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Michael Plitzner untersucht im Schalllabor des Glockenforschungszentrums in Kempten den Klöppel einer Kirchenglocke

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Die Glocke als Patient - Wie Forscher Kirchenglocken verarzten

Die Gloriosa läutet in Erfurt, die Pummerin in Wien und der Dicke Pitter in Köln – viele hängen am Klang „ihrer“ Kirchenglocke. Doch mitunter schadet das Läuten den Instrumenten. Dann kommen sie ins Glockenlabor der Hochschule Kempten. Renate Ell

Über dieses Thema berichtet: IQ - Wissenschaft und Forschung am .

Kirchenglocken sind mehr als ein Werkzeug, um die Uhrzeit anzuzeigen oder die Gläubigen zum Gottesdienst zu rufen. Viele sind aufwändig gestaltet, mit Ornamenten und Sinnsprüchen – ein historischer Schatz, den Kirchen und Denkmalpfleger erhalten wollen. Klingt eine Glocke nach vielen Jahrzehnten nicht mehr wie sie soll, stehen die Chancen hoch, dass sie in der Kemptener „Glockenklinik“ landen.

Diagnose im Frühstadium

Der Ingenieur erforscht die Instrumente am Europäischen Kompetenz­zentrum für Glocken an der Hochschule Kempten. Zusammen mit seine Kollegen hat er Diagnose-Methoden entwickelt, mit denen er Schäden bereits in einem sehr frühen Stadium entdeckt – noch bevor das Läuten schräg klingt. Denn jede Glocke hat einen „musikalischen Fingerabdruck“ mit vielen Einzeltönen, die den eigentlichen Glockenklang ausmachen. Feine Mess-Mikrophone und Analyse-Instrumente offenbaren die Schwachstellen der Glocke bereits bevor sie kaputt geht.

„In der Glocke sind eine Vielzahl von Teiltönen enthalten. Wenn manche dieser Töne gespalten sind, und andere nicht, kann ich anhand einer Systematik erkennen, ob das zum Beispiel ein Riss ist oder ob ein erhöhter Verschleiß und Materialabtrag am Schlagring vorliegt oder ob irgendwo Lufteinschlüsse in der Glocke sind.“ Michael Plitzner

In der Reparaturwerkstatt

Nach der Diagnose geht es an die Behandlung. Die Ingenieure können die Glocke drehen, damit der Klöppel an einer stabileren Stelle auftrifft. Manchmal hilft es auch, einen leichteren oder anders geformten Klöppel anzubringen oder den Läute-Motor anders einzustellen. Denn ab und zu ist die Umstellung von sanftem Handläuten auf zu heftiges Motorläuten eine mögliche Ursache für Schäden. Welche Maßnahmen am besten geeignet sind, testen die Experten am Computer, erklärt der Ingenieur Andreas Rupp: „Was uns im Computermodell interessiert ist, dass wir nach dem Klöppelanschlag schauen, wie sich die Schockwelle in der Glocke ausbreitet, und wie die Glocke dabei beansprucht wird.“

Europaweit gefragte Ingenieurskunst

Neben den Computer-Modellen untersuchen die Forscher auch reale Glocken, die mit elektronischen Sensoren bestückt sind. An denen lassen sich die Computer-Berechnungen überprüfen, bevor tatsächlich eine Glocke gedreht wird oder einen anderen Klöppel bekommt. Das Wissen und die Erfahrungen der Kemptener Forscher hat sich mittlerweile herumgesprochen: Kirchengemeinden und Denkmalschutz-Ämter aus ganz Europa beauftragen die Ingenieure mit Analysen und Therapieplänen.