BR Fernsehen - Gesundheit!


12

Lebensgefährlicher Verschluss Lungenarterienembolie

Etwa 80 000 Menschen in Deutschland sterben jährlich an den Folgen einer akuten Lungenarterienembolie. Damit ist die Krankheit die dritthäufigste kardiovaskulär bedingte Todesursache. Die nicht eindeutigen Symptome erschweren die Diagnostik.

Von: Agnieszka Schneider

Stand: 15.02.2022

Modell einer Arterie. Lebensgefährlicher Verschluss:
Lungenarterienembolie  | Bild: BR

Für Günter Kießling ist es ein großes Geschenk, dass er noch lebt. Beim Einsetzen eines neuen Schrittmachers bekommt der 80-Jährige eine Lungenembolie und muss noch auf dem OP-Tisch wiederbelebt werden:

"Das war das Gefährliche, und sie haben nur gesagt, dass es damals wirklich kurz vor 12 war. Ich bin so froh, dass ich noch da bin. Es hätte anders ausgehen können."

- Günter Kießling, Betroffener

Der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wurden zwischen 2005 und 2015 jährlich mehr als 80. 000 Todesfälle aus Deutschland gemeldet, die in Verbindung mit einer Lungenembolie standen. Bei Menschen über 80 Jahren ist die Rate der Todesfälle deutlich erhöht. Im Vergleich mit anderen Krankheitsbildern ist außerdem besonders bei Frauen zwischen 15 und 55 Jahren Lungenarterienembolie eine häufige Todesursache. Ausgelöst wird die Krankheit durch eine Thrombose, die am häufigsten im tiefen Venensystem der Beine entsteht.

Seltener kann sich ein Thrombus – ein Blutgerinnsel – auch im rechten Herzvorhof oder in den Venen der oberen Gliedmaßen bilden. Löst sich dieser Embolus und gelangt er in die Lunge, verengt oder verstopft er dort ein oder mehrere Blutgefäße – eine lebensbedrohliche Situation. Begünstigt wird Thrombose durch langes Liegen vor und nach Operationen, wie bei Günter Kießling.

Risikofaktoren einer Lungenarterienembolie:

  • Gerinnungsstörung
  • Herzkrankheiten
  • starkes Übergewicht
  • Rauchen
  • Antibabypille
  • Schwangerschaft
  • Ausgeprägte Krampfadern
  • Tumorerkrankungen

Erschwerte Diagnostik

Die Symptome, mit denen sich eine akute Lungenarterienembolie bemerkbar macht, sind nicht immer eindeutig. Am häufigsten werden in diesem Zusammenhang Luftnot, Schmerzen in der Brust und Schmerzen beim Einatmen genannt. Auch eine Herzfrequenz von über 100 Herzschlägen pro Minute oder ein vorübergehender Bewusstseinsverlust, eine sogenannte Synkope können einen Hinweis auf eine Lungenembolie geben. Am Universitätsklinikum Regensburg gibt es für Betroffene und Risikopatienten ein einmaliges interdisziplinäres Versorgungsangebot. Hier arbeiten das Gerinnungszentrum Regensburg (GZR), die Abteilung für Gefäßchirurgie und die Lungenspezialisten der Klinik und Poliklinik für Innere Medizin II eng zusammen, um Thrombosepatienten in der Akutbehandlung und Nachsorge optimal zu betreuen.

In der Gerinnungssprechstunde für Kinder, Jugendliche und Erwachsene steht Prävention im Vordergrund, um die Thrombose gar nicht entstehen zu lassen. Wenn allerdings die ersten Anzeichen für eine Lungenembolie sprechen, kann das anhand einiger diagnostischer Parameter eingegrenzt werden. Bei ansprechbaren Patienten erfolgt als Erstes eine Anamnese und ein Blutbild. In einem Bluttest sollen die sogenannten "D-Dimere" nachgewiesen werden. Es sind Moleküle, die im Körper entstehen, sobald Blutgerinnsel abgebaut werden. Ist der Test positiv ausgefallen, folgt eine CT-Untersuchung. Hier wird der Thrombus gut sichtbar. Auch ein Herz-Ultraschall kann erfolgen.

"Damit kann man die Lungenembolie nie direkt nachweisen. Aber der Herz-Ultraschall ist wichtig, weil er uns sagen kann, was das rechte Herz in dem Moment macht. Das rechte Herz muss das Blut in die Lunge pumpen. Wenn diese Strombahn verstopft ist, wird das rechte Herz schwach. Anhand des Herz-Ultraschalls können wir sehen, dass das rechte Herz möglicherweise aufgeblasen und groß ist. Wenn es auch noch schwach pumpt, dann ist es ein indirekter Hinweis auf eine Lungenembolie. Dann wird eine Lysetherapie indiziert, wenn der Patient auch instabil wirkt."

