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Meinung Das Rolling Loud Germany war ein Desaster aus Chaos, Hitze und Aggressivität

Am Wochenende hat in München-Riem das erste Rolling Loud Festival Deutschlands stattgefunden. 40.000 Menschen sind zusammengekommen, um HipHop zu feiern. Doch was vielversprechend klang, wurde am Ende zum Desaster. Ein Augenzeugenbericht.

Von: Alba Wilczek

Stand: 10.07.2023

Rolling Loud Deutschland | Bild: picture alliance/dpa | Karl-Josef Hildenbrand

Einer meiner allerersten Eindrücke vom Rolling Loud Festival Germany ist das vor Panik verzerrte Gesicht eines Security-Mitarbeiters. Ich komme über den Presseeingang aufs Festival, der direkt in den ersten Wellenbrecher führt, also in das erste abgesperrte Areal vor der Hauptbühne. Dort treffen meine Festivalbegleitung und ich auf eine Wand aus Menschen, die ein Ziel hat: zu uns hinter die Absperrung. Ich beobachte, wie die Menschen gegen die Zäune drängen, viele haben rote Köpfe, es ist bullenheiß und kein Schatten weit und breit.

Sind wir hier bei Woodstock '99?

Der Security-Mitarbeiter, auf den ich mich fokussiere, steht direkt vor der Masse, auf den Barrikaden. Er guckt panisch in unsere Richtung, schreit nach seine Kollegen: In der Menschenmasse vor ihm würden Menschen erdrückt, er brauche Hilfe, er könne sie nicht halten! Ich bleibe stehen und sehe, wie in der Masse Körper übereinander klettern und auf die Container daneben steigen. Unweigerlich muss ich an die Bilder der Loveparade-Tragödie in Duisburg denken. Was passiert hier gerade?

Und dann geht plötzlich alles ganz schnell: Die Masse bricht durch die Bauzäune, das Security-Personal wird weggedrängt und 100 große junge Männer rennen im Vollkaracho auf uns zu, Richtung Bühne. Vereinzelt bekommen Ordner die Männer zu fassen, liefern sich Prügeleien miteinander, direkt neben uns. Einige werden sogar direkt aus dem Gelände gezerrt. Ich habe genug sehen. Meine Begleitung und ich verlassen fluchtartig den ersten und auch den zweiten Wellenbrecher. Auf einem Turm weiter hinten atmen wir schließlich durch. Wo sind wir hier nur gelandet? Woodstock '99? Aber von vorne.

Mutiges Line Up - aber kein erfolgreiches Festival

Rolling Loud ist mit der Münchner Edition am Wochenende zum ersten Mal nach Deutschland gekommen. Das 3-Tages-Festival hat eigentlich als Tagesevent in Miami, Florida gestartet - die zwei Freunde Matt Zingler und Tariq Cherif haben es 2015 ins Leben gerufen. Über die Jahre ist Rolling Loud zu einem Multi-Million-Dollar-Event mutiert. Das Line Up ist - auch auf der Münchner Messe - hochkarätig. Auf zwei Bühnen sind am Wochenende Trap-Stars wie Travis Scott und Lil Uzi Vert, Rap-Superstars wie Kendrick Lamar und Gucci Mane - und viele weitere HipHop-Acts aufgetreten.

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Wizkid - Essence (Official Video) ft. Tems | Bild: WizkidVEVO (via YouTube)

Wizkid - Essence (Official Video) ft. Tems

Besonders mutig - der Headliner am Freitag: Es spielt der nigerianische Afrobeats-Superstar Wizkid. Afrobeats ist in Deutschland noch kein Genre was viel Umsatz macht, viele haben Wizkid hierzulande noch gar nicht auf dem Schirm.

Zu dem Booking-Risiko kommt, dass es Festivalveranstaltende gerade überhaupt sehr schwer haben. Faktoren dafür: das Post-Corona-Ticketkaufverhalten und die hohe Inflation. Viel Druck, ganz klar. Aber Rolling Loud wird von der Konzertmaschine Live Nation ausgerichtet, einem erfahrenen Unternehmen, das weltweit viele große Events veranstaltet - erfolgreich. Eigentlich. Denn das, was sich da am Wochenende auf der Messe in München abgespielt hat, war weit entfernt davon.

