Bayern 2-radioWelt: Würden Sie der Bundeskanzlerin raten, nach Russland zur WM zu fahren? Es ja umstritten, ob sie wirklich hinfährt - würde das politisch etwas bewirken?
Wladimir Kaminer, russisch-deutscher Schriftsteller, lebt seit 1990 in Berlin: Es wird nichts bewirken - weder politisch noch menschlich - wenn sie nicht hinfährt. Sich mit dem Rücken zum Gastgeber zu stellen und zu sagen, wir wollen mit euch gar nicht reden, das ist, glaube ich, falsch. Gerade in so einer Situation, wo der Gastgeber quasi in Schuld steht und sich zumindest nach Außen hin weltoffen und gastfreundlich zeigen muss, das ist doch genau der richtige Zeitpunkt, um mit dem Gastgeber über das Wichtige zu reden, das vielleicht nicht direkt mit Fußball zu tun hat! Ich glaube, dass mit dieser Weltmeisterschaft Russland sich aus seiner Außenseiterrolle herausbringen will, sich zeigen will als ein europäisches Land wie jedes andere. Gut, es gab politische Differenzen, da muss noch über vieles gesprochen werden, aber diese Möglichkeit, sich als ein europäisches Land zu zeigen, muss doch gegeben werden!
Bayern 2-radioWelt: Russlands Regierung hat natürlich auch machtstrategische Interessen. Sie nutzt die WM auch, um sich zu inszenieren. Wie, glauben Sie, wird Putin das tun?
Wladimir Kaminer: Ich glaube, dass Putin alles tun wird, sich als großer Staatsmann zu zeigen, der seinem Volk ein solches Geschenk macht - die Fußball-WM. Aber gleichzeitig wird das Land zu einer ganz neuen Rolle finden: Wenn die russische Mannschaft eine Niederlage auf dem Fußballfeld erleidet und gleichzeitig aber trotzdem weltoffen und gastfreundlich den anderen gegenüber sein muss, dann ist das eine ganz neue Rolle für Russland und dieses Regime. Vielleicht wird das auch eine Lehre sein. Manchmal ist die Niederlage ja viel wichtiger als der Sieg!
Bayern 2-radioWelt: Wie wird die WM von den Menschen in Russland wahrgenommen?
Wladimir Kaminer: Ich glaube, dass es auch für meine Landsleute eine Chance gibt, den anderen Völkern, den Ausländern, in die Augen zu sehen. In russischen Medien wird ja seit langem erzählt, dass die ganze Welt die Russen nicht leiden könne, dass das Land alleine stehe. Jetzt werden sie sehen, dass das nicht stimmt. Dass die anderen genauso gut drauf sind und Russland durchaus mögen - und wie die Russen selbst ihr Land lieben. Das kann zur Völkerverständigung beitragen.
Bayern 2-radioWelt: Wem drücken Sie die Daumen?
Wladimir Kaminer: Ich bin für die deutsche Mannschaft! Ich glaube, Deutschland braucht diesen Sieg. Heutzutage schauen die Leute viel mehr Fußball als irgendwelche politischen Veranstaltungen. Fußball ist wichtiger als Politik. Und Deutschland braucht gerade jetzt Respekt, wo das Land sich doch zu einer Lokomotive der freien Welt quasi aufspielt - und als eine führende Kraft in der Europäischen Union den Amerikanern und auch den Russen Paroli bieten muss. Und nichts bringt so viel Respekt wie ein Fußballsieg!