- Prof. Dr. med. Samuel Tobias Sossalla, Facharzt für Innere Medizin und Kardiologie, Universitätsklinikum Regensburg

Erhöhtes Risiko: Schwangerschaft

Während der Schwangerschaft stellt eine akute Lungenarterienembolie eine besondere Gefahr da. Aufgrund des veränderten Hormonhaushaltes ist es schwierig, eine eindeutige Diagnose zu stellen. Mit einer Computertomographie könnten auftretende Symptome besser eingegrenzt werden, jedoch will man die Mutter und das Ungeborene der Strahlenexposition nicht aussetzen. In diesem Fall kann der sogenannte YEARS-Algorithmus helfen. Dieser Algorithmus berechnet, ob eine akute Lungenarterienembolie wahrscheinlicher ist als jede andere Diagnose. Zusammen mit den Ergebnissen des D-Dimer-Tests wird so eine zuverlässige Einschätzung abgegeben, ob die Lungenembolie bei der Schwangeren ausgeschlossen werden kann. Da dieses Krankheitsbild die häufigste Todesursache bei Schwangeren ist, ist eine zuverlässige Aussage dieses diagnostischen Verfahrens von großer Bedeutung.

Viele der Patienten am Universitätsklinikum Regensburg benötigen aufgrund einer Lungenembolie eine ECMO-Therapie (extrakorporale Membranoxygenierung). Die Funktion von Lunge und gegebenenfalls Herz werden vorübergehend von einer Maschine übernommen. Gerade bei Patienten, die diese hochkomplexe Versorgung benötigen, sind aufgrund der hohen Blutungsgefahr Therapien mit Blutverdünnern schwierig.

Alternativer Therapieansatz: Absaugen statt verdünnen

Das Spektrum der Anzeichen für eine Lungenembolie reicht von einem symptomlosen Verlauf bis hin zum Herz-Kreislauf-Versagen. Wenn der sogenannte kardiogene Schock bei der Einlieferung des Patienten in die Notaufnahme bereits vorliegt, ist mit einer früheren Todesfallrate von bis zu 65 Prozent zu rechnen. In eine Notfallsituation kam auch der 52-jährige Christian Stef an das Universitätsklinikum Regensburg. Während der Hüft-OP nach einem Arbeitsunfall kommt es bei ihm zu diesem lebensgefährlichen Verschluss. Da die Standardtherapie, die Lyse - Versorgung mit starken Blutverdünnern -aufgrund von Verblutungsgefahr nicht durchgeführt werden kann, kommt bei ihm ein neues Katheter-Verfahren zum Einsatz. Dieses System wurde in den USA entwickelt und die Universitätsklinik Regensburg ist die erste Klinik deutschlandweit, die mittels kathetergestützten Thrombektomie behandelt.

Den Absaug-Katheter gibt es in mehreren Größen, der Durchmesser reicht von bis zu 7,6 mm. Er wird über eine große Vene in der Leiste und durch das rechte Herz in die Lunge geschoben. Nach der Positionierung des Katheters am Blutpfropf wird mittels einer Spritze am Ende des Katheters ein Unterdruck erzeugt. Beim Öffnen des Spritzenventils wird die Verklumpung abgesaugt. Reicht die Absaugung nicht aus, können die Blutgerinnsel zusätzlich über ausspannbare feine Metallscheiben eingefangen und abtransportiert werden.

"Dieses Verfahren ist in geübten Händen ein sicheres Verfahren. Aber es ist wichtig, dass man Erfahrungen auf diesem Gebiet hat, dass man entweder Herzklappen mit Kathetern implantieren kann, weil es ein großer Katheter ist. Und theoretisch kann man damit natürlich auch Schaden anrichten, wenn man diese Fähigkeiten nicht beherrscht. Bei dem ersten Eingriff haben sich die Kollegen aus den USA live zugeschaltet."

- Prof. Dr. med. Samuel Tobias Sossalla, Facharzt für Innere Medizin und Kardiologie, Universitätsklinikum Regensburg

Blutgerinnungshemmende Therapie

Die Kathetermethode kommt vor allem bei Patienten zum Einsatz, die sich in einer lebensbedrohlichen Situation befinden und weitere diagnostische Schritte nicht möglich sind. Stabilen Patienten mit nachgewiesener Lungenembolie werden blutgerinnungshemmende Arzneistoffe verabreicht in Form von Tabletten oder Spritzen. Eine Therapie soll in diesem Fall drei und sechs Monate dauern. Ob diese Therapie fortgeführt wird, muss sorgfältig abgewogen werden, denn eine dauerhafte blutgerinnungshemmende Therapie birgt ein erhöhtes Risiko, Blutungen zu erleiden.