Die Orga

Die Rolling Loud-Gründer Tariq Cherif und Matt Zingler.

Meine Kollegin und ich sind am zweiten Festivaltag bereits "gewarnt" aufs Rolling Loud gekommen: Am Vortag musste die Zweitbühne, die "Splash Stage!", gesperrt werden. Die Gründe: Zu viele Menschen im ersten Wellenbrecher und eine Crowd, die aus Wut Steine auf Security-Mitarbeiter geworfen haben. Als wir am Samstag dann nach den ersten Horror-Eindrücken in Ruhe auf dem Turm ankommen und das Konzert der Rapperin Glorilla schauen wollen, die nächste Panne: Der Bildschirm der Main Stage wird auf einmal schwarz und Glorilla verschwindet ohne ein weiteres Wort hinter der Bühne.

Was dann folgt, hat keinen professionellen Eindruck hinterlassen. Andre Lieberberg, der deutsche Veranstalter, und Rolling Loud-Mit-Gründer Matt Zingler betreten die Bühne und reden gemeinsam auf die Menschen im ersten Wellenbrecher ein: Die Konzerte können nicht weitergehen, denn die Kapazität für den Bereich vor der Bühne sei überschritten, es müssen Leute raus. Die Ansagen der zwei Männer wirken amateurhaft, ja geradezu unangenehm. Der Deutsche Veranstalter nennt die Menschen vor ihm in jedem zweiten Satz "Kinder" und Matt Zingler ruft "Please get the fuck out" in die Menge. Über eine Stunde lang versuchen die beiden verzweifelt eine "entspannte" Stimmung zu schaffen, aber gleichzeitig Leute zum Gehen zu bewegen. And dieser Stelle wäre das Festival fast abgebrochen worden, wissen wir heute.

So einer Situation hätte, ja, muss man besser vorbeugen. Auf den großen Festivals, die ich besucht habe, gab es auf jeder Stage immer eine Art Moderator. Eine Bezugsperson, quasi, die deeskaliert, die Leute anweist und Orientierung gibt, die immer wieder erklärt, wo das Awareness-Team sitzt, oder wo die Notausgänge sind. So eine Person gab es beim Rolling Loud nicht bzw. waren die Personen, die sich der Aufgabe gestellt haben, nicht die richtigen für den Job.

Besuchende auf dem Messegelände München.

Dazu kommt die Security-Situation: Ich höre mehrere Gespräche mit an diesem Samstag, viele Mitarbeitende der Security fühlen sich allein gelassen, nicht genug gebrieft und ausgeliefert, besonders im ersten Wellenbrecher.

Ein kleiner Pluspunkt des Festivals: die Toiletten- und Essenssituation. Dixies und Container-WCs sind auf dem Gelände mehr als genug verteilt, gefühlt werden sie minütlich gereinigt. Außerdem gibt es Trinkwasser-Stationen, die umsonst zu benutzen sind, und genügend Essensstände - wenn auch mit teuren Preisen. Schatten sucht man auf dem Gelände jedoch weit und breit. Während meines Besuchs habe ich drei Menschen umkippen sehen, habe Menschen beobachtet, die sich eng an Bauzäune oder oder unter die 4 Bäume auf dem Riesenparkplatz quetschen um ein bisschen Schutz zu bekommen, ich begegne außerdem eine Menge an besorgniserregenden Sonnenbrand-Nacken und -Köpfe. Ein Spaziergang über das Gelände fühlt sich an wie eine lieblos produzierte Dauerwerbesendung. Die vielen Promo-Stände, - Türme und -Zelte von Marken sind trostlos auf dem Beton-Parkplatz verteilt, nirgends findet sich Liebe zum Detail, oder echte Deko. Ganz klar, Kommerz bis ins Äußerste.

