Bayern 2 - radioTexte


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Walter Kolbenhoff Erinnerungen an die Anfänge der Bundesrepublik

Er war ein literarischer Chronist, ein Zeitzeuge der Gründung der Bundesrepublik. Walter Kolbenhoff engagierte sich als Autor der Münchner „Neuen Zeitung“ und war später einer der Initiatoren der Gruppe 47. Sein autobiografischer Roman „Heimkehr in die Fremde“ schildert den quälenden Kampf eines Kriegsheimkehrers mit sich selbst, gepeinigt von Selbstekel und dem alles beherrschenden Elend. Gleichzeitig streunt er durch die Straßen auf der Suche nach dem Quentchen Glück.

Von: Kirsten Böttcher

Stand: 03.05.2019 | Archiv

Das zerbombte Funkhaus am Rundfunkplatz in München 1948 | Bild: BR

"Ich muss ihnen erzählen, wie es dem geht, der wieder nach Hause kommt. Ich muss mich selber schildern, denn ich bin einer von Hunderttausenden. Ich muss meine Träume schildern, meinen Hunger und meine Sehnsüchte. Sie werden sich vielleicht in mir wiedererkennen, und ich muss ihnen sagen, dass sie nicht verzweifeln sollen, dass sie wieder von vorn anfangen müssen."

(Walter Kolbenhoff)

Schauplatz: das zerstörte München 1949. Mittendrin: ein aus der Gefangenschaft entlassener Soldat, ein junger Streuner, der durch kaputten Asphalt, an menschlicher Misere vorbei geht, alles in sich aufsaugt. Er trifft Steffi und Molly, ausländische Soldaten, geschäftige Flüchtlinge aus allen Winkeln der Erde, Invalide, zynische Kriegsgewinnler - und die nach vorn blickende Eva Bach.

"Ich musste Eva Bach sehen. Sie war jung, und sie war so wie ich, ich musste sie sehen. Die Gesichter neben und vor mir waren schlimmer als die Ruinen. Ich wollte ein anderes Gesicht sehen und eine andere Stimme hören als die Stimme des Haderns und der Verzweiflung."

(Walter Kolbenhoff, Heimkehr in die Fremde)

Walter Kolbenhoff - als Kommunist in der Wehrmacht

Der Berliner Arbeitersohn, 1908 als Walter Hoffmann geboren, war als junger Mann durch halb Europa gereist und wollte sich als Autor und Journalist einen Namen machen. Bald gehörte er mit Johannes R. Becher und Anna Seghers dem "Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller" an und konnte gerade noch 1933 vor den Nationalsozialisten entfliehen. Über Holland gelangt er nach Dänemark, wo er sich der dortigen KP anschloss. 1942 ereilte ihn der Befehl der Partei, er solle ins Deutsche Reich zurückkehren, um dort subversive Arbeit in der Wehrmacht zu leisten.

"Was auch immer die Kommunistische Partei mit mir bezweckt haben mochte, als sie mich in die Wehrmacht schickte, ich habe es überlebt."

(Kolbenhoff in: Schellingstraße 42)

Das zerstörte Alte Rathaus in München 1945

Mit neuer Identität ausgestattet, verschlug es ihn an die italienische Front, 1944 wurde er bei Monte Cassino von den Amerikanern festgenommen, verbrachte mehrere Jahre in Internierungslagern. Dort konnte er als Übersetzer und Mitarbeiter der von Hans Werner Richter und Alfred Andersch gegründeten Lagerzeitung "Der Ruf" tätig sein. Im Februar 1946 wurde er nach Deutschland entlassen, um in der amerikanischen Besatzungszone am Aufbau einer demokratischen Kultur mitzuwirken.

Neuanfang in München

Walter Kolbenhoff, 1961

In der Münchner Schellingstraße 48 (der spätere Buchtitel eines autobiografischen Romans) war dem Kriegsheimkehrer Kolbenhoff eine Wohnung zugewiesen worden, die zum Treffpunkt von Redakteuren und Schriftstellern wurde. Die wichtigsten von ihnen waren mit dem Aufbau der "Neuen Zeitung" beauftragt worden, beispielsweise Alfred Andersch, Hans Werner Richter, Erich Kästner. Kolbenhoffs Wohnung lag direkt gegenüber des Redaktionsgebäudes. Doch es kommt zu Auseinandersetzungen mit den Besatzern, die eine antisozialistische Berichterstattung fordern. Für Kolbenhoff lag hier keine langfristige Zukunft. Er arbeitete als Lektor und Übersetzer aus dem Dänischen und Englischen, gehörte zu den Gründungsmitgliedern der Gruppe 47 und war als freier Autor u.a. auch für den Bayerischen Rundfunk tätig. Als Walter Kolbenhoff 1993 bei Germering verstarb, war es schon längere Zeit still um den engagierten Autor geworden.

"Unsere Zeit hat Verzweiflung und Untergangsstimmung und Optimismus und Glück wie keine Zeit zuvor. Ich werde schon durchkommen."

(Walter Kolbenhof, Heimkehr in die Fremde)

Das Jahr 1949: „Heimkehr in die Fremde“

von Walter Kolbenhoff

Lesung mit Christian Nickel am 7. Mai in den radioTexten am Dienstag, 21 Uhr auf Bayern2
Das Buch ist bei Suhrkamp erschienen (nur antiquarisch erhältlich).

Moderation: Antonio Pellegrino

Podcast verfügbar


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