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Wirkmacht von Memes Wie Memes als politische Waffe eingesetzt werden

Sie sind im Netz omnipräsent, ironisch, international und geben marginalisierten Gruppen eine Stimme. Oft, aber nicht immer. Denn auch Nazis und antidemokratische Kräfte nutzen sie. Welche Taktiken setzen sie dabei ein?

Von: Max Büch

Stand: 11.05.2022 | Archiv

Eines der Putin's Long Table Memes: die Ikea-Variante | Bild: @AnonOpsSE/twitter.com

"We have learned from Shakespeare, who wrote in one his plays that all the world is a stage, and every man and women are merely players. And my part is being Hide The Pain Harold," sagt der damals 73-jährige Ungar András Arató auf einem TEDx-Talk 2018 in Kiew. Nicht mit seiner Arbeit als Elektroingenieur und Beleuchtungsexperte gelangte er zu Weltruhm, sondern als Internet-Meme "Hide The Pain Harold".

Waking up as a meme-hero: Hide The Pain Harold

BR PULS-Kampagne mit András Arató

Die Bilder des ergrauten Silver Surfer, dessen strahlend weißes Lächeln auf den zweiten Blick recht gezwungen scheint, sind weltweit zur digitalen Allegorie der überspielten Enttäuschung mutiert. Sein Lächeln ist in der Digitalkultur mindestens so verbreitet wie das der Ikone auf diesem Gebiet: da Vincis Mona Lisa.

"My only hope was that so many new things appear day after day on the Internet that people will slowly forget about me and about my funny memes. Well, I must say I was totally wrong." András Arató irrte in seiner Annahme, das Internet würden mit der Zeit ihn und seine lustigen Memes wieder vergessen – und wie.

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Waking up as a meme-hero | Andras Arato | TEDxKyiv | Bild: TEDx Talks (via YouTube)

Waking up as a meme-hero | Andras Arato | TEDxKyiv

Politiker*innen gehen viral – als Memes

Memes sind in der Digitalkultur omnipräsenter denn je: Kein gesellschaftspolitisches Ereignis vergeht mehr, ohne memetisch verarbeitet zu werden. Sei es Putins überlanger Konferenztisch im Vorfeld des russischen Überfalls auf die Ukraine oder Emmanuel Macron mit aufgeknöpftem Hemd, der es sich kurz vor der denkbar knappen Präsidentschaftswahl auf einem Sofa gemütlich macht. Zur Amtseinführungszeremonie Joe Bidens im letzten Jahr haben sich nicht etwa Bilder des neu gewählten Präsident ins kulturelle Gedächtnis der globalen Digitalkultur eingebrannt, sondern die Memes des frierenden Bernie Sanders im Parka mit Strickhandschuhen.

Auf Instagram gibt es mittlerweile zu allen erdenklichen Interessensgruppen, Subkulturen, Minderheiten, Regionalitäten eigene Meme-Accounts. Sie arbeiten fast ausschließlich humoristisch. "memesmunich" ironisiert Themen wie bezahlbarer Wohnraum, die Leidenschaft für Aperol Spritz oder aggressive Autofahrer*innen. Der Account "berlinauslandermemes" spielt mit Bildern von Elon Musk und anderen Touristen vor dem Berghain oder mit der rhetorischen Allzweckwaffe für komplizierte Gespräche auf Deutsch: "Genau". Und "oer_memes" therapiert anonym die geschundenen Seelen der jungen Mitarbeiter*innen von öffentlich-rechtlichen Sendern.

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oer.memes

Instagram-Beitrag von oer.memes | Bild: oer.memes (via Instagram)

Wir sind als Meme-Maschinen kultiviert

Der Begriff Meme – zu Deutsch "Mem" – geht auf den britischen Biologen Richard Dawkins und sein Buch "The Selfish Gene" von 1976 zurück. Angelehnt an das altgriechische mīmēma – das, was nachgeahmt wird – sind Memes für Dawkins kleine kulturelle Einheiten wie Melodien, Floskeln, Moden, aber auch Ideen, Traditionen, die sich ausbreiten, "weitervererbt" werden, aber auch mutieren können: das soziokulturelle Pendant zu Genen.

