Kosovos Präsident Hashim Thaci
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Kosovos Präsident Hashim Thaci. Foto: AP Photo/Visar Kryeziu

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Anklageschrift gegen Kosovos Präsidenten Hashim Thaçi

Dem kosovarischen Präsidenten Hashim Thaçi wird vom Kosovo-Sondertribunal in Den Haag in zehn Anklagepunkten eine Reihe von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen vorgeworfen.

Im Frühjahr 1999 endet der Kosovokrieg. Die NATO hatte militärisch zugunsten der Kosovo-Albaner eingegriffen und die blutige serbische Militär- und Polizeipräsenz beendet. Nach dem Abzug der serbischen Truppen kommt es zu Racheakten an Zivilisten. An Serben, aber auch an Roma oder an Kosovoalbanern, die im Verdacht stehen, kollaboriert zu haben. Der Chirurg Andrija Tomanovic verschwindet 1999 am helllichten Tag in Pristina. Seine Frau Verica erinnert sich:

"Er war bis 13 Uhr im Krankenhaus und hatte eine Sitzung mit Kollegen. Dann hat er meine Tochter angerufen und gesagt, ich mache mich auf den Weg nach Hause. Aber er kam nie zuhause an. Wir haben Gerüchte gehört, dass er von zwei Männern geführt worden ist. Seitdem haben wir keine Informationen und sind sehr verzweifelt." Verica Tomanovic

Um die Aufarbeitung von Verbrechen wie diesen kümmert sich das Kosovo-Sondertribunal in Den Haag. Chefankläger des Gerichts ist der Amerikaner Jack Smith und er hat inzwischen mehrere Anklageschriften an das Gericht übermittelt. Zuletzt am 24. April. Seit gestern ist bekannt, dass diese Anklageschrift unter anderem den kosovarischen Präsidenten Hashim Thaçi betrifft. Dem früheren Kommandeur der inzwischen aufgelösten kosovarischen Befreiungsarmee UCK werden in zehn Anklagepunkten eine Reihe von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen vorgeworfen, darunter Mord, das Verschwindenlassen von Menschen, Verfolgung und Folter. In der Anklageschrift werden Thaçi und anderen ehemaligen UCK-Mitgliedern, fast 100 Morde vorgeworfen. Sollte der Richter die Anklage zulassen, kommt es zum Prozess. Ein Unding – findet dieser Mann in Pristina:

„Das ist unfair, die UCK-Soldaten haben keine Verbrechen begangen. Das ist eine Ungerechtigkeit.“

Diese Frau aus Pristina sieht es anders:

„Ich denke, es ist ganz normal, das Verbrechen, die begangen wurden auch bestraft werden, das ist ganz normal.“

Als die Nachricht über die Anklageschrift veröffentlicht wird, ist Hashim Thaçi gerade auf dem Weg nach Washington, wo er auf Einladung von US-Präsident Donald Trump mit dem serbischen Präsidenten Aleksandar Vucic über ein Wirtschaftsabkommen verhandeln soll. Thaçi bricht die Reise ab und kehrt in den Kosovo zurück. Die geplanten Gespräche mit der serbischen Staatsführung, die ohne erkennbare Absprache mit der EU eingefädelt wurden, platzen damit. Im Kosovo wird jetzt darüber diskutiert, ob die überraschende Veröffentlichung von Details aus einer Anklageschrift, die seit Ende April vorliegt, zwei Tage vor dem Treffen in Washington Zufall sein kann. Das Büro des Chefanklägers begründet die Veröffentlichung mit „wiederholten Bemühungen“ von Thaçi und dem ebenfalls Verdächtigten langjährigen Ex-Parlamentspräsidenten Kadri Veseli, die Arbeit des Gerichts zu behindern und zu untergraben. Veseli weist das in einer ersten Reaktion empört zurück:

„In dieser Erklärung versucht der Chefankläger seine unfaire und ungewöhnliche Entscheidung zu rechtfertigen, indem er behauptet, ich und der Präsident hätten versucht, seine Arbeit zu behindern. Für eine Behinderung des Gerichts durch uns gibt es aber keine Grundlage."

Die Vorwürfe gegen Hashim Thaçi und andere UCK-Mitglieder sind nicht neu. Bereits 2011 bringt sie ein Bericht des Europarats mit den genannten Verbrechen in Verbindung. 2015 stimmt das Parlament im Kosovo einem Sondertribunal zu: Es soll unter anderem Kriegsverbrechen untersuchen die zwischen 1998 und 2000 begangen wurden. Gegen den erklärten Willen der UCK-Lobby im Kosovo. Denn in der allgemeinen Wahrnehmung im Kosovo hat der bewaffnete Kampf der UCK das Land in die langersehnte Unabhängigkeit geführt. Viele im Kosovo sind überzeugt, dass sich das Haager Sondergericht ausschließlich gegen frühere UCK-Mitglieder richtet und sehen die vielen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit relativiert, die von serbischer Seite im Kosovo nachweislich begangen wurden. Entsprechend auch die Reaktionen auf die Haager-Anklageschrift gegen Thaçi. Quer durch das Parteienspektrum des Kosovo erklärten führende Politiker, dass der Kosovo-Krieg ein gerechter Krieg gewesen sei. Der UCK-Veteranenverband kündigt sogar Widerstand an.

„Wir können nicht garantieren, dass es ruhig bleibt. Und wir können nicht garantieren, dass es nicht zu Demonstrationen kommt." Der Vorsitzende Hysni Gucati

Seit klar ist, dass Chefankläger Jack Smith ihn auf der Anklagebank sehen will, hat sich Hashim Thaçi noch nicht geäußert. Allerdings teilte er vor kurzem mit, dass er sich nach Ablauf seiner Amtszeit als Präsident zurückziehen wollen würde. Das Hintergrundbild seines Facebook-Profils hat er aber inzwischen geändert. Es zeigt jetzt den schwarzen Doppeladler der UCK.

Hier können sie das Audio hören