Die Crowd

Ja, das Rolling Loud spricht den Mainstream an. Die Crowd ist, überspitzt formuliert: Jung, männlich, testosterongeladen. Das ist ein Festival für so eine typische Trap-Crowd - denn das Rolling Loud hat viele Trap-Acts gebucht. Trap ist ein HipHop-Subgenre, das um 2015 in den Südstaaten der USA entstanden ist. Die Texte sind hart, die Beats ebenfalls, es geht viel um Drogen, ums High sein und um Gewalt. Als jemand, die sich in der HipHop-Szene viel bewegt, weiß ich: Wenn es um Trap geht, steigt das Risiko für Aggressivität und Rücksichtslosigkeit.

Oft habe ich das Gefühl, es geht manchmal weniger um die Musik an sich, sondern nur um die Ekstase und die Moshpits, das gemeinsame Ausrasten und Herumspringen als Menschenball in einer Menge. Eine Dynamik, die durchaus gefährlich werden kann, wie man beispielsweise bei der Katastrophe im Zuge des Astroworld-Festivals von Rapper Travis Scott sehen konnte - der Trap-Star war am Sonntagabend übrigens der letzte Act auf dem Rolling Loud Germany.

Besonders deutlich wird mir eine gewisse "Musikverdrossenheit" der Crowd während des Konzerts von Kendrick Lamar. Am Samstagabend legt er eine fast Theaterstück-ähnliche Show auf die Bühne, zwischen den Songs gibt es Spoken-Word-artige Interludes. Großartig. Doch dort wo ich stehe und im Nachklapp höre ich viele Stimmen, die sagen: "Das war ja jetzt gar nicht so krass, wie ich dachte, er hat aktiv gar keine Moshpits aufgemacht und voll viel ohne Beat gerappt, voll langweilig."

On Top spreche ich mit mehreren Personen im Laufe des Wochenendes darüber, wie sie sich so fühlen auf dem Gelände. Fast alle Frauen berichten, sie nehmen überdurchschnittlich viele Männern wahr, sie fühlen sich unwohl, und nicht sicher. Gerade in den Wellenbrechern, in die viele sich erst gar nicht getraut haben. Auch von den anwesenden Awareness-Teams hätten einige zu wenig mitbekommen oder gesehen - auch hier wäre eine Ansprechperson oder -station hilfreich gewesen. Einige Frauen berichten sogar davon, ständig angegraben und angefasst zu werden. Ich selbst finde es sehr auffällig, wie wenig Menschen dort teilweise aufeinander achten.

Ich bin mir sicher, dass die Veranstaltenden die Risiken und die potentielle Dynamik auf dem Schirm hatten, jedoch habe ich nicht das Gefühl, dass sie alle möglichen Register gezogen haben um eine Crowd wie die, die sie mit ihrem Booking angezogen haben, in Zaum zu halten. Das ist schade, denn andere HipHop-Festivals wie das Splash! oder das Frauenfeld schaffen das auch.

Fazit

Viele Umstände haben am Ende insgesamt dazu geführt, dass das erste Rolling Loud von aggressiven Ausschreitungen, Orga-Chaos und einem Kampf mit der Hitze geprägt war. Auf Google hat das Festival am Montag danach eine Bewertung von 1,7 Sternen - ganz anders als in der Pressemitteilung von Live Nation. Darin wird von einer "weitestgehend reibungslosen" Veranstaltung gesprochen. Veranstaltende? Nix falsch gemacht. Orga? Bestmöglich. Sicherheitskonzept? Ausreichend. Es wird also ein "Passt schon"-Stempel daruntergesetzt.

Marek Lieberberg nennt im Interview mit der SZ die Kritik "überzogen" und zeigt sich irritiert über die Reaktionen und Bedenken der Münchner Behörden am Festivaltag und danach, er freue sich auf nächstes Jahr. Ich hoffe wirklich, dass die Veranstaltenden die Kritik ihrer Besuchenden und Beteiligten annehmen und nächstes Jahr vielleicht sogar auf ein alternatives Gelände ausweichen. Hoffentlich dann mit weniger traumatisierten Securities, mehr Schatten und mehr Charme.