Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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12. Mai 1912 Jungfernfahrt der Wendelsteinbahn

Eine Mammutaufgabe und aus der Sicht der Einheimischen ein sinnloses Projekt: Wer sollte mit einem Zug zu Berge fahren wollen? Wir, meinten dazu Touristen. Ihnen kam der Bau der Wendelsteinbahn entgegen. Autorin: Regina Fanderl

Stand: 12.05.2020 | Archiv

12 Mai

Dienstag, 12. Mai 2020

Autor(in): Regina Fanderl

Sprecher(in): Christian Baumann

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Susi Weichselbaumer

Schon ein bemerkenswerter Herr, dieser Geheime Kommerzienrat aus dem Badischen, Otto von Steinbeis. Muss man neidlos anerkennen. Obwohl man es in Bayern nicht so gernhat, wenn von irgendwo außerhalb Leute daherkommen, die sich wichtigmachen. Zum Beispiel eine Zahnradbahn bauen! Mit dem Zug den Berg hinauf! Ist doch Wahnsinn!!!

Eine Bahn auf den Berg?

Der weithin sichtbare, 1838 Meter hohe Wendelstein im Mangfallgebirge, gehört zu Münchens Hausbergen und war schon Mitte des 19. Jahrhunderts ein beliebtes Ausflugsziel. Doch gestaltete sich der Aufstieg für die meist betuchten Bergtouristen beschwerlich in dem steilen Gelände. Wie ging das eigentlich, damals, an heißen Sommertagen? Ohne kurze Hose, ohne schnelltrocknendes Funktionsshirt?

Wer sich diese ersten Bergsteiger auf alten Bildern anschaut, kann den Schweiß von damals förmlich riechen. Die Damen in bodenlangem Rock, langärmeligen Blusen, das Haar hochgesteckt unterm kecken Hütchen. Die Herren gut verpackt in Mantel, Weste und Krawatte. Die Zigarre im Mund, in der Hand den langen Bergstock...?

Geht das nicht bequemer?

Irgendwie logisch, dass hier über eine so genannte "Aufstiegshilfe" nachgedacht wurde. Im Februar 1910 gab Prinzregent Luitpold grünes Licht für den Bau einer Zahnradbahn – ein bis dahin weltweit nur in der Schweiz bekanntes Projekt. Den Zuschlag bekam besagter Kommerzienrat Otto von Steinbeis, 70 Jahre alt und unter anderem ein erfolgreicher Holzhändler. Flugs trommelte der clevere Unternehmer hauptsächlich in seinem aktuellen Wirkungsgebiet, den bosnischen Wäldern, ein paar hundert Arbeiter zusammen. Die hauten in endlosen, kräfteraubenden Stunden mit Hacke, Pickel und 35.000 Kilogramm Sprengstoff die 10 Kilometer lange Gleistrasse aus dem Wendelstein heraus.

In nur zwei Jahren! Bei Wind und Wetter in schier unzugänglichem Gelände, und oft angeseilt. Um die Bahn auch im Winter betreiben zu können, wählte man statt der leichteren Route an den Abhängen der Mitteralm lieber die schwierigere Trasse in den steilen Felswänden des Wildalpjoches und des Soin. Dort erhoffte man sich mehr Schutz vor Lawinen und Wind. Schweißtriefend und unter härtesten Bedingungen schufen die Männer sieben Tunnels, acht Galerien, zwölf Brücken und zahlreiche Stützmauern. Mit einem Fass Bier an jedem Sonntag hielt Steinbeis seine Leute bei Laune.

Denn mit der Zahnradbahn allein war es nicht getan. Ein Dampfzug kam für Steinbeis nicht in Frage. Er setzte auf elektrische Energie und ließ dafür ein eigenes Wasserkraftwerk bauen. Die Einheimischen, die noch keinen Strom kannten, betrachteten solch neumodisches Zeug mit großer Skepsis. Aber nachdem Steinbeis alles selber zahlte, also Bahn und Kraftwerk, waren auch sie zufrieden und bestaunten am 12. Mai 1912 den völlig dampflos dahinratternden Zug bei seiner Jungfernfahrt.

Und er rattert noch heute. Und bringt noch heute schmalspurig, aber sicher und komfortabel Bergfreunde aus aller Welt auf den Gipfel des Wendelsteins. (Wo übrigens jener Sendemasten des Bayerischen Rundfunks steht, der in diesem Augenblick weite Teile Oberbayerns auch mit dem Kalenderblatt versorgt.)


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