Trotz der Risiken wird in der aktuellen Therapieabwägung in Betracht gezogen, blutgerinnungshemmende Medikamente auf unbestimmte Zeit zu verlängern, um das Wiederauftreten von Thrombosen zu verhindern. Diese Entwicklungen basieren auf neuen Erkenntnissen zu den neuen oralen Medikamenten zur Blutverdünnung, wie Apixaban, Dabigatran, Edoxaban und Rivaroxaban. Besonders bei Patienten mit aktiver Krebserkrankung oder wiederkehrenden Thrombosen wäre der verlängerte Therapieansatz anzuraten.

Rehabilitationsmaßnahme

Nicht nur die akute Behandlung der Lungenarterienembolie, auch die Nachbeobachtung spielt für das Ausschließen einer erneuten Erkrankung eine wichtige Rolle. Einige Studien haben gezeigt, dass die Hälfte der Patienten nach einer Lungenembolie über eine eingeschränkte Lebensqualität berichten. Sie fühlen sich sowohl auf der physischen als auch psychischen Ebene schwer angeschlagen. Spezielle Rehabilitationsmaßnahmen, wie beispielsweise an der Bayerwald-Klinik in Cham helfen dem Patienten seine Leistungsfähigkeit wiederherzustellen und das Risiko für eine erneute Embolie nachhaltig zu minimieren. Mit Ausdauertraning, medizinischer Trainingstherapie, Atemtherapie, Krankengymnastik, Inhalationstherapie oder Ergotherapie kämpfen sich Patienten wieder ins Leben zurück. Folgestörungen der Embolie, wie etwa ein erhöhter Blutdruck des Lungenkreislaufes, werden kontrolliert und gegebenenfalls behandelt. Die Deutschen Gesellschaft für Prävention und Rehabilitation hat im Dezember 2020 eine neue Leitlinie veröffentlicht. Darin wird die Struktur der Rehabilitationsmaßnahme nach einer Lungenembolie konkretisiert.

"Als das Hauptproblem nach Lungenembolie wie ich das erlebe, ist einfach Atemnot. Die Patienten können zum Teil Strecken in unserer Klinik vom Anfang bis zum Ende nicht mehr ohne mehrere Pausen zurücklegen. Und das ist sehr wichtig, dass sie eben allein ihre Gehstrecke wieder verbessern können. Das ist ein großes Ziel für diese Patienten."

- Dr. med. Hildegard Bollwein Fachärztin für Kardiologie, Bayerwald-Klinik, Cham

Hans-Joachim Stritt hat bereits zwei Mal eine Lungenembolie durchgemacht. Nach dem ersten Vorfall hat er 13 Monate lang Blutverdünner bekommen. Binnen weniger Wochen nach dem Absetzen der Medikamente erlitt er eine weitere Lungenarterienembolie. Dieses Mal hat er den Ratschlag der behandelnden Ärztin angenommen und hat in der Bayerwald-Klinik mit der Reha begonnen. Neben der Bewegungstherapie ist für den 78-Jährigen auch das psychologische Angebot der Klinik sehr hilfreich.

In Gruppen- oder Einzeltherapiestunden haben die Patienten die Möglichkeit, sich mit der Grenzerfahrung, der Nähe zum Tod auseinander zu setzen. Das psychosomatische Angebot hilft bei der Auseinandersetzung mit den eigenen Ängsten und gibt neue Orientierung bei der weiteren Lebensgestaltung.

"Man kommt schon zum Nachdenken. Und noch einmal zu sagen, das könnte man schon noch irgendwie ein bisschen verändern, wie es zum Beispiel den Ratschlag mit der Herzgruppe oder auch sonst das Ganze, was man das noch in Anspruch nehmen kann. Auch nach der Reha."

- Hans-Joachim Stritt, Patient

Indikationen für eine Rehabilitationsmaßnahme nach einer Lungenembolie sind unter anderem Einschränkung der Lungenfunktion sowie verminderte Leistungsfähigkeit. Die ersten drei Wochen des Reha-Aufenthaltes übernehmen die meisten Krankenkassen. Mit Nachsorgeprogramm haben die Patienten eine gute Chance, ihr Leben wieder zu genießen. Hans-Joachim Stritt möchte wieder fit werden, um mit seiner Mannschaft wieder Tennis spielen zu können.

Links:


12