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Psychologie Kein "Wir" mehr – Tipps für Alleinerziehende

Die Zahl der Eltern, die ihr Kind allein erziehen, ist in den letzten Jahren stark gestiegen. Mehr als 20 Prozent aller Eltern sind Alleinerziehende. Der neue Alltag bedeutet für viele Eltern Stress und Angst vor der großen Aufgabe. Besonders in den ersten Wochen nach einer Trennung oder einem Verlust sind die Befürchtungen häufig groß, Leben und Erziehung nicht alleine hinzubekommen. Oftmals ist das Geld knapp, die Wohnungssuche ist anstrengend und das gesellschaftliche Ansehen leidet. Tipps von Familientherapeutin Birgit Salewski.

Stand: 01.02.2023

Eine Mutter geht mit einem Kleinkind und einem Baby im Kinderwagen spazieren. | Bild: stock.adobe.com/tina7si

Was sind die häufigsten Trennungsgründe einer Partnerschaft?

Birgit Salewski: "Die wichtigsten Trennungsgründe sind die schweren Vertrauensbrüche wie Affären, Lügen und Veruntreuung. Dazu zählt nicht ein einmaliges Schwindeln oder ein kleiner Flirt, bei dem unterm Strich 'nichts Körperliches' passiert ist. Weitere Trennungsgründe sind zu starke Routinen, die keine Aussicht auf Veränderung bieten sowie zu viel Streit und Konflikte im Alltag. Mangelnde Kommunikation und zu wenig Zeit füreinander sowie keine gemeinsame Zukunftsvision zu haben, folgen dann als ebenso bedeutsame Trennungsgründe."

Was sind Deine wichtigsten Ratschläge für Paare, die sich zu einer Trennung entschlossen haben?

Birgit Salewski: "Das Wichtigste scheint mir, dass beide Seiten nach wie vor mit allen Mitteln versuchen sollten, nicht den gegenseitigen Respekt zu verlieren. Viele Menschen erleben in Trennungen unschöne Situationen oder stehen vor existenziellen Fragen. Da sind große Gefühle natürlich nicht weit. Aber zu versuchen, den anderen nicht zu beschädigen und sich selbst zu regulieren, ist gut für den eigenen Selbstwert.
Zudem ist es wichtig, auch gleichermaßen Verantwortung für die gemeinsame Vergangenheit zu übernehmen – sei es die gemeinsamen Kinder, berufliche Verbindungen oder soziale Netzwerke. Hier bestehen Verbindungen und Verpflichtungen, die unabhängig einer Trennung weiter existieren."

Eine besondere Situation nach einer Trennung kann sein, dass Mutter oder Vater alleinerziehend werden. Welche ersten Herausforderungen sind dabei zu meistern?

Birgit Salewski: "In Deutschland steigt die Zahl der Kinder, die überwiegend mit einem Elternteil leben. Es ist also eine in der Anzahl wachsende Familienform. Und gleichzeitig ist dies für viele Alleinerziehende und damit die Kinder oft kein Dauerzustand, sondern eine vorübergehende Phase, weil es vielleicht eine neue Partnerschaft geben wird, die eine neue Stieffamilie zur Folge hat.
Die Situation von Einelternfamilien ist sehr unterschiedlich: Viele leben gut und sozial hervorragend eingebunden, haben eine gute Elternallianz zum anderen Elternteil und auch genügend finanzielle Mittel. In anderen Familien hingegen kommt alles zusammen: möglicherweise die Verarbeitung eines Schicksalsschlags, wenn beispielsweise die Trennung traumatisierend war oder ein Partner gestorben ist, wenig Geld, Überlastung, mangelnde soziale Unterstützung und vielleicht auch noch die Erfahrung von Stigmatisierung."

Worauf sollten Alleinerziehende langfristig achten?

Birgit Salewski: "Ich würde allen Alleinerziehenden raten, schnell über ihren Schatten zu springen und bei Menschen, denen sie vertrauen, nach Unterstützung zu fragen – egal ob Nachbarn, Verwandte oder Freunde. Jeder kann etwas leisten. Man darf nur nicht darauf bauen und erwarten, 'entdeckt' zu werden. Zudem gibt es auch einige finanzielle Hilfen sowie Beratungsangebote für Alleinerziehende. Hier sollte sich jeder schnell schlau machen.
Langfristig sollten Einelternfamilien weitere Erziehungspartner gewinnen. Ideal ist natürlich das andere Elternteil. Hier sollte die Verantwortungsübernahme (wenn möglich) eingefordert werden. Aber darüber hinaus braucht man eine Hand voll Menschen, die einem als Netzwerk zur Seite stehen und schlicht das Leben teilen. Dahin entwickeln sich ja ebenso viele Familienformen jenseits von Verwandtschaftsbeziehungen."
https://www.elterngeld.de/finanz-tipps-fuer-alleinerziehende/
https://www.familienland.bayern.de/themen/alleinerziehend/index.php
https://www.schwanger-in-bayern.de/familie/allein/hilfen
https://www.vamv.de/vamv-startseite

Wie können Familie, Freunde oder Kollegen Alleinerziehende unterstützen?

Birgit Salewski: "Wir alle sollten uns Menschen, egal ob Alleinerziehende oder Kernfamilie, fragend nähern: Wie geht es Dir und Euch? Kann ich etwas tun für Euch? Alle, die Verantwortung für Kinder haben, brauchen hier und da mal Hilfe und Unterstützung, Kollegen die einspringen oder schlicht Verständnis. Meine Erfahrung ist, dass man Menschen, die hauptsächlich alleine im Alltag mit Kindern leben, sehr gut fragen kann, wie es ihnen geht und wo sie (gerade bei der Kinderbetreuung) Hilfe brauchen."

Was müsste sich an politischen und gesellschaftlichen Angeboten ändern, damit Alleinerziehende mehr Unterstützung und Zusammenhalt erfahren? 

Birgit Salewski: "Wir alle können etwas tun, Stigmatisierung abzubauen. Ich würde mich freuen, wenn wir analog der Frauenquote eine Elternquote in Teilzeit in Unternehmen hätten. Und zwar mit Gehältern, dass auch Einelternfamilien mit einem Teilzeitjob über die Runden kommen können. Darüber hinaus sollten situative Hilfen für Einelternfamilien schnell und unbürokratisch ermöglicht werden."

Viel Erfolg mit den Tipps wünschen Birgit Salewski und "Wir in Bayern"!


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