Bayern 2 - radioWissen


21

Göttlich "gut"?

Von: Simon Demmelhuber / Sendung: Brigitte Kohn

Stand: 11.02.2019 | Archiv

Osterlamm aus Biskuitteig | Bild: picture-alliance/dpa
Ethik und PhilosophieRS, Gy

Essen nährt nicht nur den Leib. Die Seele isst mit. Speisegesetze bürgen dafür, dass sie durch Mund und Magen keinen Schaden nimmt. Nahrungsgebote öffnen den Zugang zum Heiligen, spiegeln und wahren die Ordnung des Schöpfungswerks.

Mit dem Essen ist das so eine Sache. Wir brauchen Nahrung, sonst verhungern wir. Das ist die eine Seite: Der Zwang, zu essen und auszuscheiden, macht uns mit den Tieren gemein. Damit gibt sich die Religion nicht zufrieden: Wir sind mehr als Essen, Kot und Verwesung. Wir sind Menschen, wir sind Geist. Wir sind Geschöpfe Gottes, geschaffen als sein Ebenbild und zur Ewigkeit berufen! Das ist die andere Seite.

An der Schnittstelle von Materie und Geist

Aber wie bringen wir Leib und Seele zusammen, wie versöhnen wir Materie und Geist? Das religiöse Denken hat einen Weg gefunden: Es heiligt die Notdurft des Körpers und holt das Essen von der nur leibhaften auf die spirituelle Seite. Für diese Verwandlung sorgen Nahrungsgebote und Nahrungstabus. Sie versöhnen unsere körperlichen mit den geistigen Bedürfnissen, vermitteln zwischen Himmel und Erde und bringen das Profane auf Augenhöhe mit dem Heiligen.

Im Kosmos der Speisegesetze

Nahezu alle Religionen und Kulturen kennen solche Speisegesetze, die den Verkehr des Göttlichen mit dem Menschlichen regeln. Doch damit enden die Gemeinsamkeiten. Kein Gebot oder Verbot gilt überall. Was eine Religion verfemt, lässt eine andere gelten. So ist etwa der Verzehr von Schweinefleisch oder Blut für Juden und Muslime strikt verboten, während Christen ihr Seelenheil durch ein Schweinskotelett oder ein deftiges Blutwurstgericht keineswegs gefährden. Das Judentum wiederum verbietet den Genuss von Kamelfleisch, das Christen unbekümmert essen dürfen und vielen Muslimen als ausgesprochener Leckerbissen gilt.

Viele Deutungsversuche, keine Universalformel

Die Vielfalt religiöser Speisegebote und Nahrungstabus ist verwirrend. Die unterschiedlichsten Fachrichtungen, vor allem Ethnologie, Soziologie und Religionswissenschaft, bemühen sich um eine Erklärung der verwickelten Verhältnisse und legen eine breite Palette medizinischer, hygienischer, ökonomischer, ökologischer oder symbolischer Interpretationen vor. Eine allgemeine, widerspruchsfreie Deutung kann jedoch keine Disziplin alleine liefern.

Auf gemeinsamem Grund

Trotzdem sind Wirkungsmomente und religiös-symbolische Konzepte hinter den Erscheinungen erkennbar, die als gemeinsame Schnittmenge gelten können: Speisegesetze sind, abgesehen von der Meidung verdorbener oder giftiger Nahrungsmittel, nicht durch den Instinkt oder die Vernunft bedingt. Sie markieren die prekäre Schnittstelle von Geist und Materie; sie repräsentieren die Ordnung einer Schöpfung, die zwischen heilig und profan und rein und unrein unterscheidet; sie schaffen eine hochwirksame, tagtäglich erneut bestärkte Gruppenidentität in Abgrenzung zu allem, was außerhalb steht, und zuletzt demonstrieren sie die unbegrenzte Verfügungsgewalt eines Schöpfergottes über seine Geschöpfe.

