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Psychologie Tipps für die Pflege von Angehörigen

Wird jemand pflegebedürftig, kommt er nicht unbedingt in ein Heim, sondern oft auch zu Verwandten, die ihn bei sich pflegen. Eine Aufgabe, die die Betroffenen vor große Herausforderungen stellt und ihnen einiges abverlangt. Nicht selten kommen sie selbst viel zu kurz - manche schlittern sogar in einen Burnout. Was können pflegende Angehörige, deren Familienmitglieder und Freunde also tun, um diese schwierige Zeit möglichst gut zu meistern? Tipps von Familientherapeutin Birgit Salewski.

Stand: 08.04.2024

Eine Pflegerin hält die Hände einer Seniorin. | Bild: BR/Johanna Schlüter

Woran liegt es, dass überwiegend Frauen einen Familienangehörigen pflegen?

Birgit Salewski: "Viele unserer Beschäftigungsverhältnisse weisen darauf hin, dass sich Frauen, die in Teilzeit arbeiten, mit dem anderen Teil ihrer Zeit der Familie widmen und hier Betreuung, Versorgung und Pflege sicherstellen sollen. Und das erst einmal unabhängig davon, ob es sich um Kinder, Enkel oder eben kranke und pflegebedürftige Angehörige handelt.
Wir alle sind vermutlich so geprägt, dass wir davon ausgehen, Pflegeversorgung und Betreuung seien eher Aufgaben von Frauen. Meiner Auffassung nach hinterfragen wir dies alle viel zu wenig und ringen auch viel zu wenig um eine gerechtere Aufteilung."

Wird ein Familienangerhöriger pflegebedürftig, stellt das meist das gesamte Umfeld vor große Herausforderungen. Welche sind das?

Birgit Salewski: "Wenn ein Familienmitglied, egal ob jung oder alt, pflegebedürftig wird, ist dies für alle Beteiligten eine Herausforderung. Auf der einen Seite muss sich der Mensch, der nun auf Hilfe angewiesen ist, mit dieser neuen Lebenssituation arrangieren und damit zurechtkommen. Wer dauerhaft auf Pflege angewiesen ist, erlebt auch den dauerhaften Verlust von Selbstständigkeit und Unabhängigkeit. Je nachdem, wie stark die Einschränkungen sind, verändert sich das Leben der Betroffenen massiv. Dies zu erfahren, zu verarbeiten und dann auch noch nach Hilfe fragen oder Selbsthilfe organisieren zu müssen, gleicht für viele Menschen einer Krise.

Die Angehörigen auf der anderen Seite, sind aufgerufen, sich der neuen Hilfsbedürftigkeit gegenüber zu positionieren. Dabei ist auch wieder zu unterscheiden zwischen Menschen, die mit dem Pflegebedürftigen im gleichen Haushalt leben, Menschen, die auch rechtlich in der Verantwortung sind, sich zu kümmern, und Menschen, die freiwillig entschieden haben, an der Seite von Pflegebedürftigen zu sein und diese zu unterstützen.

Werden zum Beispiel innerhalb einer Familie die Eltern pflegebedürftig, stellt dies auch die bisherigen Rollenverteilungen auf den Kopf. Der Vater oder die Mutter werden nun unselbstständiger, brauchen Hilfe bei der Entscheidungsfindung, in bürokratischen und finanziellen Angelegenheiten, bei der Haushaltsführung und Erledigung alltäglicher Dinge. Erwachsene Kinder übernehmen hier nun Aufgaben der Eltern, die bisher im Verantwortungs- und damit Hoheitsbereich der Eltern lagen. Die Verantwortung verschiebt sich damit von den Eltern hin zu den Kindern. Hier können Konflikte entstehen: Wollen Eltern die Hilfe überhaupt, oder glauben sie, alles noch alleine zu schaffen? Gab es zuvor schon Gespräche und wurden Regelungen getroffen? Gibt es Konflikte unter den erwachsenen Geschwistern?
Kompliziert wird es vor allem dann, wenn es schon Konflikte in der Familie gab, die nun durch die für alle belastende Situation noch verschärft werden.

