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Symbolbild: Untersuchung einer Trinkwasserprobe im Labor

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Altötting: Chemikalien im Trinkwasser?

In mehreren Regionen Bayerns sollen mutmaßlich krebserregende Chemikalien in den Boden gelangt sein. Nun sind in vielen Orten in Bayern Per-fluorierte Tenside im Trinkwasser nachgewiesen worden. Auch im Landkreis Altötting.

Über dieses Thema berichtet: Der Funkstreifzug am .

Blutproben von knapp 1.000 Menschen aus dem Landkreis Altötting werden derzeit auf PFOA untersucht. Das Kürzel steht für Perfluoroctansäure, eine möglicherweise Krebs erregende Chemikalie. Sie war bis vor einigen Jahren in einem Chemiewerk in der Region verwendet worden und gelangte vermutlich von dort ins Trinkwasser.

Keine Bluttests für Kinder unter sieben Jahren

Die Bluttests sollen zeigen, wie stark die Menschen wirklich belastet sind. Für Kritik sorgt jetzt aber: Kinder unter sieben Jahren durften an den Tests nicht teilnehmen. Dabei machen sich viele Eltern gerade um die Belastung ihrer Kleinen große Sorgen - wie zum Beispiel Nicole Lindner. Acht Monate ist ihr Sohn Simon jetzt, ein halbes Jahr hat sie ihn voll gestillt. Nicole Lindner ist in Altötting aufgewachsen, hat über Jahrzehnte Leitungswasser getrunken. Was sie bis vor kurzem nicht wusste: Dieses Wasser war vermutlich all die Jahre mit Perfluoroctansäure, kurz PFOA, verunreinigt. 

"Man möchte einfach als Mutter immer das beste für sein Kind, man stillt bewusst, und dann kommt sowas ans Licht. Um mich wärs gar nicht, aber was belaste ich ihn?" Nicole Lindner

Nicole Lindner wollte ihren Sohn für den großen PFOA-Bluttest anmelden. Doch sie bekam die Antwort: Kinder unter sieben Jahren dürfen an der Studie nicht teilnehmen. 

"Einfach deshalb, weil es Daten zu Säuglingen gibt, auch aus Bayern, wir kennen sehr gut, wie der Verlauf der Gehalte im Säugling ist, der ist etwas höher wenn er gestillt wird, als wenn er nicht gestillt wird, und nimmt dann aber relativ schnell ab. Sodass wir nicht denken, dass eine weitere Untersuchung von Säuglingen einen Erkenntnisgewinn bringt." Prof. Hermann Fromme, Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit

Höhere Konzentrationen im Blut von Säuglingen

Doch Studien legen auch nahe: Gerade Babys würden PFOA besonders gut aufnehmen, bis zu 15 Mal besser als Erwachsene. Und vor einigen Jahren seien im Blut von Säuglingen deutlich höhere Konzentrationen gemessen worden als bei ihren Müttern.

Der Mühldorfer Kinderarzt Ludwig Käsbauer kann die Weigerung des Landesamts deshalb nicht verstehen. Ihm zufolge wäre es gerade interessant, die Belastung bei Säuglingen und Kleinkindern über einen längeren Zeitraum zu beobachten.

"Weil genau diese Altersgruppe aufgrund spezieller physiologischer und biochemischer Abläufe PFOA anreichern und wir nicht wissen, welche Auswirkungen in einem wachsenden und reifenden Organismus dadurch langfristig ausgelöst werden. Bekannt sind Schilddrüsenfunktionsstörungen und immunologische Störungen nach Impfungen. Ob noch weiteres folgt, wird sich zeigen." Ludwig Käsbauer, Kinderazt in Mühldorf

Wie gefährlich ist PFOA?

PFOA gilt als möglicherweise krebserregend und schädlich für Fettstoffwechsel und Fortpflanzungsfähigkeit. Unklar ist aber unter anderem, ab welcher Menge es gefährlich wird.

In einem Chemiewerk in Burgkirchen an der Alz wurde PFOA legal verwendet und gelangte über Luft und Abwasser ins Trinkwasser. Seit Jahren wird die Chemikalie im Raum Altötting nicht mehr verwendet. Dennoch könnte die Belastung noch bis 2050 ansteigen. Das steht in einem Gutachten der chemischen Industrie: Danach lagert PFOA vielerorts im Boden und kann bei Regen ausgewaschen werden.

Sauberes Trinkwasser für Altötting aus anderen Landesteilen?

Um das Trinkwasser künftig sauber zu halten, hat der Altöttinger Landrat Erwin Schneider von der CSU einen fast schon revolutionären Vorschlag gemacht: Das Wasser sollte künftig in langen Leitungen aus unbelasteten Landesteilen nach Altötting gebracht werden.

"Sonst kriegen wir mit der chemischen Industrie die nächsten 100 Jahre keine Ruhe." Erwin Schneider, Landrat Altötting

Vor diesem Hintergrund will die junge Mutter Nicole Lindner jetzt bald Gewissheit: Wäre es nicht doch besser gewesen, den kleinen Simon nicht zu stillen? Professor Fromme vom Landesamt für Gesundheit beruhigt:

"Trotz der vorliegenden Belastungssituation kann man den Müttern im Landkreis Altötting empfehlen zu stillen. Die Vorteile überwiegen mögliche Nachteile deutlich. Deswegen sollten alle Mütter die ersten sechs Monate stillen, wie es auch die Stillkommission empfiehlt." Prof. Hermann Fromme, Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit

Unklare Risikobewertung

Doch genau bei dieser Stillkommission fragen wir noch einmal nach – und erhalten für den Raum Altötting die Antwort: Die Risikobewertung sei nicht so ganz trivial, also nicht so einfach. Man müsse recherchieren und benötige mehr Zeit. Damit sie zumindest ein bisschen mehr Gewissheit hat, will Nicole Lindner ihren kleinen Sohn jetzt auf eigene Kosten untersuchen lassen.

"Das geht, die Labore machen das. Man steht alleine da und man kommt allein bei den Behörden nicht weiter, Ich weiß nicht, was sich die Leute denken, ich hab einfach nur Wut, Angst." Nicole Lindner