der Rückkehrer in Haft

Desillusioniert habe er Syrien verlassen, sagt Fani. Nach seiner Rückkehr wurde er verhaftet und vor Gericht gestellt. Der Angeklagte gestand, ein Terrorhelfer gewesen zu sein. Anfang 2015 verurteilte ihn das Oberlandesgericht München zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren – unter anderem wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland, zudem wegen Beihilfe zum versuchten Mord.

Mehr als 960 Männer und Frauen sind laut Bundeskriminalamt seit 2012 aus Deutschland aufgebrochen, um für Terrorgruppen im Irak und Syrien zu kämpfen. Rund 150 gelten als tot, ein Drittel ist wieder zurück. Polizei und Geheimdienste rechnen jederzeit mit weiteren Rückkehrern. Sie stellen Deutschland vor große Herausforderungen. Etwa in der Frage, wie sie zu bestrafen sind. Eine Umfrage des Bayerischen Rundfunks und des Spiegel unter allen Bundesländern hat ergeben, dass bislang nur ein Bruchteil derjenigen, die aus dem Kampfgebiet zurück gekommen sind, in Haft ist. 

Beispiel Bayern: Von 22 mutmaßlichen Terrorhelfern, die in den Freistaat zurückgekehrt sind, wurden bisher zwei zu einer Haftstrafe verurteilt, geht aus der Antwort des Innenministeriums hervor. Mindestens ein weiterer Rückkehrer sitzt in Untersuchungshaft.Die übrigen sind überwiegend auf freiem Fuß. Laut Ministerium haben die Sicherheitsbehörden sie aber "unter Beobachtung".

Die Zahlen bilden keine belastbare Statistik, aber sie offenbaren ein Problem. Gegen viele wird ermittelt, aber noch sind sie auf freiem Fuß und es fehlt an Beweisen, dass sie tatsächlich Mitglieder einer terroristischen Vereinigung waren oder diese unterstützt haben. Dieser Mangel an belastbaren Erkenntnissen erklärt sich unter anderem dadurch, dass es bislang wenige Rückkehrer gibt, die als glaubwürdige Zeugen vor Gericht aussagen.

Aussteiger will "Drecksideolgie" von IS und anderen bekämpfen

Fani ist ein solcher Zeuge, sagte schon aus, als das eigene Verfahren gegen ihn lief, weil er die – wie er sie heute nennt - "Drecksideolgie" bekämpfen will. Fani gibt viel preis – über das Leben in Syrien, über seine Taten und andere Kämpfer. Und doch wurde er zu elf Jahren verurteilt. Das habe weitere potentielle Zeugen abgeschreckt, sagt Guido Steinberg, ein Islamwissenschaftler und erfahrener Gutachter bei Dschihadisten-Prozessen. Auch wenn er die Strafe juristisch gesehen für vertretbar hält:

"Da haben die Leute den Eindruck, wenn sie denn nun auspacken, geht es ihnen schlechter, als wenn sie gar nichts sagen." Guido Steinberg, Islamwissenschaftler

Rechtswidrige Fesselung an Händen und Füßen

Aus Steinbergs Sicht ist Fani kein islamistischer Terrorist mehr. In Sicherheitskreisen gilt der Rückkehrer als geläutert und wichtiger Ansprechpartner. In seiner Anstalt scheint das aber nicht zu gelten.

Sie möchte sich auf Anfrage nicht zu Vorgängen wie diesen äußern: Der Rückkehrer leidet unter der seltenen Lungenerkrankung Sarkoidose, und braucht deshalb eine intensive medizinische Behandlung. Anfang Februar 2017 ist er so geschwächt, dass er drei Tage lang in ein Krankenhaus muss - mit einer Extra-Abteilung für Häftlinge. Justizvollzugsbeamte fesseln ihn an Händen und Füßen. Die gesamte Zeit über muss er die Fesseln tragen – selbst beim Schlafen und beim Gang auf die Toilette. Offenbar fürchtet die Anstalt zu diesem Zeitpunkt, Fani könnte aus dem Krankenhaus flüchten.

Monatelang streitet sich Fanis Anwalt Adam Ahmed mit der JVA. Schließlich beschäftigt sich das Oberlandesgericht Nürnberg mit dem Fall. Es stellt fest, nach der gesetzlichen Regelung dürfe eine Fesselung nur an den Händen oder an den Füßen erfolgen. Für das Gericht ist offensichtlich kaum nachvollziehbar, warum die Anstalt trotzdem die Fesselung angeordnet und verteidigt hat. Diese sei rechtswidrig gewesen. Auch als vier Polizisten vom Bundeskriminalamt Bilal Fani im Krankenhaus besuchten, um ihn als Zeugen zu einem Fall zu befragen. Es sei nicht ersichtlich, so das Gericht, "warum es vier Kriminalbeamten nicht möglich gewesen sein sollte, etwaige Fluchtversuche sofort zu unterbinden".

Rückkehrer findet: Aussteiger sollten gemeinsam gegen IS vorgehen

Fani selbst sagt im Gespräch, er wolle menschenwürdig und fair behandelt werden. Staat und ehemaliger Dschihadist: ein kompliziertes Verhältnis – auch wenn er sich ausstiegswillig zeigt. Wie hinderlich ist dieses Misstrauen? Fani bekommt regelmäßig Besuch von Kriminalbeamten, die ihn zu Fällen befragen. Ermittler schätzen ihn als glaubwürdigen Aussteiger und wichtigen Zeugen. Er träumt davon, über das Internet eine Gruppe zu eröffnen, in der er und andere Aussteiger aus ganz Europa anonym schreiben, was sie alles erlebt haben bei den Terrorgruppen.

Taugen Ex-Dschihadisten wie Fani dazu, andere zum Aussteigen zu bewegen? In England haben vor gut zehn Jahren Islamisten-Aussteiger ein Institut gegründet. Es organisiert unter anderem Forschungsprojekte und Schulungen für Imame, wie sie am besten mit Islamisten umgehen. Das Institut gilt inzwischen als gefragter Ansprechpartner in Medien und Politik.

Und wie ist die Lage in Deutschland? Spiegel und Bayerischer Rundfunk fragen nach. Nordrhein-Westfalen verweist darauf, dass bei Informationsveranstaltungen des dortigen Verfassungsschutzes gefestigte und langjährige Islamisten-Aussteiger eingesetzt werden. Nur seien die eben nicht bei einer Terrorgruppe in Syrien oder dem Irak gewesen, also keine Rückkehrer. In der pädagogischen Arbeit im direkten Austausch mit radikalisierten Menschen sehen die Länder die ehemaligen Terrorhelfer in absehbarer Zeit kaum. Hamburg zum Beispiel kann sich sehr gut vorstellen, dass Rückkehrer ihre Geschichte in sozialen Medien erzählen. Allerdings, und da sind sich alle Länder einig, sollten sie glaubhaft ausgestiegen und psychisch stabil sein.