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20 Jahre "Mein Block" von Sido Als Deutschland anfing, sich vor Deutschrap zu fürchten

Er war der fluchende Typ mit der Totenkopf-Maske, der von Ghettos rappte, die niemand sehen wollte. Wie Sido mit einem Song seine Hood und sich selbst bekannt machte – und was aus "seinem" Block, dem Märkischen Viertel, heute geworden ist.

Von: Falk Schacht

Stand: 05.04.2024 | Archiv

Der Rapper Sido hat eine Maske auf und schaut auffordernd direkt in die Kamera.  | Bild: ZB | Andreas Lander

Während man Ende der 1990er Jahre noch ein "Liebeslied" wollte und es dann von den Beginnern bekam und andere im Freundeskreis noch "Esperanto" lernte, da tauchte aus den dunklen Vierteln Berlins ein Label auf, das "Aggro Ansagen" machte. In deutschen Kinderzimmern sorgte das für Furore und die Eltern bekamen es mit Angst zu tun. 2004 lernten wir dann den erfolgreichsten Außendienstmitarbeiter von Aggro Berlin kennen. Er trug eine eiserne Totenkopf-Maske und nannte sich: Sido. In seinem größten Hit erzählt er uns von seinem Block.

Selbst beim Jugendsender NBC Giga verstörete Sido

Als Sido mit seiner Maske und seinem Song "Mein Block" am 4. April 2004 auftaucht, lieben ihn die Kids für seinen Humor und die derbe Sprache. Es begeistert sie auch, dass der Rest der Erwachsenen so gar nichts mit diesem Maskenmann anfangen kann. Perfekt abzulesen an folgendem Ereignis: Sido promotet seinen Song beim Jugendsender NBC Giga mit einem Liveauftritt und wird danach des Studios verwiesen. Zwischen den Moderator*innen Uta Fußangel und Daniel van Moll entspinnt sich danach folgender Dialog vor der Kamera ab:

Uta: "Sido ist hier ja eben aufgetreten und wir haben  uns das so angeguckt und dachten spontan, uns gefällt  das jetzt nicht so, ne?"

Daniel: "Ne, genau. Der mag sicherlich sehr erfolgreich sein mit dieser Nummer. Ganz viele Schimpfworte zu coolen Beats, aneinander zu reihen. Aber irgendwie gehört das nicht hierher"

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SIDO - Mein Block (OFFICIAL VIDEO) 'Maske' Album (HITBOX) | Bild: HITBOX (via YouTube)

SIDO - Mein Block (OFFICIAL VIDEO) 'Maske' Album (HITBOX)

Berlin 2004: "Arm, aber sexy"

Ein Jahr vor "Mein Block" prägte Bürgermeister Klaus Wowereit den Satz, Berlin sei "arm, aber sexy". Aber die guten Bürger*nnen fanden Sido weder "sexy", noch glaubten sie ihm das mit der Armut. Sogar in HipHop-Medien wurde damals die Existenz von Ghettos in Berlin angezweifelt. Weil dort schließlich keine Drive-by-Shootings wie in Amerika stattfänden. Dass es Armutsverhältnisse auch ohne Schusswaffen geben könnte, leuchtete Wenigen ein. Dabei hätte man Sido einfach nur zuhören müssen:

"Ich bin groß geworden in einer Hochhaus-Siedlung, das Märkische Viertel nennt man das. Hohe Häuser, viele Menschen eng beieinander. 50, 60 Familien locker in einem Haus. Man hört die Nachbarn bumsen. Wie Nachbarn sich streiten. Das Treppenhaus ist voller Kotze. Du hast aber alles auch in deinem kleinen Bereich, sowas nennt man Ghettoisierung. Da fange Leute an. Bauen dir ein Einkaufszentrum mitten in die Hochhäuser. Machen dir einen kleinen See. Machen alles grün, damit du alles da hast. Damit die dreckigen Leute aus der Gegend ja nicht zum Kudamm fahren und da einkaufen gehen. Damit es da nicht stinkt."

Sido

Sidos Album "Maske" verkaufte sich 100.000 mal

Das Märkische Viertel im Norden Berlins.

