Bildrechte: Georg Baselitz, 2018 Foto: Jochen Littkemann, Berlin

Georg Baselitz, Porträt Elke I, 1969

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Georg Baselitz wird 80 - Retrospektive in Basel

Die Zerstörung prägt das Schaffen von Georg Baselitz: "Aggression finde ich die wichtigste Voraussetzung zum Bildermalen", sagte er selbst. Die Fondation Beyeler widmet dem Künstler zum 80. Geburtstag eine große Werkschau. Von Iris Buchheim

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Aggression als Inspirationsquelle? Klar! Aggression empfahl Georg Baselitz auch seinen StudentInnen - als Kunstprofessor in Karlsruhe und später dann in Berlin. Natürlich pries er die Zerstörungswut nicht um ihrer selbst willen an, sondern weil sie die Sicht und den Raum freimacht für Neues, für andere, bislang unerprobte Wege und Erfahrungen. In diesem Sinne kann man das gesamte Œuvre dieses Künstlers, der weltweit zu den bedeutendsten zählt und immer wieder Rekordpreise erzielt, als eine einzige Folge von Aggressionen erzählen.

Renitenz, die ungebärdige Weigerung den sozialistischen Realismus mitzumachen, brachten schon nach zwei Semestern den in Ostberlin studierenden Kunststudenten Baselitz 1957 in den Westteil der Stadt, wo er das Studium bis 1962 an der HdK fortsetzte.

Angriff auf die Prüderie der 60er und einen alten Heldenmythos

Die Zerstörungswut, die ihn dann ein Jahr später berühmt machte, richtete sich gegen die ungeheure Prüderie der deutschen Nachkriegsgesellschaft: Die störte er 1963 mächtig auf mit seinem Bild eines onanierenden nackten Mannes, groß, deformiert und kümmerlich: "Die große Nacht im Eimer". Bald nach Ausstellungsbeginn wurde das Gemälde in der Galerie Werner & Katz in Berlin beschlagnahmt und Baselitz der Prozess gemacht. Zwei Jahre später griff er einen Mythos an, der so alt ist wie die europäische Geschichtsschreibung: den Heldenmythos. Dem Ideal des weltschaffenden Helden setzte er den hinfälligen, ausgesetzten Antihelden Beckettscher Provenienz entgegen.

Auf den Kopf gestellt: Zerstörung der Sehgewohnheiten

"Ich finde diesen Kompromiss, den Maler eingehen, indem sie etwas machen, was man in die Landschaft stellen kann im Vergleich ... ganz schlecht für die Kunst. Ich finde das kompromittierend. Ich finde, eine Landschaft muss den Vergleich der gemalten Landschaft nicht aushalten. Es sollte nie in die Verlegenheit dieses Vergleichs kommen. Und das betrifft Porträts ebenso wie Stilleben auch. Und deshalb ist diese Umkehrung doch wirklich eine intellektuelle Maßnahme, über die man sich ein paar Gedanken machen sollte." Georg Baselitz über seine Verfahren der Inversion

Sowohl die Abstraktion der westdeutschen Nachkriegskünstler als auch der Realismus der DDR-Künstler wecken bei den Betrachtern meist die Suche nach dem Gegenstand und der Bedeutung des Dargestellten. Indem er seine Bilder auf den Kopf stellt, will Baselitz alte Sehgewohnheiten zerstören, dieses Kleben am "Inhalt" der Bilder auflösen und das Sehen rein auf die Malerei und den Prozess des Malens selbst lenken. "Der Wald auf dem Kopf" (1969) war das erste Kopfstandbild von Baselitz. Die Kopfstandfiguren wurden bald zu seinem Markenzeichen und begründeten weltweit den Ruhm des Malers.

Der Maler und das Modell: Erwartungen zerstört

Als einer der bedeutendsten Maler der Gegenwart wurde Baselitz 1980 in den deutschen Pavillon der Biennale von Venedig eingeladen. Aber statt als Maler eines seiner berühmten Kopfbilder, überraschte er das Publikum als frisch gebackener Bildhauer und lieferte die Plastik "Modell für eine Skulptur": Eine noch halb im Block steckende Großskulptur, der die mühevolle Arbeit des Bildhauers förmlich auf den Leib geschrieben ist. Seit 1979 hat sich Baselitz verstärkt der Skulptur zugewendet: Er traktierte Holzblöcke mit Axt und Kettensäge und schuf mit diesen groben Werkzeugen wahrhaft erstaunliche, archaisch anmutende Werke.

Rückkehr des Inhalts: Der Künstler revidiert sein Konzept

Trotz aller Erfolge wurde Baselitz nicht müde, seinen eigenen Stil und sein Konzept in Frage zu stellen und notfalls eben zu zerstören. So revidierte er in den 90er-Jahren seine frühe Absage an die gegenständliche, auf externe Begebenheiten und Bedeutungen verweisende Kunst und erklärte seine neue Inhaltlichkeit leicht selbstironisch als "Sentimentalität des Älterwerdens". Es entstanden Werke wie die "Frauen von Dresden", eine 13-teilige Serie von rohen, zerklüfteten, knallgelb angemalten Frauenköpfen, die Baselitz zum Gedenktag des Mauerfalls in Dresden präsentierte: als Reflexion auf die Bombardierung der Stadt am Ende des Zweiten Weltkriegs.

Remix und Schwärze: Der Künstler revidiert bahnbrechende Werke

Nicht nur das frühe Konzept seiner Malerei, auch seine ersten bedeutenden Bilder unterzog Baselitz von 2005 an einer eingehenden Prüfung, verwarf sie und malte sie neu. In der 2006 in der Münchner Pinakothek der Moderne gezeigten Baselitz-Schau "Remix" waren diese Rekreationen erstmals zu sehen: Statt der aggressiven Strichführung mit intensiven Farben von früher wiegen jetzt eher Leichtigkeit und hellere Farben vor.

2013 startete er eine neue gegen das eigene Werk gerichtete Aggression: Er ließ einige seiner (wahrscheinlich vorher kopierten) früheren Bilder unter einer schwarzen Farbschicht verschwinden. "Unsichtbare Bilder" wolle er jetzt malen, hatte Baselitz das groß angekündigt und damit gezeigt: Auch mit 75 Jahren hat er noch Lust auf Provokation. Aus dem Schwarz tauchen dann röntgenhafte Figuren wieder auf: Zum Beispiel ein Paar, das an das Paar im Schlafzimmer anspielt, das Georg Baselitz 1975 gemalt hat.

Georg Baselitz: Ausstellungen zum 80.

Die Fondation Beyeler zeigt von 21. Januar bis 29. April in Basel rund 90 Gemälde und 12 Skulpturen aus den Jahren 1959 bis 2017.

Die Graphische Sammlung der Pinakothek der Moderne ehrt den 80-jährigen Maler von 21. Januar bis 18. Februar mit einer Kabinett-Ausstellung seiner großartigsten Zeichnungen und Drucke.