Grown Man Rap Wie man im HipHop würdevoll altert

In Würde altern ist nicht einfach - vor allem nicht im Rap Game. Denn mal ehrlich: Was können gut situierte Typen über 40 noch vom Leben auf der Straße erzählen? Trotzdem gibt es sie, die Artists, die im Alter noch besser werden.

Von: Ferdinand Meyen

Stand: 28.11.2019 | Archiv

Rentner mit Krückstock, Cap und Goldkette | Bild: BR

HipHop war schon immer eine Jugendkultur. Das macht es alt gewordenen Künstlern - im Gegensatz zum Rock - unglaublich schwer, relevant zu bleiben. Wer seine Kohle gemacht hat, in einem Reihenhaus wohnt und Kinder hat, dem bleibt oft nichts Anderes übrig, als die immer gleichen, alten Geschichten aus der Jugend in Songs zu verarbeiten. Opa erzählt vom Krieg Style. Aber was ist die Alternative? Auf Zwang mit Mitte vierzig einen auf Zwanzigjährigen machen? Das kann eigentlich nur peinlich werden.

Vom Troublemaker zum Konsens-Popper

Alternde Rap-Acts gehen unterschiedlich mit dem Problem um. Nehmen wir zum Beispiel Sido. Der macht mittlerweile keinen Straßenrap mehr, sondern Pop-Musik. Features mit Mark Forster und Andreas Bourani. Lustige Sprüche in der Jury einer Casting Show. Einen ähnlichen Weg sind auch die Fantas vorher schon gegangen. Sido hat seinen Style im Laufe der Jahre angepasst, ist erwachsen geworden und sucht sich auf dieser Reise ein neues, breiteres Publikum. Hört sich nach Sell-Out an, aber so richtig übel nehmen kann ihm das niemand. Denn Sido hat schon zu Aggro-Zeiten Rap mit einem Augenzwinkern gemacht. Er ist der lustige, symphatische Atze von der Straße, der jetzt im Alter nochmal richtig absahnen will.

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Sido: Vom Block in den Mainstream II PULS Musik Analyse | Bild: PULS Musik (via YouTube)

Sido: Vom Block in den Mainstream II PULS Musik Analyse

Siggi erklärt im Radio die Bedeutung seiner tausend Tattoos und warum keiner so gut bekifft Musik machen kann wie Papa. Für Rap ist er mittlerweile zu harmlos, aber dafür perfekt geeignet als Pop-Rabauke. Das hat auch Sido erkannt und nutzt es erfolgreich für sich.

True-Schooler bleiben... True-Schooler

Rapper, die ihr Leben lang von Authentizität und "real keepen" gesprochen haben, können natürlich nicht einfach wie Sido ein Pop-Album aufnehmen. Also bleiben sie meistens ihrem alten Style treu: Das neue Album von Afrob, "Abschied von gestern", klingt eigentlich genau wie seine alten Tracks - weil er über dieselben Themen wie vor 15 Jahren rappt. Natürlich ist das schön für alle, die gerne in Erinnerungen schwelgen und sich HipHop wie früher wünschen - neue Impulse liefert das aber nicht. Deshalb altern True-Schooler gemeinsam mit ihren Fans, klingen für junge Leute klingt aber oft hängen geblieben.

Ähnlich sah das auch bei den Beginnern aus, als sie 2016 ihr lang erwartetes Album "Advanced Chemistry" veröffentlichten. Das erste gemeinsame Album nach 13 Jahren. Nach der heftigen Single "Anhma" mit Gzuz fieberte ganz Deutschrap-Deutschland auf den Release hin - nur um zu merken, dass die Platte keinesfalls neue Akzente setzen konnte. Mit dem Gzuz-Feature hatten sie zwar gezeigt, dass sie immer noch ein Ohr auf der Straße haben, im Endeffekt gab es dadurch aber vor allem Hype für Gzuz und seine 187 Straßenbande. Den meisten jungen Rapfans war das Album egal. Der Legendenstatus der Beginner bleibt natürlich bestehen - aber doch eher wegen den Sachen, die sie in den Neunzigern gemacht haben.

Gangster kennt keine Altersgrenze

Viele werden jetzt sicherlich schreien: Fler und Bushido sind heute immer noch ganz oben in den Youtube-Trends! Ja, das stimmt. Aber Hand aufs Herz: Wären die beiden wirklich noch da oben, wenn sie nicht ständig Beef hätten und jede Woche die Deutschrap-Gossip-Seiten mit neuen Schlagzeilen befüllen würden? Vielleicht. Aber vermutlich nicht. Prinzipiell könnte Bushidos Gangsterboss-Image schon auch noch funktionieren, wenn der Bart ein paar graue Härchen bekommt. Trotzdem kommt diese Art des Rap eher über das Spektakel, die Drohungen, den Spaß beim Zuschauen. Aber wohl niemand würde behaupten, dass da musikalisch gesehen neue Standards gesetzt werden.

