Matthias Lilienthal, Intendant der Münchner Kammerspiele steht in einer Halle
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Matthias Lilienthal, Intendant der Münchner Kammerspiele

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"#ausgehetzt": Keine Konsequenzen für Theater-Chef Lilienthal

Im Sommer 2018 unterstützte Matthias Lilienthal, Intendant der Kammerspiele, einen Demo-Aufruf gegen die "Politik der Angst", die CSU wollte ihn deshalb wegen mangelnder Neutralität belangen. Doch es wird keine Schritte gegen Lilienthal geben.

Muss eine städtische Kultureinrichtung sich politisch neutral verhalten? Oder sollte sie nicht das Recht haben, sich in strittigen gesellschaftspolitischen Fragen zu positionieren? Diese Frage hatte die Münchner Stadtpolitik an einem höchst konkreten Fall zu behandeln. Ein breites Bündnis von mehr als 130 Organisationen hatte im Juli 2018 unter dem Motto "#ausgehetzt" zu einer Großdemonstration aufgerufen. Gemeinsam wolle man "gegen die Politik der Angst" protestieren, so die Veranstalter.

Neutralitätspflicht städtischer Kultureinrichtungen

Zu den Erstunterzeichnern gehörten die Kammerspiele und ihr Intendant Matthias Lilienthal, auch Christian Stückl vom Volkstheater unterstützte den Aufruf. Daraufhin ging ein Antrag der CSU-Stadtratsfraktion bei Oberbürgermeister Dieter Reiter ein. Die Kammerspiele als städtischer Betrieb hätten parteipolitische Neutralität zu bewahren, hieß es darin. Und der OB wurde sehr konkret aufgefordert, dem renommierten Theater erstens die "Beteiligung an der Demonstration" zu untersagen und zweitens "dienstaufsichtsrechtliche Maßnahmen gegen die Verantwortlichen" einzuleiten.

Doch zu solchen Maßnahmen wird es nicht kommen, wie die Stadt München nun mitteilte. In einem Antwortschreiben des Kulturreferats wird diese Entscheidung damit begründet, es müsse grundsätzlich Ausnahmen zum "Neutralitätsprinzip" für städtische Einrichtungen geben. Für kulturelle Institutionen gelte das sogar im besonderen Maße, so das Kulturreferat mit Berufung auf die Freiheit der Kunst: "Kunst ist kein Selbstzweck. Sie erschöpft sich nicht im Erschaffen von Objekten. Vielmehr ist sie Ausdruck emotionaler oder intellektueller Inhalte, welche der Künstler oder die Künstlerin mittels einer bestimmten Formensprache vermittelt."

Weiter schreibt Kulturreferent Hans-Georg Küppers:

"Man kann den Münchner Kammerspielen also nicht grundsätzlich untersagen, auf ihrer Bühne gesellschaftskritische oder politische Werke aufzuführen, selbst wenn diese sich gegen nur in einzelnen, bestimmten politischen Parteien vertretene Strömungen richten. Ebenso ist nicht immer dann ein Einschreiten angezeigt, wenn die Kammerspiele für die politische und gesellschaftskritische Ausrichtung ihres Hauses werben und mit dieser Ausrichtung in der Öffentlichkeit in Erscheinung treten." Hans-Georg Küppers, Kulturreferent München

Auf welche Weise soll Kunst politisch sein?

Die Debatte über "#ausgehetzt" und das politische Engagement der Münchner Kammerspiele wie des Münchner Volkstheaters steht in einem größeren Kontext, der nicht nur politische, sondern auch künstlerische Fragen berührt: Politische Neutralität von der Kunst zu fordern, das ist in Zeiten, in denen sich Künstler immer deutlicher politisch einmischen und auch ihre Arbeit in diesem Sinne verstehen, durchaus problematisch. Wie genau die politische Einmischung der Kunst allerdings aussehen soll, das muss immer neu ausgehandelt und auch ästhetisch eingelöst werden.

Die Stellungnahme des Kulturreferats zum CSU-Antrag gegen Lilienthal nimmt auf solche Diskussionen ausdrücklich Bezug: Bereits mit Lilienthals Berufung zum Intendanten der Kammerspiele habe sich die Stadt München bewusst für eine "Öffnung des Hauses" entschieden: "Mehr denn je muss sich das Theater Fragen nach seiner Relevanz in einer sich rasant verändernden Welt stellen. Die Kammerspiele reagieren darauf unter Lilienthal mit einer Politik der ästhetischen und gesellschaftlichen Öffnung." Nach Bekanntwerden des CSU-Antrags hatten sich Theater aus ganz Deutschland mit den Münchner Bühnen solidarisiert und sich gegen politische Einflussnahme auf die Kunst ausgesprochen.

Zur "#ausgehetzt"-Demo in München kamen am 22. Juli Zehntausende Menschen, die Polizei sprach von 25.000, die Veranstalter gingen sogar von 50.000 Teilnehmern aus. Unter den Demonstranten war auch Oberbürgermeister Reiter selbst, unter den Rednern Matthias Lilienthal. Daraus werden ihm nun keine beruflichen Nachteile entstehen.

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