Amalie Speidel ist am Urnengrab ihres Bruders Ernst Lossa. Die 86 jährige ist extra aus Backnang nach Irsee gekommen, um bei der Gedenkveranstaltung "Lichter gegen das Vergessen" dabei zu sein.
"Habe mich nochmal angestrengt, dass ich hierher komme. Meinem Bruder zu Liebe. Und für alle die ihn schon immer gekannt haben. Auch wenn es um meinen Bruder nicht mehr so ging, um andere auch, die so grauenhaft umgekommen sind." Amalie Speidel, Schwester eines Euthanasie-Opfers
Angeregt hatte das Totengedenken der in Irsee lebende Schriftstellers Robert Domes. Seine jüngst verfilmte Roman-Biographie "Nebel im August" dokumentiert die Lebensgeschichte von Ernst Lossa.
Angehörige der Euthanasie-Opfer suchen weiter
"Die Patientenmorde sind aus verschiedenen Gründen nicht wirklich an die Öffentlichkeit gekommen. Zum einen, weil die Anstalten weiter bestanden haben. Viele Karrieren der Täter haben weiter bestanden. Und viele Familien hatten auch kein Interesse, weil sie sich geschämt haben." Robert Domes, Schriftsteller
Noch heute bekommt Robert Domes Anrufe und Briefe von Angehörigen in der zweiten oder dritten Generation, die nach ihren Großeltern oder Urgroßeltern forschen.
"Jemand, der in der Anstalt war und als Irrer, oder als Behinderter oder als Asozialer, als wie auch immer gebrandmarkt war, für den schämen sich teilweise die Angehörigen noch heute. Das ist etwas, was durchsticht in der Gesellschaft. Das ist etwas ganz Seltsames und ich glaube, das ist auch einer der Hauptgründe, warum das so lange gebraucht hat bis da eine Aufarbeitung stattgefunden hat." Robert Domes, Schriftsteller
Erschreckende Details aus dem Tagebuch
Von 1940 bis 1945 starben 818 Menschen im Kloster Irsee. Der Pfarrer von Irsee war kein Nazi, dies zeigt auch sein Tagebuch, doch letztendlich sei er in Irsee alleine unter Nazis gewesen, sagt heute sein Neffe Gebhard Wille.
"Die Ärzte haben tagsüber bestimmt, der und der kommen heute Nacht dran und dann haben die noch einen Pfarrer geholt für die letzte Ölung. Wie das seelisch in ihm gearbeitet hat, weiß ich nicht. Aber es war dann auch immer in diesen Zeiten eine Hochspannung im Haus." Gebhard Wille, Neffe des damaligen Pfarrers
Gleich neben dem Kloster Irsee lebte Gebhard Wille mit seiner Familie und dem Irseer Pfarrer Joseph Wille. Pfarrer Wille war strafversetzt, weil er sich bereits als Jugendpfarrer mit den Nazis angelegt hatte. Die täglichen Patientenmorde machten ihm zu schaffen. Immer wieder schrieb er an seinen Bischof im fernen Augsburg. Ändern konnte Pfarrer Wille aber nichts. Vor allem in den letzten Kriegsjahren musste er fast täglich zu sehen, wie Patienten in Irsee ermordet wurden.