Rein, unrein:

Arbeit von Mehmed Siyah Kalem aus den"Conqueror's Alben", 15. Jahrhundert | Bild: picture-alliance/dpa zur Übersicht Essen in den Religionen Essen und die Schöpfungsordnung

Die Vielfalt religiöser Speisegebote widersetzt sich jeder Systematisierung. Widersprüche und Besonderheiten überwiegen, Übereinstimmungen sind rar. Eine Gemeinsamkeit gibt es dennoch: Sie trennen das Heilige vom Profanen. [mehr]

Wir und die anderen:

Ramadan in Indien | Bild: picture-alliance/dpa zur Übersicht Essen in den Religionen Essen stiftet Identität

Speisegesetze sind sozialer Kitt: Sie begründen Gemeinsamkeit, grenzen ab, stärken das Wir-Gefühl einer Gruppe oder eines Volks. Das ist vor allem dann wichtig, wenn Zugehörigkeit und Zusammenhalt ins Schwimmen und Wanken geraten. [mehr]

Gott will es

Ein Bischof liegt vor dem Altar auf dem Boden. Diese Geste ist ein Zeichen der totalen Unterwerfung unter Gott | Bild: picture-alliance/dpa zur Übersicht Essen in den Religionen Essen als Glaubensbekenntnis

Gott erklärt keine Gesetze. Er macht sie und fordert Unterwerfung. Daher legitimieren sich Nahrungstabus nicht durch Vernunft oder Wissenschaftlichkeit. Sie rechtfertigen sich ausschließlich durch den Gehorsam der Gläubigen. [mehr]

Kaschrut

Ein Rabbiner kennzeichnet koschere Lebensmitteln die nach den jüdischen Speisevorschriften der Kaschrut hergestellt wurden | Bild: picture-alliance/dpa zur Übersicht Essen in den Religionen Die jüdischen Speisegesetze

Keine andere Religion kennt so viele, so strenge und so detaillierte Nahrungsgesetze wie das Judentum. Sie sind das Herz eines Regelwerks, das Gott seinem auserwählten Volk zur täglichen Erinnerung und Selbstheiligung auferlegt. [mehr]

Halal und Haram

Grillspieße von einem geschächteten Schaf | Bild: picture-alliance/dpa zur Übersicht Essen in den Religionen Essen im Islam

Die Nahrungsgebote des Islam erinnern stark an die jüdischen Speisegesetze: Sie gelten als unmittelbare Selbstoffenbarung des göttlichen Willens, trennen unreine von reiner Nahrung und fordern absoluten Gehorsam ein. [mehr]

Jesus:

Statue des Apostel Paulus von Ignazio Marabitti am Dom von Syrakus auf Sizilien | Bild: picture-alliance/dpa zur Übersicht Essen in den Religionen Neudeutung der Reinheitsgesetze

Obwohl das Christentum aus dem Judentum hervorgeht, denselben Gott bekennt und im Alten Testament auf einer gemeinsamen Überlieferung fußt, scheiden sich beide Religionen frühzeitig an der Frage der Speisegesetze. [mehr]

Hätten Sie's gewusst?

Quiz - Fragezeichen | Bild: colourbox.com zur Übersicht Essen in den Religionen Testen Sie Ihr Wissen!

Es gibt Menschen, die gucken nicht nur gerne, sondern auch sehr kompetent über den eigenen Tellerrand hinaus. Gehören auch Sie zu diesem kulinarisch und kulturell aufgeschlossenen Küchen-Kompetenz-Team? [mehr]

Audio

Darstellung: Essen | Bild: colourbox.com zum Audio Essen in den Religionen Göttlich "gut"?

In den Religionen wird Essen unterschiedlich spiritualisiert und symbolisch überhöht. Doch auch moderne Ernährungslehren finden gläubige Anhänger, ohne dass Gott eine Rolle spielt. (BR 2016) Autorin: Brigitte Kohn [mehr]


21