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Ausnahmezustand in deutschen Gefängnissen, Teil 1

An die Öffentlichkeit dringt nur etwas, wenn Drastisches passiert. Aber auch der Alltag in Deutschlands Gefängnissen ist oft Ausnahmezustand. Ein Blick hinter die Mauern. Teil 1 unserer Serie von Eva Achinger, Pia Dangelmayer, Verena Nierle

Über dieses Thema berichtet: Dossier Politik.

Fast 65.000 Menschen sitzen in Deutschland derzeit im Gefängnis. Eingesperrt, damit sie ihre Strafen verbüßen. Weggesperrt zum Schutz der Allgemeinheit. Doch ca. 99 Prozent der Inhaftierten kommen irgendwann wieder frei. Dann sollen sie geläutert sein, in der Lage, ein Leben ohne Straftaten zu führen. Ehemalige Straftäter werden wieder Teil der Gesellschaft. Und deshalb - da sind sich Experten einig - ist es nicht egal, wie die Zustände hinter Gittern sind.

Anspruch und Wirklichkeit klaffen auseinander

Doch dem hehren Anspruch, festgeschrieben in Paragraf 2 des Bundesstrafvollzugsgesetzes, steht der harte Alltag in deutschen Knästen gegenüber: überfüllte Gefängnisse, zu wenige Vollzugsbeamte, respektloser Umgang mit Häftlingen.

In Berichten nationaler und europäischer Antifolterkommissionen wird Deutschland wegen der Zustände in den Gefängnissen immer wieder gerügt.

"Der CPT ist (...) bestürzt darüber, wieviele Insassen der Justizvollzugsanstalt Kaisheim sich über Vorfälle rüden und respektlosen Verhaltens und Sprachgebrauchs seitens einiger Mitglieder des medizinischen Personals der Einrichtung (...)". Bericht an die deutsche Regierung über den Besuch des Europäischen Ausschusses zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe in Deutschland (CPT), vom 25. November bis zum 7. Dezember 2015
"Auch eine Überbelegung der Justizvollzugsanstalt kann eine mit der Menschenwürde nicht vereinbare Unterbringung Gefangener nicht rechtfertigen." Nationale Stelle zur Verhütung von Folter, Besuchsbericht Justizvollzugsanstalt Karlsruhe, Außenstelle Bühl, 9. Dezember 2016

Überbelegt und unterbesetzt

Seit 2015 nimmt die Zahl Inhaftierter in Deutschland nach Jahren wieder zu. Das stellt die Gefängnisse vor Probleme. In mehreren Bundesländern ächzen Justizvollzugsanstalten unter Überbelegung. So hat Baden-Württemberg laut Justizministerium eine Auslastung im Männervollzug von bis zu 140 Prozent. Übervoll sind auch die Haftanstalten in Sachsen: Chemnitz, Dresden oder Zwickau - allesamt zu über 100 Prozent belegt.

In mehreren Bundesländern klagten Häftlinge erfolgreich gegen eine menschenunwürdige Unterbringung. So musste Nordrhein-Westfalen Entschädigungen an Häftlinge zahlen - wegen Verstoßes gegen die Menschenwürde. Hafträume waren zu klein, mehrfach belegt oder hatten keine abgetrennten Toiletten. Inklusive Gerichts- und Anwaltsgebühren belaufen sich die Kosten für die geleisteten Entschädigungszahlungen allein in NRW in den vergangenen zehn Jahren auf über drei Millionen Euro.

Zu wenig Personal

Auch das Personal leidet unter den Bedingungen. Dazu kommt, dass viele Stellen im Strafvollzug unbesetzt sind. 

"Wir sind längst über die Belastungsgrenze hinaus. Die äußere Sicherheit ist gewährleistet, da liegt momentan der Fokus darauf. Aber die innere Sicherheit? Unsere Kollegen laufen zunehmend durch den Personalmangel Gefahr, Opfer von Übergriffen zu werden." René Müller, Vorsitzender des Bundes der Strafvollzugsbediensteten