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Psychologie Jammern und meckern – alles eine Frage der Dosis?

Der Nachbar macht schon wieder zu laut Musik, in den Nachrichten hört man nur noch von Katastrophen und überhaupt, die Semmeln vom Bäcker waren auch schon mal besser. Ist es gesund, in diesen Situationen richtig Dampf abzulassen? Oder welche Gedanken könnten mich, abhalten, mein Nörgeln zu reduzieren? Familientherapeutin Brigit Salewski erklärt, warum manchen Menschen viel jammern und meckern und was man tun kann, wenn man von einem Dauernörgler umgeben ist.

Stand: 20.10.2022

Meckern und Jammern haben nicht gerade einen guten Ruf. Warum eigentlich?

Brigit Salewski: "Meckern und Jammern können unterschiedliche Funktionen haben, aber eines ist ihnen gemeinsam: Meistens hat beides einen Gefühlausdruck, den wir als Gegenüber oder Beobachter eher mit negativen Gefühlen in Verbindung bringen: Genervtheit, Überlastung, Wut, Angst, Unzufriedenheit, Gereiztheit. Von diesen Gefühlen wollen wir ja tendenziell eher weniger in unserer Umgebung haben. Damit übersehen wir aber die Funktionen, die das Gemecker und Jammern auch haben kann."

Welche Funktionen kann Jammern haben?

Brigit Salewski: "Als Familientherapeutin versuche ich herauszufinden, wofür bestimmte Phänomene in unserer Interaktion auch gut und sinnvoll sind. Denn alles, was wir tun, hat oft auch einen guten Grund. Manchmal sehen wir diesen nur nicht gleich und er bleibt uns verborgen.

Jammern kann mehrere Funktionen haben:

  1. Jammern zur Entlastung: Es dient zur eigenen Entlastung und zum Abbau von Stress und Anspannung. Nach dem Motto: Ich muss loswerden, was mich momentan belastet. Und das Teilen mit anderen Menschen entlastet tatsächlich. Also ein guter Grund, mal loszujammern.
  2. Jammern, um in Kontakt zu kommen: Hier dient das Jammern und Meckern der Kontaktaufnahme zu anderen Menschen. Zudem dient es dem Abgleich, ob man die jeweilige Situation möglicherweise gleich beurteilt oder gleich belastend empfindet. Dies schafft zum einen eine Kontaktmöglichkeit und zum anderen auch eine Zugehörigkeit.
  3. Jammern aus Solidarität: Hier haben wir den Fall, dass wir uns von anderen Jammerern anstecken lassen und mit ihnen jammern, um unsere Solidarität und Loyalität zu bekunden. Also hat dies auch eine soziale Funktion, denn dadurch versichern wir unserem Gegenüber: Du bist damit nicht alleine, mir ergeht es ähnlich.
  4. Jammern, um Aufmerksamkeit zu erhalten: Hier geht es beim Jammern darum, dass sich andere Menschen uns zuwenden, uns Trost und Anerkennung aussprechen, sich um uns kümmern oder uns helfen."

Woran liegt es, dass manche Menschen besonders viel Dampf ablassen und andere sich sehr in Zurückhaltung üben?

Brigit Salewski: "Grundsätzlich haben Menschen ein unterschiedliches Temperament. Manche sind impulsiver, andere sind gelassener. Dazu sind manche Typen eher extrovertiert, teilen sich gerne und viel mit. Andere Menschen sind eher introvertiert und lassen weniger von sich raus. Darüber hinaus haben Menschen vielleicht auch gelernt, dass es ihnen guttut, Dampf abzulassen. Andere Menschen nutzen wiederum ihre Energie eher anders und überlegen früher: Was kann ich denn nun tun, damit es mir bessergeht? Sie finden schneller und ruhiger Lösungen."

Wer meckert, ist mit etwas unzufrieden. Ist es dann nicht besser, dass diese Unzufriedenheit rausgelassen wird, indem man mal etwas Dampf ablässt?

Birgit Salewski: "Meckern und Jammern können eine wichtige Funktion haben. Aber für mich wäre die Frage: Was passiert danach? Beruhigt sich jemand und findet Lösungen für seinen Stress, sein Unbehagen, seine Belastung oder Wut? Oder findet jemand gleich wieder den nächsten Aufreger, um sich mal richtig über alles auszulassen? Dann richtet sich der Fokus möglicherweise zu sehr nach außen. Letztlich schaffen es auch kleine Begegnungen, Informationen oder Situationen, dass ich mich sehr und anhaltend über andere aufrege, anstatt zu überlegen, was mir selbst guttäte. Wo sind Veränderungsmöglichkeiten und wo liegt meine Verantwortung? Wer sich vom Außen so triggern lässt, ist manipulierbar. Das kann ebenso wütend machen und ein Gefühl des Ausgeliefertseins auslösen. Hier ist es wichtig, inne zu halten und zu reflektieren: Worum geht es mir eigentlich? Was will ich mit meinem Gemecker eigentlich bewirken?"

Ist zu viel Gemecker schlecht für die Gesundheit?

