Bayern 2 - radioTexte


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Lesung mit Hanna Schygulla "Die Ehe der Maria Braun"

Die Rolle der Maria Braun brachte Hanna Schygulla 1979 einen Silbernen Bären als beste Darstellerin ein, die fortan nicht nur als die ideale Fassbinder-Schauspielerin galt, sondern auch international gefragt war. Die radioTexte haben das Drehbuch zum Film als Lesung inszeniert - mit Hanna Schygulla, Alexander Duda, Jörg Hube, Heiko Ruprecht und Katja Schild.

Von: Kirsten Böttcher

Stand: 22.02.2021 | Archiv

Hanna Schygulla in "Die Ehe der Maria Braun" (Filmstill) | Bild: picture-alliance / KPA

Eine melodramatische Liebesgeschichte, eine desillusionierte Abrechnung mit der unserer Nachkriegsära, mit dem deutschen Wirtschaftswunder: "Die Ehe der Maria Braun" (1979) gehört bis heute zu den Kunstwerken, die nicht nur Filmgeschichte geschrieben, sondern auch unseren Blick auf die deutschen Nachkriegsjahre geprägt haben.

„Es ist eine schlechte Zeit für Gefühle“

Dieser Ausspruch von Maria Braun ist charakteristisch für die Figur, die von der Filmkritik gern als Allegorie des jungen Westdeutschlands interpretiert wurde. Maria alias Hanna Schygulla ist die Verkörperung der Geschichte vom rasanten wirtschaftlichen Aufstieg auf Kosten emotionaler Bedürfnisse.

Klaus Löwitsch und Hanna Schygulla im Februar 1978 in Coburg bei Dreharbeiten zu "Die Ehe der Maria Braun" als Maria und ihr Ehemann Hermann

Während eines Luftangriffs heiratet Maria 1943 den Soldaten Hermann Braun. Tags darauf muss er an die Front und gilt nach Kriegsende als verschollen. Maria beginnt, in einer Bar zu arbeiten, wo sie den afroamerikanischen G.I. Bill kennenlernt. Als Hermann überraschend heimkehrt und Maria und Bill erwischt, erschlägt Maria im Affekt den G.I. Ihr Mann nimmt die Schuld auf sich und geht ins Gefängnis. Maria hält an ihrer Liebe zu Hermann fest, wird aber zugleich die Geliebte – und tüchtige Mitarbeiterin – des Industriellen Karl Oswald. Als ihr Mann aus dem Gefängnis kommt, setzt er sich nach Kanada ab und kehrt erst nach Karls Tod 1954 zurück. Dieser hat das Paar als Erben bestimmt. Maria erfährt aber auch, dass sie wie ein Stück Ware zwischen Hermann und Karl gehandelt wurde.

Fassbinder-Film versus Drehbuch

Rainer Werner Fassbinder und Hanna Schygulla am 16.2.1979 in Coburg bei Dreharbeiten zu dem Film "Die Ehe der Maria Braun".

Im Spielfilm von Rainer Werner Fassbinder explodiert Marias Welt im wortwörtlichen Sinne - ob Absicht oder nicht, bleibt ambivalent. Im Drehbuch von Peter Märthesheimer und seiner Freundin Pea Fröhlich ist Marias willentlicher Tod offensichtlich. So oder so: Diese Rückschau auf die deutsche Nachkriegsgeschichte ist eine durch und durch pessimistische, eine, die den Finger in die Wunde der mangelnden Vergangenheitsbewältigung legt und das große Scheitern aufzeigt. Maria bleibt zwar ihren Gefühlen zu Hermann treu, tötet gar für ihre Liebe, um letztlich bitter betrogen zu werden. Verrat erscheint hier als Basis des Wirtschaftswunders.

Ausgezeichnet wurde der Film in Berlin 1979 mit dem Silbernen Bären für Hanna Schygulla als bester Darstellerin, was dem Regisseur nicht passte. Doch so lange musste Rainer Werner Fassbinder nicht auf seinen "eigenen" Bären warten: 1982 gewann er mit seinem vorletzten Film "Die Sehnsucht der Veronika Voss" den Goldenen Bären.

Kultureller Ehrenpreis der Stadt München an Hanna Schygulla

Mit dem Kulturellen Ehrenpreis ehrt die Landshauptstadt eine Sängerin und Schauspielerin, die seit langem in Paris lebt, Filmgeschichte schrieb und ihre Bindung an München "aufs Natürlichste mit französischer Lebensart, internationalem Renomée und Weltläufigkeit in Einlang bringt", so die Begründung der Jury. Die Preisverleihung an die Filmlegende, die in diesen Tagen eigentlich stattfinden sollte, musste Corona-bedingt aufgeschoben werden.

Filmstill von Hanna Schygulla im Dokumentarfilm "Fassbinder" (2015) von Annekatrin Hendel.

"Ihr Blick scheint somnambul, als sehe sie die Filmbilder im Entstehen schon von fern, dabei ist sie ganz präsent im Hier; spielt scheinbar unbeteiligt und doch mit höchster Intensität; undramatisch, fast bewegungslos, mit einer Stimme ohne große Schwingungen, im typischen Fassbinder-Schygulla-Sound. Bis heute ist Hanna Schygulla das Gesicht in Fassbinders Ouevre und die Stimme, die sein Erbe lebendig hält. (...) Mit Regisseuren wie Ettore Scola, Jean-Luc Godard und Carlos Saura wurde Hanna Schygulla zur Stil-Ikone und betörte Generationen von Kinogängern. Vielfach ausgezeichnet, holte sie das Filmband in Gold, den Silbernen Bären aus Berlin, die Goldene Palme aus Cannes nach München, spazierte mit Helmut Newton durch den Englischen Garten, widmete sich über Jahre ihren pflegebedürftigen Eltern am Rande der Stadt und startete dann neu mit jungen Regisseuren wie Jörg Graser, Hans Steinbichler und Fatih Akin. Als liebenswerte Schwester Myriam war sie jüngst in Cédric Kahns Auferstehung zu sehen. Berlin ehrte sie mit dem Goldenen Bären für ihr Lebenswerk. Ihre Autobiographie erzählt, wie aus dem schlesisch-polnischen Flüchtlingskind im zerstörten Nachkriegsmünchen ein Weltstar wurde, der Glamour in die Isar-Metropole brachte. Der Buchtitel klingt wie ihr Lebens- und Schauspiel-Motto: Wach auf und träume."

(Aus der Jury-Begründung zum Kulturellen Ehrenpreis der Stadt München an Hanna Schygulla 2020)

"Die Ehe der Maria Braun"

Im Studio für "Die Ehe der Maria Braun": Alexander Duda, Antonio Pellegrino (BR), Hanna Schygulla und Jörg Hube (v.l.n.r.)

Inszenierte Lesung des Drehbuchs von Peter Märthesheimer und Pea Fröhlich nach Rainer Werner Fassbinder

am 2. März in den radioTexten am Dienstag um 21 Uhr auf Bayern2

mit Hanna Schygulla, Jörg Hube (Oswald), Alexander Duda (Hermann), Heiko Ruprecht (Erzähler) und Katja Schild

Das Drehbuch ist im belleville Verlag erschienen; Hanna Schygullas Autobiographie "Wach auf und träume" hat Schirmer Mosel herausgebracht.

Moderation und Redaktion: Antonio Pellegrino

Unsere Lesungen können Sie nachhören: auf dieser Seite im Stream, als Download im Podcast-Center des Bayerischen Rundfunks und überall, wo es Podcasts gibt.


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