"We are built as gene machines and cultured as meme machines." Wir sind als Genmaschinen gebaut und als Meme-Maschinen kultiviert, schreibt Dawkins. Eine These, die mit der Digitalkultur deutlich an Bedeutung gewonnen hat. Die israelische Kommunikationswissenschaftlerin Limor Shifman schreibt in der ersten Monografie zu "Memes" 2014 von einer hypermemetischen Logik, die die heutige Partizipationskultur im Netz dominiere. Hyper, nicht nur wegen der rasanten Ausbreitung, sondern auch wegen der Wirkmacht von Memes über die digitale Sphäre hinaus.   

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kanzlermeme

Instagram-Beitrag von kanzlermeme | Bild: kanzlermeme (via Instagram)

Germany's Most Memeable Politiker: Markus Söder

Als frierender Zaungast wurde Bernie Sanders zur Internet-Karikatur, zum Sinnbild für den berühmten Ausspruch des Schreibers Bartleby: "I would prefer not to" – ich möchte lieber nicht. Ob das dem Politiker Bernie Sanders geschadet hat? Ganz im Gegenteil: In Zeiten der Personalisierung von Politik, die durch Memes weiter verstärkt wird, und des ständigen Informationsüberflusses ist Aufmerksamkeit eine wertvolle Ressource.

In Deutschland macht derweil Markus Söder so schnell niemand den Rang des Most Memeable Politikers streitig. Seine Fotos und Posen werden mit solcher Vorliebe weiterarbeitet, dass man fast meinen möchte, er würde sie ganz bewusst der Netzgemeinde als Steilvorlagen liefern. "Er wirkt ja so, als wüsste er sehr genau, was er tun muss, um in der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden und Nachrichten zu erzeugen. Deswegen könnte ich mir schon vorstellen, dass da auch ein gewisses Kalkül dahinter ist", sagt Leo Braun, der einen der reichweitenstärksten Kanäle der Öffentlich-Rechtlichen auf Instagram leitet: funk, dem jungen Content-Netzwerk von ARD und ZDF. "Ich glaube zumindest, dass auch die Politik verstanden hat, wie wichtig Memes sein können, gerade wenn darum geht, eine Meinung zu repräsentieren."

Auch Nazis sind eine marginalisierte Gruppe

Mit den Einflussfaktoren für die Memeability, also die Verwertbarkeit von digitalen Kulturschnipseln für Memes, haben sich auch die Literaturwissenschaftler*innen Joanna Nowotny und Julian Reidy für ihr Buch "Memes" beschäftigt. "Oft sind Dinge besonders memeable, wenn sie in bestimmten zeithistorischen Kontexten stehen", kann Joanna Nowotny bestätigen. "Ein großer Faktor aber ist auch einfach Zufall. Wird ein Meme, wird eine Bildlichkeit von einer bestimmten Gemeinschaft adoptiert, wird sie angenommen oder wird sie das halt einfach nicht? Und das hängt zum Beispiel auch damit zusammen, auf welchen Plattformen sie zuerst auftaucht."

Durch die Demokratisierung von Publikationsmitteln ist es marginalisierten Gruppen möglich geworden, gehört und gesehen zu werden. Leider wird dabei nur zu oft übersehen, dass zu ihnen auch Nazis und andere antidemokratische Strömungen zählen. Gerade rechtsextreme Gruppierungen nutzen Plattformen wie 4chan und reddit oder Messenger-Dienste wie Telegram äußerst erfolgreich, um ihre rassistischen, antisemitischen und frauenfeindlichen Memes zu verbreiten. Ironie dient hier ganz gezielt als Mittel, um die menschenverachtenden Inhalte zu relativieren." Das ist ein Problem, das in ironisch-humoristischen Konfigurationen, welcher Art auch immer inhärent steckt und damit natürlich auch in Memes", hat auch Joanna Nowotny feststellen müssen. "Es gibt wirklich Guides, die Ironie ganz gezielt als Ausrede für Nazi-Memes empfehlen."

