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Leben mit Rheuma Ein Tag in der Kinder- und Jugendrheumatologie

Über 25.000 Kinder und Jugendliche in Deutschland leiden an Rheuma. Wie dramatisch und belastend ist die Krankheit für sie? Wie sehen Diagnostik und Therapie aus? Und wie lässt sich ihr Leben erleichtern? Ein Tag im Deutschen Zentrum für Kinder- und Jugendrheumatologie in Garmisch-Partenkirchen.

Von: Agnieszka Schneider

Stand: 20.02.2024

Der zehnjährige Valentin leidet an Dermatomyositis, einer eher seltenen Rheumaerkrankung. Mit seiner Mutter Sabine kommt er mehrmals im Jahr ins Deutsche Zentrum für Kinder und Jugendrheumatologie nach Garmisch-Partenkirchen.

"Angefangen hat es damit, dass mir eines Abends nach dem Rodeln die Füße weh getan haben. Und dann hat die Mama gedacht, dass es Muskelkater ist. Aber am nächsten Tag war es noch da. Und dann hat sich das Stiegensteigen verschlechtert."

Valentin

Spezielklinik für junge Rheuma-Patienten

Er konnte nicht mehr ins Auto einsteigen. Dazu kamen Flecken auf der Haut, ein eigenartiges Gittermuster. Sein Zustand verschlechterte sich innerhalb von drei Wochen rapide. Der Weg nach Garmisch-Partenkirchen glich für die Familie aus Österreich einer Odyssee.

"Ich bin mit einem gesunden Kind ins Spital. Nach drei Wochen konnte sich Valentin weder umdrehen, noch aufsetzen, nicht schlucken. Dann sind wir über die Deutsche Rheuma-Liga auf den österreichischen Rheumalis-Verein gestoßen und haben dort die Info gekriegt, dass es in Deutschland eine Klinik gibt, die darauf spezialisiert ist. Dann haben wir alles drangesetzt, dass wir hierherfahren konnten. Wir kommen jetzt seit fünf Jahren immer wieder in die Klinik und fühlen uns bestens aufgehoben."

Sabine, Valentins Mutter

Für jeden Patienten wird hier ein individuelles Therapieangebot zusammengestellt. Denn jede Rheumaerkrankung ist anders. 

Juvenile Dermatomyositis: Muskulatur und Haut betroffen

Im Gegensatz zum klassischen Rheuma, bei dem sich die Gelenke entzünden, sind  bei der juvenilen Dermatomyositis die Muskulatur und die Haut betroffen. Bei Valentin war eine ausgeprägte Muskelschwäche sowohl am Rumpf wie auch an den oberen und unteren Extremitäten vorhanden. Jetzt sind nur noch die Rumpfmuskulatur, die Ellenbogen und die Sprunggelenke seine Schwachstellen.

Wie es ihm aktuell geht, untersucht der Kinderrheumatologe und ärztliche Direktor Prof. Haas. Er prüft anhand unterschiedlicher Tests die Muskulatur und die Beweglichkeit der Gelenke bei Valentin.

"Es gibt Erkrankungen, die spezifisch im Kindesalter vorkommen. Diese juvenile idiopathische Arthritis mit Befall - für die gibt es keine entsprechende Form im Erwachsenenalter."

Prof. Dr. med. Johannes-Peter Haas, Kinderrheumatologe, Deutsches Zentrum für Kinder- und Jugendrheumatologie

Medikamente regelmäßig anpassen

Bei Valentin hat sich im Laufe der Zeit zusätzlich eine Gelenkentzündung am Ellenbogen entwickelt, die erfolgreich mit Kortison behandelt wurde. Jetzt heißt es für ihn: Physiotherapie und Sport machen.

"Denn die Muskulatur hat natürlich unter diesen Entzündungen und auch der wenigen Beweglichkeit, den Gelenksentzündungen etwas gelitten. Die muss man jetzt wieder auftrainieren."

Prof. Dr. med. Johannes-Peter Haas, Kinderrheumatologe, Deutsches Zentrum für Kinder- und Jugendrheumatologie

Viele kleine Schritte der Therapie: Valentin bekommt seine Medikamente, Immunglobuline, jetzt in größeren Abständen. Vielleicht kann er sie im nächsten halben Jahr sogar ganz weglassen. Denn: Die Immunglobuline dämpfen die autoimmune Aktivität des Körpers, die durch Entzündungen entsteht. Da sich Valentins Muskelkraft deutlich verbessert hat, braucht er jetzt weniger Immunglobuline. Infusionen und Medikamente werden regelmäßig dem aktuellen Zustand des kleinen Patienten angepasst.

Bewegungsanalyse im High-Tech Labor

2.000 stationäre Patienten werden in der Kinder-Rheumaklinik in Garmisch-Partenkirchen jedes Jahr betreut. Bei Valentin folgt nun eine Bewegungsanalyse. Sportwissenschaftler Matthias Hartmann will dabei herausfinden, wie sich Valentins Gelenke unter Belastung verändern.