Brigit Salewski: "Wenn man sich in einer Spirale aus Negativität, Beklagen und Anschuldigen befindet, kann dies die eigenen Gefühle anhaltend beeinträchtigen. Man kann sich die negativen Gefühle sozusagen herbeijammern und nur noch das Schlechte, Besorgniserregende und Ängstigende wahrnehmen. Das verengt unseren Fokus. Die schönen Seiten des Lebens werden ungleich kleiner und rücken in den Hintergrund. Das ist nicht hilfreich. Denn neben allem, was uns momentan ja auch zurecht besorgt, gibt es bestimmt auch noch die guten Dinge im Leben, die parallel existieren dürfen. Wer diese innere Freiheit hat, das Gute zu sehen und das Schlechte zu beklagen, kommt wieder in Balance."

Welche Dosis an Jammern, Meckern, Fluchen ist gut? Und ab wann wird es schwierig?

Birgit Salewski: "Sobald wir den Respekt vor anderen verlieren, wird es für unsere Beziehungen brenzlig. Und damit meine ich auch, wenn beispielsweise unsere Lebenspartner, Angehörige oder Freunde signalisieren: Mir ist es gerade zu viel, Dir noch weiter zuzuhören. Dann braucht es Pausen und manchmal Ablenkung, damit Beziehungen nicht von Gejammer und Gemecker überfrachtet werden. Wenn jemand in Beschimpfungen ausartet oder verletzend handelt, ist die Reißleine zu ziehen. Denn davon hat niemand mehr etwas."

Was würdest du jemandem raten, der/die nicht mehr meckern will, sondern viel lieber positiv denken würde und Besonnenheit demonstrieren will?

Brigit Salewski: "Wenn ich mich selbst ertappe oder auch die Rückmeldung erhalte, dass ich zu viel meckere, dann ist es hilfreich, zu reflektieren:

  1. Was ist es denn genau, was mich gerade sobelastet? Sind es Sorgen um die Kinder oder die Finanzen? Habe ich Stress im Job oder mit anderen Menschen? Finde ich für ein Problem gerade keine Lösung?
  2. Was erhoffe ich mir vom Gemecker? Dass sich jemand anders verhält? Dass ich Dampf ablasse? Will ich Aufmerksamkeit oder Hilfe von jemandem? Oder ist es in meiner Familie quasi Teil der Familienkultur, dass man erstmal meckert?
  3. Wenn ich mir klargeworden bin, was das Problem ist und welche Funktion das Gejammer oder Gemecker hat, dann kann ich überlegen, was ich stattdessen tun kann. Brauche ich Hilfe, kann ich darum bitten. Auch wenn dies vielleicht das erste Mal ist, dass ich das tue. Will ich Dampf ablassen? Wo kann ich das tun, ohne meine Angehörigen anzumeckern? Manchmal helfen ein Boxsack, Sport oder Holzhacken ebenso."

Gibt es etwas, das man beim Meckern beachten sollte?

Brigit Salewski: "Wie immer gilt auch beim Meckern: alles in Maßen. Momentan ist die Welt voll von besorgniserregenden Nachrichten. Da habe ich viel Verständnis, wenn man mal meckert oder jammert. Und gleichzeitig müssen wir uns auch um den Zusammenhalt und das Mitmenschliche bemühen. Das fällt nicht vom Himmel, sondern muss aktiv von uns hergestellt werden."

Wie sieht es im umgekehrten Fall aus, wenn man nicht selbst die meckernde Person, sondern von einem Dauernörgler umgeben ist? Das kann die eigene Stimmung ganz schön drücken. Hast du Tipps, wie man sich davon abgrenzen kann, ohne gleich die Freundschaft zu kündigen?

Brigit Salewski: "Da gilt es, innerlich ruhig zu bleiben und auch mal Anerkennung und Trost auszusprechen. Wenn Menschen belastet sind, reicht es nicht, schnell das Thema zu wechseln, weil sie sich dann übergangen und nicht wahrgenommen fühlen können. Aber oft steckt ja etwas hinter dem Jammern. Danach kann man fragen: Was sorgt Dich? Was belastet Dich? Zum andern kann man Anerkennung und Trost spenden und auch - falls möglich - Hilfe anbieten.
Zudem ist es gut, Menschen auch auf andere Gedanken zu bringen, etwas Abwechslung und Ablenkung zu fördern, damit die Gedanken auch mal um andere Themen kreisen und die Gefühlslage wieder positiver werden kann.
Und wenn es einem zu viel wird, dann ist es gut, auch Grenzen aufzuzeigen: Ich höre Dir gerne zu, aber für heute ist es mir zu viel. Ich möchte gerne auch von mir erzählen oder über etwas Anderes sprechen."

Was tun, wenn die beste Freundin/der beste Freund, einen ständig als "Mülleimer" für den eigenen Unmut und Frust benutzt?

Brigit Salewski: "Hier ist die Frage, ob das situativ ist, weil meine Freund*in gerade in einer herausfordernden Situation steckt, oder ob das wirklich immer so ist.
Bei Letzterem entsteht eine Dynamik, die irgendwann als Disbalance empfunden wird. Dem kann man entgegenwirken, indem man aktiv von sich spricht, den Kontakt sucht, über die Art sowie die Intensität der Kontakte und auch über die Themen mitentscheidet. Man lässt sich dann nicht mehr so schnell überfluten von den Themen des anderen.
Auch kann man das Gespräch suchen und mitteilen, dass man sich zwar gerne die Sorgen des anderen anhört, aber ein Ungleichgewicht entstanden ist. Weil es eben immer nur darum geht, oder weil es einfach zu viel wird. Gesunde Freundschaften finden nach so einem Gespräch zurück in eine Balance."

Viel Erfolg mit den Tipps wünschen Birgit Salewski und "Wir in Bayern"!


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