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April 1933 Die Stunde der Denunzianten

Ende März ist die "Machtergreifung" auch in Bayern vollzogen - die "Gleichschaltung" beginnt. Politische Gegner werden ins neue KZ Dachau geschickt. Und von Anfang an sind die Juden das Hauptziel der NS-Propaganda.

Von: Michael Kubitza

Stand: 24.04.2013

Machtergreifung: Der Sommer 1933 | Bild: SZ-Photo / Scherl

Am 30. März 1933 fällt der Startschuss zur totalen Nazifizierung Deutschlands: Mit dem "1. und 2. Gleichschaltungsgesetz" haben die Länder ihre Souveränität verloren. In rascher Folge werden dem NS-Regime jetzt alle Vereine und Verbände einverleibt - von Handelskammern und Berufsvertretungen über die Medien bis zum ADAC, der zum Beiwagen des "Nationalsozialistischen Kraftfahrer-Korps" wird.

Totale Ordnung herrscht damit in Bayern so wenig wie im Rest des Reichs: Im Frühjahr 1933 gleicht der NS-Staat einem Konvoi, dessen Fahrer sich unabgestimmt mit unterschiedlicher Geschwindigkeit auf den Weg machen. Auf dem Land und in den kleinen Städten hängt besonders in den ersten Wochen viel am Können und Wollen der Akteure - was eine bis zum bitteren Schluss anzutreffende "Wenn das der Führer wüsste"-Haltung befördert. Enger am Band der Parteileitung sind München und Nürnberg.  

München: Aus Judenhass wird Politik

Boykottaktion im April 1933

Auch hier gibt nicht immer Berlin das Tempo vor: Pläne, Maibäume mit Hakenkreuzen zu schmücken, bremsen die Münchner. Beim Boykott jüdischer Geschäfte hat dafür die Stadt die Nase vorn: Schon Anfang März hat die SA gepöbelt und geplündert und so einen Vorwand geliefert, 280 Juden in "Schutzhaft" zu nehmen; danach machen sich vom "Kampfbund für den gewerblichen Mittelstand" bis zur nationalsozialistischen Ärzteschaft immer mehr Berufsverbände daran, ihre jüdischen Mitbewerber ins Abseits zu stellen.

Die Schreibtischtäter gehen ans Werk

Dann macht NS-OB Karl Fiehler die Diskriminierung zur Chefsache: Sein Berufsverbot für jüdische Ärzte und Anwälte scheitert vorerst an der fehlenden gesetzlichen Vorlage aus Berlin.

"Deutsche, kauft deutsche Zitronen", machte sich Kurt Tucholsky schon 1932 über den neuen Nationalwahn lustig.

Dafür werden Geschäftsleute, die ihre "rein deutsche" Abstammung nicht nachweisen können, von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen. Noch vor Goebbels' reichsweitem Kommando postiert die Münchner Zentrale SA-Männer vor Firmen mit jüdischen Inhabern. Viele halten ihre Läden aus Furcht geschlossen. Und wieder werden 165 Geschäftsleute verhaftet. 

"Schutzhaft" - so nannten die Nazis die Verhaftung und Misshandlung ihrer Gegner.

Im Sammelband "Jüdisches Leben in München" berichtet Franziska Schott von Schmierereien und Plakaten mit Aufschriften wie "Bin im Urlaub in Dachau". Der erhoffte "spontane Volkszorn" stellt sich so selten ein wie offene Solidarität mit den Opfern; man schaut weg und ärgert sich über die staatliche Einmischung in eigene Einkaufsgewohnheiten.

Bayerns Reichskommissar Adolf Wagner erinnert seinen Parteifreund Fiehler in der "Textilzeitung" daran, "dass durch solche Maßregeln eine Störung des Gesamtwirtschaftslebens hervorgerufen wird, die wir beim besten Willen in der jetzigen Zeit nicht brauchen können." Auch dem Wirtschaftministerium geht Aufschwung vor Ausschluss. Münchens Behörden aber sind nicht zu bremsen: Juden - berichtet Schott - werden "aus Platzmangel" von der Auer Dult und bald auch vom Oktoberfest vertrieben, dürfen weder investieren noch in "arischen" Blättern inserieren. Noch vor den Nürnberger Rassegesetzen sind viele jüdische Geschäfte bankrott.

Franken: Hier hetzt der Chef

Adolf Hitler und Julius Streicher 1923 beim "Deutschen Tag" in Nürnberg. Zehn Jahre später sind beide am Ziel.

Ähnlich agiert die Partei in Nürnberg, wo die SA die jüdische Kultusgemeinde nach dem Boykott auch noch zynisch auffordert, für die Verpflegung der SA-Posten aufzukommen. Tanzvereine und Schulkomitees schließen reihenweise ihre jüdischen Mitglieder aus.

Mittelfranken ist seit den 20er-Jahren eine wichtige Keimzelle des Nationalsozialismus. Dass die Hakenkreuzfahne mit dem rotweißen Rechen noch besser harmonierte als mit der weißblauen Raute, liegt nicht zuletzt an der Haltung der evangelischen Kirche, die den Führer ihrer "freudigen und tätigen Mitarbeit" versichert, der Partei am Ostersonntag landesweit den Segen erteilt und an Hitlers Geburtstag die Sammelbüchse kreisen lässt. Selbst für NS-Manieren extrem ist zudem das publizistische Trommelfeuer des fränkischen Gauleiters Julius Streicher in der "Fränkischen Tageszeitung" und im "Stürmer". 

" ... kaufte bei dem Juden ein Speisezimmer"   

"Kleine Nachrichten - Was das Volk nicht versteht"  überschreibt der "Stürmer" eine Rubrik, in der "judenfreundliches" Verhalten denunziert wird. Hier nur vier von 20 Meldungen einer Ausgabe:

"Der Maurerpolier Philipp Weiß aus Reichenbach begrüßte den erst kürzlich aus dem Konzentrationslager entlassenen Handelsjuden Ferdinand Israel Mayer auf einer öffentlichen Straße und erkundigte sich freundlich nach seinem Befinden.

Der Angestellte Hans Bittner () kaufte bei dem Juden Hamburger ein Speisezimmer.

Der Deutsche Automobil-Club in Kulmbach hält seine Versammlungen im Hotel zur Post in Kulmbach ab. Der Besitzer des Hotels ist mit einer Volljüdin verheiratet, unter deren Aufsicht die Speisen für den DDAC zubereitet werden. Auch der Baumeister Wilhelm Pettroff aus Kulmbach ist täglich zu Gast in diesem Hotel.

Der Käsehändler Weisemann () zu Nürnberg zählt nicht nur heute noch die Juden zu seinen guten Kunden, sondern unterhält sich auch auf der Straße längere Zeit mit Juden, nimmt vor ihnen den Hut ab und schüttelt ihnen herzlich die Hände."

zitiert nach Fritzsch, Nürnberg unterm Hakenkreuz

Über einen Mangel an Zuschriften muss Streicher nicht klagen. Dafür beschweren sich die Staatsanwälte, die das am 21. März verabschiedete "Heimtückegesetz" gegen abfällige Äußerungen zur Regierungspolitik zur Anwendung bringen sollen: Sie sind schon Ende April durch die Menge der eingehenden Anzeigen von Nachbarn und Verwandten völlig überlastet. 


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