Der Sozialdienst Muslimischer Frauen in Kempten vermittelt Frauen beim Klettern ein Stück Freiheit.
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Der Sozialdienst Muslimischer Frauen in Kempten vermittelt Frauen beim Klettern ein Stück Freiheit.

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Schwierige Jobsuche: Muslimische Frauen mit Kopftuch

Vom Mann unterdrückt, vom Vater gezwungen? Solche Vorurteile hören muslimische Frauen mit Kopftuch in Bayern häufig. Bei Bewerbungen sind sie laut Statistik benachteiligt gegenüber Frauen ohne Kopftuch.

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Über dieses Thema berichtet: STATIONEN am .

"Ich fühle mich so frei in Deutschland", sagt die Afghanin Vahide Mohammadi. "Hier dürfen Frauen arbeiten, zur Schule gehen, Sport machen." Das alles ist in Afghanistan für Frauen verboten. Seitdem die Taliban 2022 die Macht ergriffen haben, werden Frauen noch mehr unterdrückt.

Kempten: Sozialdienst Muslimischer Frauen fördert auch geflüchtete Frauen

Umso mehr freut sich Vahide Mohammadi über ihr neues Leben nach der Flucht im schwäbischen Kempten. Hier nutzt die 43-jährige Mutter die Angebote des Sozialdienstes Muslimischer Frauen (SMF). Zum Beispiel das Kletter-Training. Dazu braucht sie Mut, Selbstvertrauen, Kraft, Eigenschaften, die ihr auch im Alltag helfen. "Ich lerne gerade Schwimmen. Und Radfahren habe ich auch schon gelernt."

Kürzlich hat Vahide Mohammadi ihren Führerschein gemacht, bald möchte sie sich einen Job suchen, sobald ihr jüngster Sohn im Kindergarten ist. Freiheit bedeutet auch: Freie Entscheidung für oder gegen das Kopftuch. Vahide Mohammadi trägt kein Kopftuch. In Afghanistan müsste sie einen Tschador tragen, also einen dunklen Umhang, der nur das Gesicht freilässt. Dort ist das Kopftuchtragen ein Zwang. Umso mehr genießt sie es, in Deutschland ohne Kopftuch Sport zu machen.

Freiheit, sich für oder gegen ein Kopftuch zu entscheiden

Ayla Inan, Vorständin beim Sozialdienst muslimischer Frauen (SmF) trägt ein Kopftuch. Erst mit 33 Jahren, nach der Geburt ihrer Kinder hat sie sich dafür entschieden. "Ich trage es freiwillig", sagt sie. Ihre Familie stammt aus der Türkei, sie selbst ist in Kempten geboren und ist Medizinische Fachangestellte. Ihr und ihren Mitarbeiterinnen vom SMF Kempten ist es ganz wichtig, junge Frauen darin zu bestärken, sich frei für oder gegen ein Kopftuch zu entscheiden. "Es darf kein Zwang dahinter stehen." Das Tuch hat für sie eine spirituelle und kulturelle Bedeutung: Wer es freiwillig trägt, sollte sich zu einem friedlichen, toleranten Islam bekennen.

Ayla Inan hat selbst eine 20-Jährige Tochter, die kein Kopftuch trägt. Frauen mit Kopftuch sind bei Jobsuche benachteiligt. "Immer wieder suchen junge Frauen bei uns Rat, weil sie keinen Ausbildungsplatz bekommen", sagt Ayla Inan. Wer einen guten Schulabschluss in der Tasche hat, aber Kopftuch trägt, hat es schwer im Berufsleben.

Diese Erfahrung hat auch Ayse Cengiz aus Kempten gemacht. Trotz Abitur und Ausbildung zur Pharmazeutisch-Technischen Assistentin habe sie von 20 Apotheken eine Absage bekommen. "Es hieß dann oft, ich würde nicht ins Team passen mit meinem Kopftuch", sagt Ayse Cengiz. "So als ob ich als Muslimin mit Kopftuch nicht offen und aufgeschlossen sein könnte gegenüber anderen." Ihr Eindruck wird von aktuellen Studien bestätigt. Bewerberinnen mit Kopftuch wurden in Deutschland benachteiligt gegenüber Frauen ohne Kopftuch. Vor allem dann, wenn der Beruf Kundenservice beinhaltet, beispielsweise als Friseurin, Verkäuferin oder Rezeptionistin.

Sozialdienst Muslimischer Frauen (SMF): Weniger Vorurteile - mehr Toleranz

Ayse Cengiz hat dann doch noch einen Praktikumsplatz bekommen nach der PTA-Fachschule, mit Hilfe ihres Lehrers. Heute arbeitet die 38-jährige Mutter in der gleichen Apotheke, in der sie damals vom Senior abgelehnt wurde: Der Junior-Chef hat sie angestellt und unterstützt sie sogar durch Fortbildungen.

Die dreifache Mutter arbeitet heute Vollzeit, ihr Mann unterstützt sie bei der Kinderbetreuung und hat deswegen auf Teilzeit reduziert. "Ich bin dankbar, dass ich heute mit Kopftuch arbeiten darf, ich fühle mich frei." Nicht aufgeben, dranbleiben an den Berufszielen, diese Chance wünscht sie sich für alle Frauen - ganz egal, welcher Religion sie zugehören oder was ihr kultureller Hintergrund ist.

Mehr zum Thema "Freiheit" in der Sendung STATIONEN, am Mittwoch, 10. Mai 2023 um 19 Uhr im BR Fernsehen und in der BR Mediathek.

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