Ablehnung kannte Sido schon sein ganzes Leben. So wie eigentlich alle, die aus dem Märkischen Viertel kommen. Ursprünglich sollte das ein Vorzeigeobjekt des westdeutschen sozialen Wohnungsbaus werden. Man wollte 50.000 Menschen auf drei Quadratkilometern unterbringen. In der Realität goss man die sozialen Probleme in den Beton der Blöcke hinein. Noch während sich das Viertel Ende der 60er Jahre im Bau befand, sprachen sowohl die Bewohner*innen als auch die, die nicht dort wohnten, von einem "Ghetto".

Mit dem 2004 erschienenem "Mein Block" machte Sido neue Erfahrungen. Dieses Mal bekam er zur gewohnten Ablehnung auch viel Zuspruch. Er verkaufte seine Single und das zugehörige Album "Maske" über 100.000 mal und bekam eine Goldplatte dafür. Das Video zu "Mein Block", mit den Aufnahmen der 16-stöckigen Hochhäuser des Märkischen Viertels, lief 2004 die Musiksender rauf und runter. Und weil man über die Existenz von Ghettos diskutierte. Und der Song jetzt ein Hit war, wurde dieses drei Quadratkilometer große Märkische Viertel, das vorher keiner kannte, richtig populär.

Mit "Mein Block" wurde das Märkische Viertel berühmt

In einem Stern-Interview 2011 erzählt Sido, dass nach dem Erfolg des Songs, Touristen ins Viertel gekommen sind und sich die Gegend angeguckt haben. Ganze Busse. Auch medial wird das Viertel nach dem Song mit Aufmerksamkeit überschüttet. Heerscharen von Medien berichten über die dortigen Probleme. Aus all dem heraus ergab sich für das Viertel ein Image, mit dem die Stadt Berlin und speziell die Verantwortlichen des Märkischen Viertels nicht sonderlich glücklich waren. In der Retrospektive ist Sido überzeugt, dass die Stadt sich seitdem extrem um die Infrastruktur kümmert. Häuser wurden gestrichen, Grünanlagen gebaut, und das Einkaufszentrum hat man auch erneuert. "Das schlechte Bild soll weg" meint Sido.

"Meine Gedanken, mein Herz, mein Leben, meine Welt
Reicht vom ersten bis zum sechzehnten Stock"

Sido über den Block

Wenn man sich die Stadtteil-Karte des Märkischen Viertels heute anschaut, findet man an jeder Ecke Jugendzentren, Abenteuerspielplätze und Workshops aller Art für Kids. Vom Holzbau über die Skaterrampe bis zum Graffiti-Workshop. Man kann sich Scooter, Skateboards, Helme, Gelenkschoner, und BMX-Räder ausleihen. Als man die Häuserwände im Märkischen Viertel 2019 neu gestaltet, werden die Jugendlichen in diesen Prozess einbezogen. Man kann Teil von jährlichen Rap-Compilations werden, in dem man in einem Studio recorden kann. Und man kann in Zusammenarbeit mit dem deutschen Konsulat Teil der "Bronx-Berlin-Connection" werden. Jugendgruppen aus dem Märkischen Viertel können so die HipHop-Ursprungsstätten in New York besuchen.

Im Viertel leben noch immer Kinder in Armut. Und die Sidos von morgen

Sido wollte 2004 nur ein amüsantes Lied über sein Leben in seinem Viertel schreiben. Daraus wurde ein politischer Song, dann politische Diskussionen und dann wiederum neue politische Veränderungen. Was für einen Song würde Sido heute über Märkische Viertel schreiben. wenn er noch mal 23 wäre? Würde er dasselbe texten wie 2004? Seien wir ehrlich. Natürlich hat sich das Märkische Viertel verändert in den letzten 20 Jahren. Wenn auch gefühlt nicht wirklich freiwillig. Und mit all den tollen Dingen, die sich Kinder in Armut jetzt ausleihen können, sind sie hoffentlich glücklichere Kinder als früher. Aber die Wahrheit ist: Sie bleiben trotzdem Kinder in Armut. Und darunter befinden sich auch die Sidos von heute. Und die erzählen dieselben Geschichten wie vor 20 Jahren. Nur regt es heute keinen mehr auf.

Näheres zu "Mein Block" steht im Buch "20 Jahre Mein Block" (Beltz-Verlag), das dieses popkulturelle Ereigniss einordnet.