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Der Fall Chodorkowski Deutsche TV-Premiere im BR

Nowosibirsk am 25. Oktober 2003: Eine russische Spezialeinheit stürmt den Privatjet von Michail B. Chodorkowski. Es ist das abrupte Ende der Karriere des reichsten Mannes Russlands. Er findet sich wieder in einem Glaskasten im Gerichtssaal und später für viele Jahre im Straflager. Der Putin-Gegner wird zum Symbol für die Parteilichkeit der russischen Justiz.

Stand: 09.09.2013

Szenen aus dem Film | Bild: BR/ LALA FILMS, Cyril Tuschi

Kurzfassung:

Aus Michail Chodorkowski, dem Chemiestudenten jüdischer Herkunft, dem Komsomol Aktivisten und ersten Gründer einer russischen Privatbank wird schnell ein einflussreicher Banker und Geschäftsmann, der von Gorbatschow und Jelzin protegiert wird.

Chodorkowski übernimmt die Mineralölfirma JUKOS, die er nach westlichem Vorbild transparent führt. Dabei wird er immer reicher und mächtiger. Er gründet Stiftungen wie „Offenes Russland“ und unterstützt die politische Opposition. Als er sich öffentlich mit Präsident Putin anlegt und die Amerikaner bei JUKOS mit ins Boot holen will, wird es dem Kreml zu viel. Nach einigen Warnungen und Einschüchterungsmanövern lässt der Staat Michail Chodorkowski wegen Korruption und Steuerhinterziehung verhaften und verurteilen. Bis voraussichtlich 2016 sitzt er noch in Haft.

Für viele ist er der prominenteste politische Gefangene in Russland, andere nennen ihn schlicht einen Kriminellen. Wie gut kennen wir eigentlich die politischen (Macht-) Verhältnisse im Russland von heute?

Ausgezeichnet!

Der Dokumentarfilm wurde präsentiert auf dem Montreal World Film Festival, dem Warschau Planete Doc Filmfestival, Melbourne International Film Festival, Tel Aviv Docaviv Festival und dem Münchner Doc.fest, auf den er 2011 mit dem Hauptpreis ausgezeichnet wurde.
Außerdem erhielt er Preis der Filmkritik des Festivals von Valenciennes 2011 und war für den Preis der deutschen Filmkritik 2011 nominiert.

Aktionen anlässlich des 10. Jahrestag der Inhalftierung

To Russia with Love – Menschenrechtsforum und Konzert
Am 7. Oktober 2013 findet im Kammermusiksaal der Philharmonie Berlin eine besondere Veranstaltung statt, um die russische Zivilgesellschaft zu unterstützen. Weltbekannte Musiker wie der Violinist Gidon Kremer, die Pianistin Martha Argerich und der Dirigent und Pianist Daniel Barenboim sowie weitere Künstler wollen gemeinsam mit verschiedenen Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International, Reporter ohne Grenzen und Deutsch-Russischer Austausch sowie weitere Gruppierungen auf die sich verschlechternde menschenrechtliche Lage in Russland aufmerksam machen und sich mit denen solidarisch erklären, die sich für Freiheit und Menschenrechte in Russland einsetzen.

Weltweite Lesung
Für den 25. Oktober 2013 ruft das "internationale literaturfestival berlin" (ilb) dazu auf, sich an einer weltweiten Lesung in Solidarität mit Michail Chodorkowski, Platon Lebedew und allen politischen Häftlingen in Russland zu beteiligen. Mehr als 80 internationale Schriftsteller-innen und Schriftsteller unterstützen den Aufruf, unter ihnen die Nobelpreisträgerinnen und -träger für Literatur Herta Müller, Elfriede Jelinek, Mario Vargas Llosa und John M. Coetzee.

Inhalt - Langfassung:

Prolog
Eine Schneelandschaft in Russland. Ein Kameraschwenk von 360 Grad. Zunächst kommt  eine russische, orthodoxe Kirche ins Bild, danach drei Jugendliche: „Kennt ihr Michail Chodorkowski?“ lautet die Frage. Ein Mädchen antwortet mit „Nein“, ihr Freund weiß nur: „Der Mann hat Russland eine Menge Geld gestohlen“.

Verhaftung und Gefängnis
Rückblende: Als Animationssequenz sieht man die Verhaftung von Michail Borissowitsch Chodorkowski.