"Bei einem Rheumapatienten schauen wir grundsätzlich erst mal, wie schnell ist der Patient gegangen, wie breit waren seine Schritte. Zusätzlich schauen wir uns noch die Kraft-Parameter an. Das heißt: die Leistung und Drehmomente in den Gelenken. Valentin hatte mit der Kraft in den Sprunggelenken und in den Knien etwas Defizite. Da sind diese Parameter bei uns sehr wichtig."

Matthias Hartmann, Sportwissenschaftler, Deutsches Zentrum für Kinder- und Jugendrheumathologie

Das High-Tech Labor in der Klinik ist einmalig in Deutschland. Bei der 3-D-Analyse erkennt der Sportwissenschaftler Bewegungseinschränkungen und Fehlbelastungen der Kinder. Bei Valentin hat sich die Beweglichkeit im Kniegelenk in den vergangenen vier Jahren sehr verbessert.

Mit Physiotherapie gegen Bewegungseinschränkungen

Physiotherapeutin Yvonne Kaes kümmert sich an der Klinik um die kleinen Patienten und ihre Bewegungseinschränkungen. Wenn Valentin die Füße hochzieht, kommt er mit dem linken Fuß etwas höher als mit dem rechten.

"Das braucht er zum Gehen, zum Abrollen, zum Rennen, zu Allem. Füße sind die Basis. Wir versuchen, wieder das volle Bewegungsausmaß herzustellen."

Yvonne Kaes, Physiotherapeutin, Deutsches Zentrum für Kinder- und Jugendrheumathologie

Bei allen Kindern ist das Ziel: die volle Beweglichkeit wieder herzustellen und Schonhaltungen zu verhindern. Ob Wärme oder Massagen: Valentins Mutter lernt hier auch, wie sie ihren Sohn zu Hause unterstützen kann. 

Besser Schreiben dank Ergotherapie

Und auch die Ergotherapie ist ein wichtiger Baustein. Therapeutin Veronika Bartl hat heute Schreibhilfen zum Testen mitgebracht. Denn: Valentins Arm- und Handmuskulatur wurden durch die Dermatomyositis geschädigt. Er kann den Druck beim Schreiben schlechter dosieren. Deswegen schreibt er mit einem Aufsatz.

"Valentin rutscht so mit den Fingern nicht weg. Er hat damit einen guten Halt."

Veronika Bartl, Ergotherapeutin, Deutsches Zentrum für Kinder- und Jugendrheumathologie 

Auch bei spielerischen Aktivitäten mit Knete trainiert Valentin seine Gelenke.

Die Klinikschule: Lernen in der Klinik

In der Klinik wird aber nicht nur therapiert, hier wird auch gelernt: Die klinikeigene Schule hilft Schwierigkeiten wie krankheitsbedingte Fehlzeiten oder verpassten Unterrichtsstoff in der Stammschule zu vermeiden. Die meisten Kinder gehen gerne dorthin, so wie Valentins neuer Freund Jura.

"Hier ist es einfacher als in der Schule zuhause, weil wir weniger Stunden haben. Und wir machen auch viele Pausen."

Jura

Jede Unterrichtsstunde endet mit einem Spiel – das verbindet. Hier fühlt sich niemand ausgeschlossen.

Entspannung und Action im Snoezelen Raum

Die nächste Station für Valentin ist der sogenannte Snoezelen Raum - hier gibt es normalerweise Entspannungsrunden und Phantasiereisen. Doch Valentin braucht Action. Deswegen hat sich seine Therapeutin Yvonne einen Lauf-Parcours für ihn ausgedacht. So trainiert er im Spiel seine Muskulatur.

Valentins Zustand hat sich in den letzten Jahren richtig verbessert. Damit gehört er zu dem Drittel der Dermatomyositis – Patienten, die ganz gesund werden könnten - dank der Fortschritte in der Kinder- Rheumatologie.

Dem Körper wieder vertrauen

Valentin hat sportliche Ziele – er will Basketball oder Tennis spielen. In der Klinik kann er klettern. Physiotherapeutin Ann-Kathrin Wiggers begleitet ihn dabei.

"Damals ist er an den kleinen Wänden nicht hochgekommen, da hat die Kraft noch gefehlt. Es geht hier auch um die Motivation und einen Anreiz, sich wieder zu bewegen, dem Körper zu vertrauen, Pump-Stabilität aufzubauen. Bei den Bewegungseinschränkungen hat ihm das Klettern auch gut geholfen."

Ann-Kathrin Wiggers, Physiotherapeutin, Deutsches Zentrum für Kinder- und Jugendrheumathologie

Eine chronische Erkrankung ist für jedes Kind belastend: körperlich wie psychisch. Ausgleich zu dem doch anstrengenden Klinikalltag bieten den Kindern Spielrunden mit den neu gewonnenen Freunden auf dem Spielplatz.

"Das wünsche ich natürlich allen Kindern hier: dass sie irgendwann ein Leben ohne Schmerzen und Medikamente führen. Dabei können Kliniken wie diese einen entscheidenden Beitrag leisten."

Fero Andersen, Reporter


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