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März 1933 "Abtreten, Herr Oberbürgermeister!"

Gegenwehr leisten? Die Monarchie zurückholen? Oder einfach gewähren lassen? Bayerns Demokraten reagieren teils panisch, teils apathisch auf die neue Macht. Die breitet sich unterdessen im Land aus - mal mit brutaler Gewalt, mal fast geräuschlos.

Stand: 19.03.2013 | Archiv

Bilddokument aus dem Jahr 1933 | Bild: SZ-Photo / Scherl

Der 27. Februar 1933 ändert alles. Warum der Reichstag an diesem Tag in Flammen steht, ist bis heute nicht restlos geklärt. Für Adolf Hitler stehen die Kommunisten als Brandstifter fest. Schon am nächsten Tag setzt der neue Reichskanzler mit Billigung Hindenburgs die so genannte "Notverordnung zum Schutze von Volk und Staat" ein und damit die Grundrechte außer Kraft. Mit dem "Ermächtigungsgesetz" vom 23. März erklärt Hitler mit Billigung der bürgerlichen Parteien den Verfassungsbruch für vier Jahre zum Normalzustand.

Die letzten Wahlen ...

Die letzten halbwegs freien Reichstagswahlen am 5. März werden begleitet von Aufmärschen der SA und einem immensen Propagandaaufwand der Nationalsozialisten, die die Ausschaltung der Demokratie durch die Streuung von Gerüchten über kommunistische Putschpläne als Akt der Staatsräson inszenieren. Dennoch verfehlt die NSDAP in Bayern wie im Reich die absolute Mehrheit. Hohe Resultate erzielt sie außer in ihren Hochburgen Ober- und Mittelfranken und der bayerischen Pfalz jetzt auch in Niederbayern und Schwaben; in Oberbayern, Unterfranken und der Oberpfalz liegt sie meist hinter der BVP. Hitler aber arbeitet zielstrebig daran, seinen halben Sieg zu vervollkommnen.

... und die ersten Folterungen

Am 9. März ernennt Hitler Franz Ritter von Epp zum Reichskommissar von Bayern. Der macht sich - begleitet von Oberbayerns Gauleiter Adolf Wagner, SA-Chef Röhm und SS-Chef Himmler - auf, um Ministerpräsident Heinrich Held zur Abdankung zu zwingen. Am 17. März titelt der Völkische Beobachter: "Abtreten, Herr Oberbürgermeister!" und vor dem Münchner Rathaus grölt die SA Kampflieder. Mit der Ermächtigung Hitlers am 23. März wird das Gesetz der Straße amtlich.

"[Am 12. März] Abends hatten die SA und SS ihr besonderes Vergnügen. Sie hatten die Aufgabe, alle politischen Gegner, soweit bekannt, ins Braune Haus zu bringen. Das war was für die Jungs. Endlich mal Rache nehmen zu können!"

Reinhard Heydrichs Ehefrau Lina, zitiert nach: Die Chronik Bayerns

Der Terror ist fein abgestuft: Heinrich Held und danach Münchens OB Karl Scharnagel weichen den Muskelspielen einer Gewalt, von der letzterer 1945 erklärt, man sei "in durchaus anständiger Weise voneinander geschieden". Schlimmer ergeht es Innenminister Karl Stützel. Er hatte Hitler 1925 Redeverbot erteilt und seine Einbürgerung verhindert. Jetzt holt die SA ihn "in Socken und Nachthemd" aus dem Bett.

Die Ehefrau des Himmlerspezis und nachmaligen bayerischen Polizeichefs Reinhard Heydrich berichtet ihren Eltern: Die Nazis "treten dem weinenden Innenminister mit ihren schweren Stiefeln auf die große Zehe, dass er zwischen ihnen hopst von einem Bein aufs andere."

Jüdische Würdenträger und "Linke" werden zu dieser Zeit noch brutaler gequält, viele in den kommenden Wochen ermordet: Am 20. März 1933 werden die ersten Gefangenen ins erste deutsche KZ eingeliefert: Dachau.

Städte und Gemeinden: Eine Minderheit verschafft sich die Macht

Konsterniert statt konzertiert reagieren fast überall in Bayern die demokratischen Funktionsträger. In vielen Gemeinderäten ist die NSDAP bisher eine Splitterpartei. In München stellt sie seit den Kommunalwahlen von 1929 gerade mal 16 von 170 Stadträten; auch im "roten Nürnberg" sind die Nazis eine laute Minderheit.

"Auch in Nürnberg stehen Zehntausende bereit, die Freiheit zu schützen."

Die Fränkische Tagespost der SPD am 5. März 1933

"() In kaum einer anderen Stadt hat sich das Hitlerregime so vollständig ausgewirkt wie hier"

Monatsbericht der Exil-SPD Juni 1934; beide zitiert nach Fritzsch.

Kaum anders sieht es in Augsburg, Würzburg und Regensburg aus. Nur in einer größeren Stadt stellt die NSDAP vor 1933 den Oberbürgermeister: in Lindau ist der langjährige BVP-Amtsinhaber - und nachmalige NS-Ministerpräsident - Ludwig Siebert übergetreten. Im März 1933 bekommt er jede Menge Gesellschaft.

Machtergreifung: Die Entwicklung in Bayerns Großstädten

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Unvermeidlich ist Hitler nicht. Selbst die unrechtmäßige Übertragung des Reichstagswahlergebnisses auf die Rathäuser beschert ihm nur relative Mehrheiten. Dennoch gelingt es der Partei, unter Duldung oder Mithilfe großer Teile der alten Eliten die Macht an sich zu reißen. Ende März sind fast überall NS-Bürgermeister im Amt und neue Fahnen aufgezogen.

"'Die Hissung der neuen Fahnen auf den Amtsgebäuden' habe sich 'allenthalben in würdiger und erhebender Weise' vollzogen, nachdem die Vorstände der Behörden bis zum 10. März gemäß 'ihrer nach der damaligen Rechtslage gegebenen Dienstpflicht gegen das Aufziehen der neuen Fahnen Einspruch zu erheben' gehabt hätten."

Der Regierungspräsident von Ebermannstadt am 22. März, zitiert nach Broszat/Fröhlich.


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