"Wir haben ein Meme zum Präsidenten gemacht"

Als Trump, der Inbegriff der Memeability, zum Präsidenten gewählt wurde, kommentierte ein Nutzer auf 4Chan: "Wir haben ein Meme zum Präsidenten gemacht." Auch wenn die Aussage natürlich diskussionswürdig ist, bezeugt sie einerseits doch die Wirkmacht von Memes, die die US-amerikanische "Alt-Right"-Bewegung frühzeitig erkannt und richtig einzusetzen wusste. Und andererseits, dass die Grenze zwischen der realen und der digitalen Welt letztlich nicht existiert.

Das sei für ihn auch die Grundannahme für ihr Buch "Memes" gewesen, sagt Julian Reidy. "Dass diese Bildlichkeit politische Sprengkraft aufweisen, ist schon hinreichend dadurch belegt, dass sie in Manifesten von Attentätern und Terroristen auftauchen sowie während Attentaten gezeigt oder referiert werden, wie das zum Beispiel im neuseeländischen Christchurch der Fall war. Und dass sie beim Sturm aufs Kapitol am 6. Januar 2021 sehr präsent waren als Bildlichkeit bei diesen Möchtegern-Putschisten. Das allein zeigt auf, dass es eben diese Grenze nicht gibt und dass diese Bildlichkeiten sehr wohl ein enormes Mobilisierungspotenzial entfalten, das nicht zuletzt natürlich auch mit ihrer affektiven Kraft zu tun hat."

Antisemitische Feindbilder durch Memes wieder omnipräsent

"Affektive Kraft." Etwas, das uns dazu bringt zu liken, zu teilen, weiterzuverarbeiten. Auch, weil wir humoristische Inhalte anders wahrnehmen als vermeintlich ernsthafte, sie weniger kritisch hinterfragen.

Der Journalist und Digital-Experte Dirk von Gehlen schreibt über Memes in der lesenswerten Buch-Reihe zu digitalen Bildkulturen, sie seien ihrem Wesen nach international, grenzüberschreitend und völkerverbindend. Und docken damit aber auch an andere grenzüberschreitende Ideen und Ideologien an: Rassismus, Sexismus und Antisemitismus sind nicht minder international verankert. Gerade die scheinbar vergessenen antisemitischen Feindbilder und Klischees von vor 100 Jahren sind durch Memes auch in den jüngeren Generationen wieder omnipräsent.

Diese Wirkmacht von Memes und Bildern zeigt sich nicht zuletzt im Krieg in der Ukraine. Nicht nur der ukrainische Präsident Selenskij versteht es exzellent, die digitalen Kommunikationsmittel optimal zu nutzen. "Am Krieg in der Ukraine, in dem die Ukraine so viele Memes nutzt, sieht man, dass Memes sehr stark eine Stimmung formen und Meinungen verteilbar machen können auf Social Media", sagt Leo Braun.

Wir brauchen eine zweite Aufklärung

Die Demokratisierung der Publikationsmittel - sie geht leider nicht unbedingt einher mit einer Demokratisierung von journalistischen Standards und ethischen Grundsätzen. Die Vielfalt der Bilder im Netz erzeugt immer neue Möglichkeiten ihrer spielerischen, kreativen und kunstvollen Verarbeitung. Umso mehr Verantwortungsbewusstsein ist zugleich von uns allen im Umgang damit gefordert. Das beginnt beim ersten Like. Wenn wir uns nicht zu aufgeklärten Teilhabenden der Mediengesellschaft emanzipieren, setzen wir auf Dauer unsere Demokratie aufs Spiel: Denn die informations wars sind längst im Gange.

Ein Beitrag aus dem Kulturjournal vom 15.05.2022. Den Podcast zum Kulturjournal finden Sie hier.