Es hat etwas Paradiesisches, dieses Harga. Die Kommune irgendwo im schwedischen Hinterland ist fernab jeglicher Zivilisation in einem tiefgrünen Tal erbaut, umgeben von Bäumen, die sich im Wind wiegen. Die wenigen Holzhäuser sind von teils asymmetrischer Bauart und scheinen im Boden zu versinken. Das meterhohe Einfallstor zur Lichtung ist ein hölzernes Halbrund, das an eine untergehende Sonne erinnert. Bei längerer Betrachtung vielleicht auch an eine Dornenkrone. So wie auch der riesige geschmückte Maibaum die Form eines Kreuzes hat – allerdings eines mit Runen und Blumen geschmückten Kreuzes. Aber mit Religion haben die paar handvoll Bewohner von Harga nichts zu tun. Zumindest nicht mit christlicher.
"Wir betrachten das Leben in Jahreszeiten", erklärt Pelle die Philosophie der Kommune. "Man ist Kind, bis man 18 wird, das ist der Frühling. Dann kommt die Zeit unserer Pilgerschaft, zwischen 18 und 36, das ist der Sommer. Und dann, zwischen 36 und 54, das ist das Arbeitsalter. Das ist der Herbst. Und schließlich, zwischen 54 und 72, wirst du Mentor."
Faszinierende Tour de Force von Florence Pugh
Pelle ist Schwede und in Harga aufgewachsen. Er hat seine Bekannte Dani und drei weitere Freunde aus New York in das mittsommersonnengeflutete Idyll eingeladen, um Urlaub zu machen. Ein Angebot, das Dani dankend angenommen hat, denn sie will und muss Abstand gewinnen von einem erst kürzlich durchlebten Familiendrama, das bei der jungen Frau Depressionen und Panikattacken ausgelöst hat.
Die mental destabilisierte Dani hört und sieht Dinge, die ihre innere Balance gefährden. Und es ist durchweg faszinierend, Hauptdarstellerin Florence Pugh dabei zu beobachten, wie sie dagegen ankämpft, die Kontrolle nicht komplett zu verlieren. Seit knapp zwei Jahren wird die 23-jährige Britin als neuer Shootingstar gehandelt. Mit dieser emotional aufreibenden Performance sollte ihr Talent einem größeren Publikum auffallen.
Subtiler und rätselhafter Horror
Doch auch fernab der darstellerischen Leistung hat "Midsommar" das Potential, ein Zuschauermagnet zu werden. Der Low-Budget-Horror ist der zweite Spielfilm von US-Regisseur Ari Aster. Schon in seinem letztjährigen Debüt "Hereditary" hat er Hauptdarstellerin Toni Collette zu denkwürdigen Höchstleistungen angetrieben. Dieses Mal ist der Horror, den die Hauptfigur durchleiden muss, subtiler, die Stimmung durch das nie schwindende Tageslicht des schwedischen Mittsommers weniger bedrohlich.
Und wie schon in Asters selbstverfasstem Debüt rätselt der Zuschauer mit: Ist das, was Dani sieht, real oder Einbildung? Ist der heidnische Kult, in den sie eingebunden wird, ein von ihren Depressionen und einer toxischen Beziehung losgetretener Albtraum oder lösen die Drogen, die sie in der schwedischen Hippiekommune permanent verabreicht bekommt, Wahnvorstellungen bei ihr aus?
Ein optisches Fest von "Hereditary"-Regisseur Ari Aster
Das Grauen in "Midsommar" entfaltet sich langsam, zweieinhalb Stunden dauert der Film. Aster nutzt die Zeit, um gemeinsam mit "Hereditary"-Kameramann Pawel Pogorzelski einen hypnotischen Sog aufzubauen: Die Natur scheint zunehmend zum Leben zu erwachen, die Bäume wiegen sich nicht nur im Wind, sie führen dank ausgefeilter Computertechnik einen halluzinogenen Tanz auf.
Optisch ist das ein Fest, rätselhaft bleibt es, wie so vieles, bis zum Schluss. Die Fragen, die danach durch den Kopf wandern, dürften dazu führen, dass "Midsommar" als handwerklich ausgefeilter, aber surrealer Albtraum mit viel Interpretationsspielraum im Gedächtnis bleibt. Und lange dort verweilen wird.
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