Bayern 2 - Hörspiel


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Raphael Montañez Ortiz Duncan Terrace Piano Destruction Concert London 1966

Stand: 05.11.2008 | Archiv

Raphael Montañez Ortiz, De-Struction Ritual: Henny-Penny-Piano-Sacrifice-Concert, 1967 | Bild: Raphael Montañez Ortiz

"Es war ein besonderes Konzert, mein erstes in Europa.... Das Publikum war geladen... Darunter auch zwei Kuratoren der TATE...

Hinten, in sicherem Abstand, justierte ein Photograph sein Objektiv, wartete darauf, Bilder von diesem Ereignis zu machen...

Sorgfältig prüfte ich das Piano. Es war ein gutes, mit Einlegearbeiten über der Tastatur, der Rahmen gußeisern...

Es war schön poliert und perfekt gestimmt, sein Klang voll und weit ausgreifend...

Ich hatte ein gutes Gefühl und dankte dem Klavier, daß es mir die Möglichkeit eröffnete, seinen heiligsten Ort zu betreten und seine geheimsten Klänge zu entdecken Musik, die allen, die je auf seinen Tasten gespielt und seine Pedale gedrückt hatten, verschlossen geblieben war... Ich dankte ihm, daß es sich dem Akasha des Klangs opferte, daß der Engel seine Stimme erhebe im Holz, in den Stahlsaiten, in den elfenbeinernen Taten, in den Schrauben, den Bolzen und dem Leim, die seine levitische Bestimmung in Geiselhaft hielten... Das würde sich in den Schlägen meiner Axt zu erkennen geben...

Ich betete als ich meine verchromte Axt schwang, Licht blitzte auf bei jedem Schlag, Reflexe vom Chrom des Axtkeils...

Alles lief so wie geplant, so wie ich das Konzert komponiert hatte...

Wie ich mir die Tage zuvor schon jeden einzelnen Axthieb vorgestellt und den Klang gehört hatte, der jeden einzelnen Schlag begleiten würde...

Ich verlor das Gefühl für die Zeit... Ich wurde eins mit der Stimme des Pianos.... Ich erinnere mich, wie jemand rief ruhen Sie sich aus, Sie brauchen eine Pause....

Ich hielt inne und betastete zwei oder drei Minuten lang die Stücke, die überall verstreut lagen...

Ich drängte mich nah ans Piano, sein Rahmen sichtbar in seinem zertrümmerten Körper, ich preßte mein Ohr an den zerschlagenen, harfengleichen Gußrahmen und lauschte... Ich habe mehr zu sagen, flüsterte er, viel mehr zu sagen...

Etwa fünfzehn Minuten vergingen als das Piano mich durch das Splittern des Sperrholzes anschrie einst ordentlich ausgebreitet unter dem was jetzt nur mehr ein Gewirr von Axthieben zerhauener Saiten war. Für ein paar Minuten erklangen ein Nachhall und ein Flüstern, ich habe alles gesagt, was ich sagen will... Behalte den Rahmen zum Angedenken an mich und verbrenne meine Reste auf dem Scheiterhaufen, auf daß mein Geist sich erhebe und sich mit meiner Stimme vereine...

Blitzlichter und Fragen lenkten meine Aufmerksamkeit wieder zurück auf den Treppenraum und das Piano, das ich zerstört hatte, als ich einen Schritt machte, stürzten Klavierteile die Stufen hinunter in den Raum, wo das Publikum stand... Die Kuratoren des Tate Museums standen leicht benommen... Einer der beiden sagte, noch nie habe ich jemand so in seine Kunst versunken gesehen...

Es gab noch mehr Kommentare und Fragen....

Eine Stunde verging, ich ging nach oben und trank ein Glas Wein und tunkte ein Stück Brot hinein und aß es so wie manche es mit einem Donut und Kaffee tun...

Dank dir, daß du mich zu einem Teil von dir werden ließest, wie ein schöner flacher Stein, eine perfekte ovale Form, der sich bequem zwischen die Finger fügt von Daumen und Zeigefinger in der Form eines C gehalten, die Knie leicht gebeugt, der Rücken leicht zurückgebogen, der Arm für den Wurf nach hinten gestreckt, drei Schritte vor und loslassen, sich dabei vorstellen, wie der Stein niedrig und flach über die Oberfläche des Sees fliegt, die Wirklichkeit betrachten, die man sich vorgestellt hatte wenn der Stein hüpft und die Gesichtshaut des Sees berührt, hüpft und berührt, hüpft und berührt, wie zarte Küsse, wie ein Abschiedsgruß, bis er an Schwung verliert und kreiselnd versinkt wie es flache Steine tun, wenn sie sinken."

Raphael Montañez Ortiz, 28. April 2008


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