Bildrechte: Stephan Hann

Golden Punk

Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

Müll macht Mode: Die Kreationen von Stephan Hann im TIM Augsburg

"Phoenix" – so heißt eine Ausstellung von Stephan Hann. Der Berliner Modekünstler betreibt eine verschärfte Form des Upcyclings. Er schneidert Kleider aus Plastikplanen, Tetra-Packs oder Telefonbuchseiten. Von Barbara Knopf

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Er ist ein Sammler, Finder oder auch Fischer, angelt er doch Material, das der Fluss der Zeit als Schwemmgut hinterlässt: Videobänder zum Beispiel, allgegenwärtiges Filmmaterial der 90er Jahre, und doch aus dem digitalen Blickwinkel der Jetztzeit: fürchterlich altmodisch, ja historisch. Stephan Hann hat das glänzende Material zu kleinen Schlaufen gerollt, in Handarbeit nebeneinandergesetzt und so wunderschöne glamourös glänzende Oberteile mit ausladenden Fledermausärmeln geschaffen. Ein Kleid daneben lässt seine silberne Oberfläche glänzen wie Schuppen. Das Material: die Innenseite von Tetra Pak-Tüten. Aus einem absolut künstlich hergestellten, umweltschädigenden Material entsteht ein Objekt, das an die Formen der Natur erinnert.

Mode als Metamorphose

Stephan Hann macht auf den ersten Blick Mode, auf den zweiten schafft er Metamorphosen -ein sehr langsam ablaufender ästhetischer Veredelungsprozess, den der Modekünstler so beschreibt: „Ich beschäftige mich, wenn ich Material gefunden und gesammelt habe, intensiv mit ihnen, ich hab sie wirklich buchstäblich in der Hand. Ich habe ein Herz, eine große Emotion dafür, mich sprechen solche Materialien an, ich suche sie, ich finde sie, ich möchte, dass sie nicht vergessen werden.“

Sprechende Dinge des Alltags

Stephan Hann hat Maßschneiderei an der Deutschen Oper Berlin gelernt, später Mode und Kostümbild, ist nach Paris gegangen, die Stadt der Flohmärkte und der sprechenden Dinge, die ihn gefunden haben, auch nach Wien. Doch schon der Anfang in Berlin klingt nach der Variante eines Märchen: „Es gab eine Etage mit 20 Zimmer, die ich nutzen konnte, und in jedem Zimmer war ein unterschiedliches Material. Und da wird man sehr sensibilisiert auf Materialien und das war ´ne sehr einprägsame Zeit für mich.“ Ein Hans im Glück, der auszog, Dinge zu finden, die anderen nicht mehr wertvoll scheinen. Doch während Hans im Glück am Ende gar nichts mehr besitzt, gelingt es Stephan Hann unseren Zivilisationsmüll und die Banalität des Alltags poetisch zu wenden. Betonabstandhalter aus dem Baumarkt werden in florale Formen überführt, die wie grobe Spitze wirken. Plastiktüten mit ihren Bild- und Textbotschaften zu neuen pointierten Erzählungen zusammengeschneidert. Und immer wieder Papier: aussortierte Kontoauszüge, Pariser Zeitungen, Architekturpläne aus dem Rem Kolhaas- Archiv -in jeder Hinsicht sprechend: Gefaltet, gebügelt und übereinandergelegt als sei´s die Federschleppe eines Pfaus, halten die Seiten eines alten Lexikons an ihrer ursprünglich weltordnenden Bedeutung fest: Buchstabe S, von Schmarotzerwespe bis Schmeißfliege steht da in winziger Schrift.

Das Material ist die Botschaft

Das Ungewöhnliche sind nicht die Silhouetten der Modelle an den Schneiderpuppen, die ausladenden Krägen, Bustiers und Kostüme –die Entwürfe von Stephan Hann bedienen sich aus dem großen Zitatenschatz der Haute Couture und der Modegeschichte. Das Material ist die Botschaft. Der graue Malervlies mit den aufgenähten alten Familienfotografien, der zur Schleppe der Erinnerung wird. Aufbewahren und Neudeuten. Das Kleid aus schwarzem Zelluloid -eine Rüstung. Auch das eine Funktion von Mode: die zweite Haut als Schutzpanzer. Es gibt jedoch auch Momente des Schwebens, der Freiheit, denn wiederkehrend entwachsen den Objekten Flügel.

Rekonstruktion einer Wunderkammer

Im Mittelpunkt des Raumes wurde die dicht behängte Atelierwand aus der Berliner Wohnung des Modekünstlers im Augsburger TIM wieder aufgebaut: eine Wunderkammer, Kreuzberger Hängung; ein inspirierender Privatkosmos aus Sammelsurien, Gemälden, Fotos, Knochen und einem altägyptischem Holz. Wer um die Magie der Dinge weiß, kann auch einen Gegenzauber entwickeln –wie bei der scheinbar kecken Kollektion Silverbird, bei der Kleider gemacht sind aus ausgedrückten Tablettenstreifen: „Das ist der Konsum einer Freundin, die leider an den Rollstuhl gefesselt ist. Diese drei Modeobjekte sind der Konsum eines Jahres. Diese Anzahl an Tabletten muß sie in einem Jahr essen, damit sie überleben kann, damit ihr Körper überlebt, und das hat sie für mich gesammelt.“ Oberflächlichkeit sagt man der Mode nach. Es ist ausgerechnet die Oberfläche, mit der Stephan Hann, als Archivar des Materials, das tiefere Gewebe unserer Bedürfnisse erkundet.