Deutsche Touristen jagen Biber in Litauen
Bildrechte: Helene Köck/BR

Gilbert und Edmundas beim Ansitz

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In Bayern streng geschützt – zur Biberjagd nach Litauen

Biber fördern die Artenvielfalt, sorgen aber auch für Konflikte, wenn sie Äcker oder Wälder unter Wasser setzen. In Bayern dürfen sie nur in Ausnahmefällen gejagt werden. In Litauen hingegen ist die Biberjagd erlaubt. Das lockt Touristen an.

Es dämmert, ein warmer Frühlingstag geht zu Ende. Im Nordosten Litauens, nicht weit von der belarussischen Grenze entfernt, versammelt sich eine Gruppe Jäger. Sie kontrollieren Jagdscheine und bereiten ihre Ausrüstung und Gewehre vor. Michael, Martin und Gilbert aus Deutschland tun sich jeweils mit einem lokalen Jagdführer zusammen. Sie sind extra nach Litauen gereist, um hier auf Biberjagd zu gehen. Gilbert sagt, für ihn sei das reizvoll, weil er zu Hause keine Biber schießen dürfe. Außerdem gefalle ihm das Naturerlebnis: "Die Ballungsdichte ist nicht so hoch, hier hast du viel mehr freie Gebiete und viel mehr Jagdbereiche. Das gibt es bei uns nicht."

Die Gruppe teilt sich auf. Gilbert und sein litauischer Begleiter Edmundas richten sich für den Ansitz ein, auf einer Wiese, an der Biber einen Bach aufgestaut haben. Von ihrem Platz aus haben sie gute Sicht über den Tümpel. Wenn sich die Wasseroberfläche bewegt, kann das darauf hindeuten, dass dort ein Biber schwimmt. Ein Wärmebildgerät hilft ihnen, die Tiere beim schwächer werdenden Licht zu lokalisieren. Jetzt heißt es warten und beobachten.

Jagd auf Fleisch und Fell

Die Jäger aus Deutschland sind am Fleisch des Bibers interessiert. Noch mehr haben sie es aber auf das Fell abgesehen. Gilbert möchte sich daraus vom Kürschner eine Weste machen lassen. Biberfell habe hervorragende Isolations-Eigenschaften: "Es ist atmungsaktiv, es wärmt, das ist wirklich eine super Sache."

Genug Material für diese Weste hat er bereits – weil er am Vorabend schon erfolgreich war und zwei Biber geschossen hat. Wenn es heute noch einmal klappen sollte, geht das Fell an einen Bekannten. Sein Wunsch für heute sei aber vor allem, einen schönen Abend in der Natur zu verbringen und viele Tiere zu beobachten: "Vielleicht auch welche, die es bei uns zu Hause in Deutschland nicht gibt."

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Biber haben einen Bach aufgestaut

Von offizieller Seite werden Jagdreisen in Litauen nicht aktiv als Tourismusangebot beworben. Die Nationale Agentur für Tourismusentwicklung führt auch keine Statistiken dazu, wie viele Jäger jedes Jahr ins Land kommen. Aber Reiseanbieter aus Deutschland schicken regelmäßig Gruppen von Jägern nach Litauen und in die anderen baltischen Staaten.

Biber ist streng geschützte Tierart

Weil früher so viel Jagd auf Biber gemacht wurde, galten sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts in weiten Teilen Europas als ausgestorben. Erst durch Wiederansiedlung und Schutzmaßnahmen breiteten die Biber sich wieder aus. Laut dem bayerischen Umweltministerium gibt es im Freistaat heute schätzungsweise 22.000 von ihnen. Nach Richtlinien der Europäische Union und durch das Bundesnaturschutzgesetz sind sie streng geschützt.

Dass die Biber-Population wächst, führt aber auch zu Konflikten mit der Land- und Forstwirtschaft. Immer wieder gibt es Beschwerden, wenn die Nager mit ihren Dämmen Felder und Waldflächen überschwemmen oder Wiesen mit ihren Gängen untergraben. Abgeschossen oder – wie es offiziell heißt – "entnommen" werden dürfen Biber in Bayern nur, wenn es keine andere Lösung gibt. Dazu bedarf es einer Genehmigung des Landratsamts.

Litauen hingegen gehört zu den wenigen EU-Mitgliedsstaaten, in denen eine Ausnahme vom strengen Biberschutz gilt. Hier ist die Jagd nicht limitiert. Jagdclubs müssen lediglich melden, wie viele Tiere sie in einer Saison schießen wollen. Das baltische Land ist von der Fläche her etwa genauso groß wie Bayern, hier leben aber fast 50.000 Biber, also mehr als das Doppelte. Sind das so viele, dass sie gejagt werden müssen?

"Sozioökonomische" Kapazitätsgrenze ist erreicht

Prof. Alius Ulevičius, Ökologe an der Universität Vilnius, betont, wie wichtig Biber für die Artenvielfalt sind: "Der Biber ist eine sogenannte Schlüsselspezies, er ist ein Ingenieur für Ökosysteme." Denn mit seinen Dämmen gestalte er Lebensraum für viele andere Tiere wie Fische, Amphibien, Wasservögel, Insekten und auch für andere Säugetiere. Aus ökologischer Sicht wäre es nicht nötig, Biber zu jagen, sagt er: "Die Population der Biber in Litauen ist so, wie sie sein sollte."

In anderer Hinsicht sei allerdings eine Grenze erreicht. Ulevičius spricht von "sozioökonomischer Kapazität". Denn auch in Litauen sorgen Biber für Probleme, wenn sie Flächen von Bauern oder Waldbesitzern unter Wasser setzen. Ulevičius empfiehlt deshalb, die Population in solchen Konfliktgebieten durch Jagd zu regulieren. Zugleich müssten aber Gebiete ausgewiesen werden, in denen Biber geschützt sind. Und zwar in Gegenden, die ökologisch besonders wertvoll sind.

Drei Biber an zwei Tagen

Gilbert, der für eine Jagdreise nach Litauen gekommen ist, sagt, er achte darauf, nur in Gebieten zu jagen, wo die Agrarwirtschaft Schaden nehmen könnte. Auch die Wiese, auf der er und Edmundas heute stehen, ist von Feldern umgeben. "Da habe ich kein schlechtes Gewissen."

Als es schon dunkel ist, schießt er tatsächlich seinen dritten Biber – ein Dreißig-Kilo-Tier. Kurz darauf taucht ein noch größeres Exemplar auf. Aber der darf weiterleben. Er habe genug Biber erlegt, sagt Gilbert. Den Rest seiner Zeit in Litauen will er nicht mehr jagen, sondern nur noch die Natur beobachten – die Wildenten und die Waldschnepfen, die über den Himmel ziehen. Und mit seinem Wärmebildgerät sieht er auch, wenn ein Fuchs, Dachs oder sogar Wolf durchs Unterholz streift.

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