Zusammengefasst kann man sagen, dass die Situation für alle Beteiligten extrem stressbelastet ist. Das liegt an der Zusatzbelastung und den Sorgen, die sich Angehörige um die Betroffenen machen, aber auch an der neuen Rollenfindung innerhalb des Familiensystems und der dazu notwendigen Gespräche und Austauschprozesse."

Besteht die Gefahr, dass pflegende Angehörige in einen Burnout schlittern?

Birgit Salewski: "Viele pflegende Angehörige übernehmen die Pflege ganz allein oder haben nur eingeschränkte Unterstützung, etwa durch Pflegedienste. Die Hauptverantwortung liegt also meist bei den Angehörigen, was zu einer hohen Belastung führt. Besonders wenn finanzielle Ressourcen beschränkt sind, sind die Pflegebedürftigen auf die Unterstützung durch ihre Angehörigen angewiesen. Wenn diese aber zum Beispiel selbst Familie haben, berufstätig sind oder einfach nur schlicht ihr eigenes Leben leben, führt dies zu einer Doppel- oder Dreifachbelastung. Und das oft über Monate oder sogar Jahre hinweg. Hier kann ein Burnout die Folge sein."

Was rätst Du pflegenden Angehörigen?

Birgit Salewski: "Allen Angehörigen kann ich raten, sich frühzeitig und umfassend beraten zu lassen, besonders was finanzielle Unterstützung und pflegerische Entlastung betrifft. Es gibt in den Landkreisen fantastische Beratungsstellen für pflegende Angehörige und auch im Internet viele Möglichkeiten, sich zu informieren und beraten zu lassen. Nutzen Sie das! Es ist wichtig, dass Sie nicht versuchen, alles allein zu schaffen, sondern früh anfangen, über die sich verändernde Lebenssituation zu sprechen, das eigene Umfeld zu informieren, konkret Hilfe zu installieren und auch anzunehmen."

So eine Situation belastet meist auch das Verhältnis unter Geschwistern, beispielsweise wer sich um was kümmert. Was rätst Du in diesem Fall?

Birgit Salewski: "Geschwistern, die sich gemeinsam zum Beispiel um ihre Eltern kümmern, kann ich nur raten, sich früh und schnell zusammenzutun und zu versuchen, diese Aufgabe gemeinsam zu bewältigen. Oft stehen räumliche Entfernung, unterschiedliche Lebensentwürfe und -abschnitte oder auch alte Konflikte im Weg.

Hier kann ich nur sagen: Raufen Sie sich zusammen! Sobald die Eltern pflegebedürftig sind, wird ein neues Kapitel aufgeschlagen. Und gleichzeitig gilt es nun, für die entstandene Situation gemeinsam Lösungen zu finden. Sprechen Sie offen und transparent darüber, was Sie individuell leisten können und wollen, und wofür andere (Pflege-) Dienste beauftragt werden müssen. Hier dürfen sich meiner Meinung nach Geschwister unterschiedlich positionieren, aber sie dürfen sich nicht der gemeinsamen Lösungssuche verweigern."

Wie verhalten sich andere Familienmitglieder und Freunde am besten?

Birgit Salewski: "Pflegende Angehörige sollten andere Familienmitglieder und Freunde früh in die veränderte Lebenssituation einweihen. So haben auch Freunde und andere Angehörige die Möglichkeit, für Entlastung zu sorgen. Es muss keine große Entlastung sein. Manchmal reicht schon jemand zum Reden oder jemand, der zumindest mitbekommt und anerkennt, was ein pflegender Angehöriger den ganzen Tag leistet und verantwortet."

Viel Erfolg mit den Tipps wünschen Birgit Salewski und "Wir in Bayern"!


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