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Preissingen von Egern am 29. und 30. März 1930 Wiedergeburt der Volksmusik im BR

Es wurde musiziert, gesungen und gejodelt – zwei Tage lang. 40 Volksmusikgruppen traten am 29. und 30. März 1930 am Tegernsee in einem Gesanges-Wettstreit gegeneinander an. Ein historisches Ereignis für das bayerische Volkslied aber auch für den Bayerischen Rundfunk.

Von: Ursula Zimmermann in Zusammenarbeit mit dem Historischen Archiv

Stand: 27.03.2020

"Gute alte Lieder sind ganz besonders willkommen, auch wenn sie nicht so gut gesungen werden." So schrieb es der Kiem Pauli auf seine Einladung zum Preissingen alter Volks- und Almgesänge in Egern. Er lud Bauern, Holzknechte, Handwerker, kurz alles was sangesfreudig war, für zwei Tage an den Tegernsee ein.
"Zweck der Veranstaltung ist es", liest man in einer Pressemitteilung der Deutschen Stunde in Bayern am 5. März 1930, "altes Volksliedgut, das sich in den bayerischen Bergen bei Bauern, Jägern, Flössern und Holzknechten usw. erhalten hat, zu sammeln und in geeigneter Weise wieder zu verbreiten."

Deutsche Stunde in Bayern - Hintergrundinfo

Der Bayerische Rundfunk wurde 1922 als "Deutsche Stunde in Bayern. Gesellschaft für drahtlose Belehrung und Unterhaltung mbH" in München gegründet und begann am 30. März 1924 mit seinem Radioprogramm.
Am 1. Januar 1931 wurde die "Deutsche Stunde in Bayern" gemäß Beschluss der Gesellschafterversammlung in "Bayerischer Rundfunk GmbH" umbenannt.
Im März 1933 Besetzung und Gleichschaltung durch die Nationalsozialisten als "Reichssender München".
Im April 1945 übernimmt die amerikanische Militärregierung den Sender als "Radio München, ein Sender der amerikanischen Militärregierung".
Am 25. Januar 1949 wird aus Radio München der Bayerische Rundfunk

Emanuel Kiem, genannt Kiem Pauli, war gebürtiger Münchner, Musiker und engagierter Volksmusik-Sammler. Er war mit Ludwig Thoma bekannt, einem leidenschaftlichen Pfleger und Bewahrer der bayerischen Sprache und Sammler von Volksliedern. Von Thoma inspiriert und von den Wittelsbachern gefördert, konnte sich Kiem in den 20er Jahren ganz der Suche nach dem echten Volkslied widmen.
Er zog von Hof zu Hof, um sich von Auftragsbauern, Benefizianten, Gendarmen, Wilderern, Holzknechten und Schullehrern bäuerliche Mundartlieder vorsingen zu lassen. Er hörte zu, schrieb auf und sammelte. Er wollte festhalten, "wie das Volk denkt und fühlt".

Bei diesen Wanderungen kam dem Kiem Pauli auch die Idee zu dem Musikwettbewerb. Einen Mitstreiter fand er in dem Volksliedforscher Prof. Kurt Huber. Huber war Psychologe, Professor für Philosophie an der Münchner Universität, Musikwissenschaftler und sammelte im Auftrag der Deutschen Akademie Volkslieder.

Nach dem Aufruf zum Egerner Preissingen gingen waschkörbeweise die Bewerbungen ein. Allerdings durften nur 40 Gruppen aus ganz Bayern und Tirol teilnehmen und im Gasthof "Zur Überfahrt" den Preisrichtern vorsingen. Für die Veranstaltung konnten Huber und Kiem auch den Intendanten der Deutschen Stunde Kurt von Boeckmann begeistern.

Übertragung und Auszeichnung

So waren am Sonntag, den 30. März die Volksmusikanten im Rundfunk über den Münchner Sender und die Sender Königswusterhaus, Leipzig, Dresden und Zürich zu hören. Die Deutsche Stunde in Bayern übertrug das Preissingen in Egern nicht nur in ihrem Programm, der Sender rief auch seine Hörerinnen und Hörer auf, ihren eigenen Preisträger zu wählen.

Das Preissingen in Egern war ein Riesenerfolg von rundfunkgeschichtlichem Ausmaß liest man. Ansätze für die Übertragung von kleineren Volksmusikveranstaltungen in der "Deutschen Stunde in Bayern" gab es allerdings schon ein paar Jahre zuvor: im August 1924 war Kiem Pauli mit seiner "Tegernseer Originalkapelle Reiter-Holl-Kiem" im Rundfunk aufgetreten. "Altbayern im Volkslied", eine Veranstaltung im Franziskanerkeller in München 1926, ebenfalls vom Kiem Pauli mitinitiiert, war die erste Live-Übertragung einer Volksmusikveranstaltung und 1929 übertrug die Deutsche Stunde eine Johannis- und Sonnwendfeier in Egern, aus technischer Sicht eine Art Generalprobe für das Preissingen.

Mit der Übertragung des Preissingens erreichte die Volksmusik endgültig ein breites Publikum. Es folgten bald wöchentliche Volksliederstunden im Programm sowie weitere Heimatsendungen, die von der damaligen Bayerischer Rundfunk GmbH unterstützt und als Livesendungen übertragen wurden. Kiem und Huber arbeiteten auch in den Folgejahren eng zusammen, sammelten, publizierten und organisierten weiter Veranstaltungen. Beide blieben als freie Mitarbeiter dem Sender eng verbunden.


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