Man kann sich natürlich auch einfach neue Felder erschließen im Alter, so wie es Kollegah macht. Früher erfand er die Sprache neu, nahm sich selbst aufs Korn und wusste mit abnormalen Double-Time-Passagen zu beeindrucken. Heute ist er der "Sexist Man alive", motiviert seine Follower mit Erfolgscoaching und erzählt von religiösen Verschwörungen und Übermenschen. Auch eine Art der Altersvorsorge.

Es geht auch anders

Aber: Man kann auch altern und im Rap Game relevant bleiben. Dendemann hat das mit seinem letzten Album gezeigt, Trettmann war schon über 40, als er überhaupt erst zum Deutschrap-Posterboy geworden ist und auch Deichkind haben bewiesen, dass man sie noch lange nicht abschreiben darf. Das beste Beispiel ist aber Max Herre. Der ist mit seinem neuen Album "Athen" der lebende Beweis dafür, dass es auch Acts gibt, die im Alter sogar noch besser werden.  

Max Herre findet auf "Athen" genau die richtige Mischung zwischen dem, was ihn schon früher ausgezeichnet hat, und neuen Impulsen. Wie schon mit Freundeskreis gibt er den nachdenklichen, philosophischen und an vielen Stellen auch sehr melancholischen Elementen seiner Musik Raum zur Entfaltung. Trotzdem spürt man eine deutliche, musikalische Entwicklung, wenn er beispielweise geschickt mit Autotune arbeitet. Das hat aber nichts gewollt Jugendliches, sondern ist subtil und stilvoll. Max Herre ist eben nicht mehr Anfang zwanzig, sondern 46 - und hat es nicht mehr nötig, irgendeinem Trend nachzulaufen.

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Max Herre, Fatoni, Sugar MMFK - Dunkles Kapitel ft. MEGALOH, Dirk von Lowtzow | Bild: MaxHerreVEVO (via YouTube)

Max Herre, Fatoni, Sugar MMFK - Dunkles Kapitel ft. MEGALOH, Dirk von Lowtzow

Max Herre bleibt er selbst. Er versucht erst gar nicht, mit den jungen dynamischen Rapper*innen mitzuhalten. Yung Hurn fährt zum Beispiel am liebsten "180 km/h", Eno & Mero fahren Ferrari mit "500 PS unter'm Arsch" . Max Herre dagegen schleicht in Retro-Kutsche mit "fünf km/h auf dem Seitenstreifen".

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Max Herre – Athen (Official Video) | Bild: MaxHerreOfficial (via YouTube)

Max Herre – Athen (Official Video)

Aber bei ihm wirkt das nicht, als wäre er in der Vergangenheit festgeklebt. Auf "Athen" zeigt er außerdem sein tiefes Verständnis der Szene.

"Ich bin Musikfan und auch Fan von den Musikern, mit denen ich arbeite. [...] Es ist ähnlich, wie ich Instrumente auswähle. Ich merke dann, auf dem Song wäre jetzt die Stimme und diese Inhaltlichkeit toll oder wichtig. Dann denke ich, das würde doch zum Beispiel super zu Trettmann passen."

Max Herre im PULS Interview

Dieses Fingerspitzengefühl beweist Max Herre, indem er unzählige Gäste in seine Platte integriert: Alte Weggefährten wie Afrob oder Dendemann sind vertreten, jüngere Artists wie Fatoni oder OK Kid, aber auch totale Newcomer*innen wie Alli Neumann. Dazu kommen professionelle Jazz-Musiker oder Indie-Größen wie Dirk von Lowtzow von Tocotronic. Max Herre macht sein Alter und seine Connections zu seinem Kapital. Er zeigt, dass er viele gute Musiker kennt, selbst einer ist und schafft zusammen mit den anderen etwas Neues.

"Es ist für mich total unerheblich, ob jemand das Ganze seit ein paar Jahren macht oder eine Ikone ist - weil man übers Musikmachen sehr schnell eine Ebene findet. [...] Jazz, Indie, Soul. Ich mag, dass es irgendwie eine sehr offene Zeit für Musik ist. Gerade über Leute wie James Blake, Frank Ocean oder Bon Iver, wo sich Urbanität und Indie auch nicht mehr ausschließen. Das kommt mir sehr zugute als Musikliebhaber."

Max Herre im PULS Interview

Wahrscheinlich macht genau das einen gut alternden Rap-Act aus: offen bleiben und ehrlich mit dem eigenen Alter umgehen. Das macht beispielweise auch Felix Kummer, wenn er rappt, dass er zu alt ist, um jung zu sterben. Oder Fatoni, der sich auf "Andorra" über den Mann im Spiegel wundert, der den Zugang zum aktuellen Rap-Zeitgeist überraschend verloren hat - dann aber Juicy Gay und Mauli auf seine Tour mitnimmt. Und ganz ähnlich ist es auch bei Max Herre: Er macht Grown Man Rap par excellence, aber mit Blick auf die aktuelle Szene. Diese reflektierte Art ist die Art von Hip-Hop, die auch denjenigen eine musikalische Heimat bietet, denen die Songs von Rappern wie Capital Bra oder Gzuz einfach zu platt sind, sich aber gleichzeitig nach Neuem sehnen.

Sendung: PULS am 02.12.209 - ab 15.00 Uhr