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Alltagsrassismus - die unsichtbare Gewalt

RESPEKT Alltagsrassismus - die unsichtbare Gewalt

Stand: 15.03.2022 16:54 Uhr

  • Rassismus ist, wenn man andere Menschen wegen ihrer äußerlichen Merkmale in Gruppen einteilt und benachteiligt, weil man glaubt, dass Menschen unterschiedlich viel wert sind.
  • Heute ist bewiesen, dass es beim Menschen keine Rassen gibt. Aber lange Zeit wurde mit vermeintlich wissenschaftlichen Theorien versucht zu belegen, dass es verschiedene Menschenrassen gebe.
  • Entstanden ist der Rassismus im 17. Jahrhundert. Er sollte auch den Kolonialismus der europäischen Mächte und den Handel mit Sklav:innen rechtfertigen.
  • Ob Behörden, Schule oder Medien: Die meisten weißen Menschen wachsen unbewusst mit dem Gefühl einer weißen Überlegenheit auf.

Tägliche Benachteiligung - "ganz normal"?

Polizeikontrolle in der U-Bahn: Wieder mal werden nur Menschen mit dunklerer Hautfarbe nach ihren Ausweisen gefragt. Für viele Menschen in Deutschland scheint das "normaler" Alltag zu sein: regelmäßig und anlasslos von der Polizei kontrolliert zu werden. Aufgrund der Hautfarbe oder wegen des Aussehens und des Namens anders behandelt und benachteiligt zu werden. Bei der Wohnungssuche zu wissen, dass wegen des Namens auf die meisten Bewerbungen nicht einmal geantwortet wird. Was für die weiße Mehrheitsgesellschaft unvorstellbar ist, ist für viele Menschen in Deutschland Alltag: Rassismus und Diskriminierung in Form von Benachteiligung und Beleidigungen.

"Wenn ich mal nicht in Anzug und Krawatte unterwegs bin, werde ich deutlich häufiger kontrolliert."

Blaise Francis Ndolumingo, Rechtsanwalt

Was ein Anwalt unternehmen kann

Blaise Francis Ndolumingo ist Anwalt in einer großen Firma und vertritt in seiner Freizeit kostenlos Opfer von Rassismus vor Gericht. Bei ihm gehen viele Hilferufe per Mail ein. Er sagt, ein Viertel davon betreffe den Bereich Rassismus und Polizei, die sonstigen 75 Prozent den Bereich des sogenannten Alltagsrassismus. Da gehe es um so Sachen wie Rassismus in der Schule, in der Ausbildung, bei der Jobsuche, am Arbeitsplatz, Rassismus bei der Wohnungssuche.

"Ich kann mich schon besser wehren als andere. Aber hätte ich das jetzt nicht, dann bist du einfach nur noch ein Opfer. Und dieser Willkür ausgesetzt zu sein, das macht einen kaputt. Nicht, dass ich jetzt in psychische Betreuung muss. Andere müssen das vielleicht."

Jessie Sluka, Lehrerin

Rassismus im Alltag - Bereiche

  • Rassismus zieht sich durch nahezu alle Lebensbereiche.
  • Arbeitswelt, Wohnungsmarkt, Kulturveranstaltungen, Geschäfte
  • Beispiele sind: verstärkte Kontrollen durch Security-Personal, Zutrittsverweigerung zu Clubs, weniger Karrierechancen

Wenn die Polizei Grundrechte verletzt

Prof. Dr. Tobias Singelnstein befasst sich mit der Frage, warum es regelmäßig zu Polizeigewalt gegen Menschen mit anderer Hautfarbe kommt. Er hält es für ein großes Problem, dass vielen Polizist:innen selbst nicht bewusst ist, dass sie Vorurteile haben und deshalb Nichtweiße anders behandeln als Weiße. Hinzu kommt, dass die Polizei ja den Auftrag hat, Menschen vor rassistisch motivierter Gewalt zu schützen - anstatt sich selbst schuldig zu machen. Was die Situation verschärft ist, dass es laut Prof. Singelnstein in der Polizei keine Fehlerkultur gebe. Die Polizei selbst also annehme, sie handle immer richtig.

"Natürlich ist es viel problematischer, wenn wir Rassismus in der Polizei haben, als wenn wir es in der sonstigen Gesellschaft haben. Weil die Polizei hat die Befugnisse, in Grundrechte einzugreifen."

Prof. Dr. Tobias Singelnstein, Kriminologe, Ruhr-Universität Bochum

Rassismus - statistisch "unsichtbar"

In Gesprächen mit dem Rechtsanwalt Blaise Francis Ndolumingo und mit Professor Tobias Singelnstein von der Universität Bochum wird deutlich: Rassismus in der Polizei und auch in der Justiz sind Alltag in Deutschland. Ein großes Problem ist das Fehlen von Daten, sagt Singelnstein. Niemand wisse, wie oft und wo Menschen rassistisch beleidigt, aus rassistischen Gründen angegriffen oder eben von der Polizei kontrolliert würden. Weder in den polizeilichen Kriminalstatistiken noch in anderen Statistiken wird Rassismus repräsentativ erhoben. Rassismus werde so "unsichtbar" gemacht, kritisieren sowohl Rechtsanwalt Ndolumingo als auch Professor Singelnstein. Zum Beispiel sagt Jessie Sluka, Mittelschullehrerin in München, sie sei in ihrem Leben etwa 300 Mal anlasslos von der Polizei kontrolliert worden. Unsere Moderatorin, etwas jünger und weiß dagegen wurde in ihrem Leben bisher noch kein einziges Mal anlasslos von der Polizei kontrolliert.

Was der Staat unternehmen kann

Zwei Beispiele, die laut Rechtsanwalt Blaise Francis Ndolumingo schon einen Unterschied machen würden: Wenn Polizist:innen nicht mehr ihre Bodycams einfach ausschalten könnten, sobald Gewalttaten passieren. Dann gäbe es eine objektive Darstellung des Ablaufs. Zweites Beispiel: Vermieter machen sich nur dann strafbar durch diskriminierendes Verhalten beispielsweise bei der Vermietung von Wohnungen, wenn sie mehr als 50 Wohnungen besitzen. Absurd aber wahr. Mit weitreichenden Folgen für Wohnungssuchende mit dunklerer Hautfarbe, Kopftuch oder ausländisch klingendem Namen.

Autorin: Monika von Aufschnaiter

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