Bildrechte: Marie-Laure Briane/Gärtnerplatztheater
Bildbeitrag

Özkan Ayik als "Zampano"

Bildbeitrag
> Kultur >

Ein Kerl wie eine Rüstung: "La Strada"-Ballett in München

Ein Kerl wie eine Rüstung: "La Strada"-Ballett in München

Zampano sprengt alle Ketten - im berühmten Fellini-Filmklassiker von 1954, und im Ballett mit der Musik von Nino Rota. Am Gärtnerplatztheater wird daraus ein packendes Männer-Ding über die Unmöglichkeit der Liebe. Nachtkritik von Peter Jungblut.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Da steht der große Zampano, der Kettenbrecher und Eisenbieger, lässt seine stahlharten Bauch-Muskeln spielen, dass die Schellen an seinem Gürtel vor Angst bibbern, bläht seinen bärenstarken Nacken auf, schaufelt mit den bratpfannengroßen Händen, schleudert einen Schweißregen in die Luft und stellt klar: Hier bin ich, und keiner kann es mit mir aufnehmen. Die Muskeln sind seine blitzende Ritterrüstung, sein Kapital auf den Jahrmärkten, aber auch sein Verderben, denn aus dieser Rüstung kommt er nicht raus, der Mann. Mit dem türkischen Ausnahmetänzer Özkan Ayik hat Choreograph Marco Goecke einen wirklich überzeugenden Zampano gefunden, jeder Zentimeter bedrohliche Maskulinität, und ein Rauchduell wird zum Höhepunkt dieser 80 Minuten: Zwei Kerle, die sich anpaffen und die Glut zischend in ihren Handflächen löschen.

"Man verpasst die Liebe in vielen Momenten"

"La Strada", ein schwermütig-düsteres Schwarz-Weiß-Melodram über die Unfähigkeit der Männer zu lieben. Als Zampano am Ende schluchzend am Strand unterm Sternenhimmel steht und nicht mal mehr mit den Huren klar kommt, da ist es zu spät - für ihn, für die Liebe.

Mit der Liebe ist das ja so eine Sache. Die Liebe ist ja immer überall in unserem Alltag da, im Leben, zwischen den Menschen, aber das andere eben leider auch, das Brutale und Böse. Und man verpasst die Liebe, glaube ich, in vielen, vielen Momenten im Leben, und so würde ich die Geschichte auch zusammenfassen: La Strada. - Marco Goecke

Es rasselt die Riesenkette

Der Stuttgarter Choreograph Marco Goecke ist bekannt für seine eher düsteren Stücke, und Fellinis neorealistischer Klassiker von 1954 passt natürlich vorzüglich zu dieser Optik. Den Film vorher anzuschauen oder die Handlung zu lesen, kann bei dieser Inszenierung nicht schaden: Goecke bleibt zwar nah dran an der Geschichte, stellt aber auch um, bleibt karg und belässt es bei Andeutungen. So fehlt jede Zirkus- und Jahrmarkts-Folklore, fast jeder Firlefanz. Ausstatterin Michaela Springer belässt es bei ein paar schwarz-goldenen Manegen-Uniformen, zwei grau-schwarzen Hügeln, die den Strand symbolisieren und einem Getreidefeld, das für die ländlich-armseligen Schauplätze steht. Zwischendurch rasselt eine Riesenkette aus dem Bühnenhimmel auf den Boden, Sinnbild für Kraft, Stärke, Gewalt und Tod, denn Zampano, dieses Urvieh, begeht hier zwei Morde, am Anfang und am Ende.

Musik lodert glutheiß

Nino Rotas kraftvolle, expressionistische Musik im Hollywood-Sound der fünfziger Jahre ist bei Dirigent Michael Brandstätter gut aufgehoben, so glutheiß, wie sie auflodert - in der Oper wäre das allemal viel zu viel, zu laut, zu schwülstig - im Tanz setzt sie Zuschauerseelen in Brand. Die stärkste Seite an diesem umjubelten Abend: Marco Goecke schert sich erfreulich wenig um Rhythmus und Takt der Musik, zählt nicht die Noten, sondern macht sich völlig frei von Nino Rotas Vorgaben.

Ich glaube, dass ich ein Händchen habe, nicht die Musik zu vertanzen, sondern die Musik gleichberechtigt mit dem Tanz - grob gesagt - laufen zu lassen. Das heißt, da begegnet sich was und berührt sich auch miteinander, aber es ist kein Eins-zu-Eins-Abbild der Musik, was viele Choreographen versuchen, vielleicht auch zurecht, weil sie oft viel mehr Interesse an der Musik haben als am Tanz. Und so ist das auch so ein Liebesverhältnis mit vielen Konflikten, wenn ich an die Musik rangehe, aber ganz sicher ist es zum Schluss eine gewaltige, schöne Musik. - Marco Goecke

Reine Männersache

"La Strada" als reine Männersache: Die Pracht- und Macht-Kerle vom Zirkus stehen hier so sehr im Vordergrund, dass es die Frauen schwer haben, allen voran Verónica Segovia als Gelsomina, die von Zampano gekauft wird, alle seine Launen aushält und seiner Eifersucht zum Opfer fällt. Großartige Auftritte haben Javier Ubell als Seiltänzer Matto und Alessio Attanasio als Clown. Ja, es geht akrobatisch zu bei diesem Tanzabend: Rasante Kopfsprünge und verblüffend quirlige Bewegungen in der Hocke, kreisende Hände wie beim indischen Tempeltanz und reichlich italienische Sprachfetzen, mehr Schreien als Rufen. Die raue Welt von "La Strada", das wehmütige Lied der Straße, am Gärtnerplatztheater ist es eindrucksvoll zu hören und zu sehen.

Wieder am 14., 15., 17. und 23. Juli.