Es folgen Archivaufnahmen aus dem Fernsehen: Chodorkowski als Gefangener in einem Glaskasten, Bilder von CNN und George W. Bush. Als einer der ersten Interviewpartner des Films erinnert sich Joschka Fischer wie hart und emotional Wladimir Putin in seiner Ablehnung war, Chodorkowski bis zu seinem Prozess wieder freizulassen.

Michail Chodorkowski wird zu acht Jahren Gefängnis in Sibirien verurteilt, 6.500 Kilometer von Moskau entfernt.

Erste Dreharbeiten
Regisseur Cyril Tuschi ist 2006 zu Gast beim Filmfestival in der sibirischen Kleinstadt Chanty-Mansijsk, das früher von JUKOS finanziert wurde. Neugierig geworden, macht sich Cyril Tuschi auf die Reise zu den verschneiten Ölfeldern, die einst JUKOS, der Firma von Chodorkowski gehörten. Der Filmemacher wird von Sicherheitskräften gestoppt. Zurück in Berlin versucht Cyril Tuschi im Berliner Hotel Adlon mit dem einflussreichen Politiker Anatoli Tschubais, der einst unter Jelzin die Privatisierungen ermöglichte, über Chodorkowski zu sprechen. Tschubais verweigert das Interview.

Cyril Tuschi tritt in Briefkontakt mit Chodorkowski. Ein Jahr später erhält er auf seine Fragen Antworten. So vermutet der Gefangene, man habe ihn ins Gefängnis geworfen, weil er angeblich den Amerikanern von EXXONMOBIL und CHEVRON bei JUKOS zur Mehrheit verhelfen wollte. Ein weiterer Grund könne jedoch auch seine Unterstützung der Opposition 2003 gewesen sein.

Perestroika: Der Aufstieg von Michail Chodorkowski
Das Filmteam besucht die Mutter Chodorkowskis. Sie lebt im Süden Moskaus in einem jetzt fast leeren Haus und blättert in Fotoalben. Man sieht Michail als 19-jährigen jungen Mann mit Schnurrbart. Er ist Chemiestudent. Im kommunistischen Jugendverband „Komsomol“ macht er Karriere. Maxim Valetski, heute ein reicher Mann und damals sein Vorgesetzter, erinnert sich, dass er Chodorkowski zunächst als farblos und zurückhaltend einschätzte. Er erinnert sich auch an etwas anderes: Michail Chodorkowski war nach offizieller Lesart Jude und konnte so keine wissenschaftliche Karriere anstreben.

Der heute in Israel lebende Michail Brudno, einst in leitender Funktion bei JUKOS, erklärt, wie es Chodorkowski zu Perestroika-Zeiten gelang, aus dem virtuellen Geld, das in der Sowjetunion als Grundlage zu Tauschgeschäften unter den Staatsbetrieben diente, echtes Geld zu machen. Mit diesem Vermögen gründete Chodorkowski METAP, eine der ersten Privatbanken der UdSSR. Sein Geschäftspartner Leonid Newslin erinnert sich an eine gewisse Tugend: „Wir wollten nicht wie Oligarchen mit großen Datschas und Autos auftreten.“

Der Oligarch Michail Chodorkowski
Alexei Kondaurow ist ein Ex-KGB Offizier, der für Michail Chodorkowski als Sicherheitsmann arbeitete. Er weist darauf hin, dass alle Oligarchen das Produkt der Regierung sind. Auch Jewgeni Soburow, ein ehemaliger Wirtschaftsminister, bestätigt, dass die Regierung Jelzin einige Superreiche im Land erlaubte. So erwirbt Chodorkowski 1995 den staatlichen Mineralölkonzern JUKOS für einen Kaufpreis von „nur“ 300 Millionen Dollar (zudem übernahm er auch die 3 Milliarden Schulden des Konzerns). Schon kurze Zeit später ist JUKOS 6 Milliarden Dollar wert.

Der Wandel Chodorkowskis
Ab der Jahrtausendwende 2000 verändert sich Michail Chodorkowski. Der Schnurrbart kommt ab, er trägt eine neue Brille. Als Geschäftsmann geht er neue Wege. JUKOS wird transparenter geführt und zieht neue Investoren an. Chodorkowski gründet im Jahr 2000 seine Stiftung „Offenes Russland“, die Bildungschancen ermöglicht. Er investiert 100 Millionen Dollar in Universitäten, Ausbildungspro-gramme  für Journalisten und Internate. 

JUKOS wird Russlands größter Steuerzahler. Die Beziehungen zum neuen Präsidenten Wladimir Putin sind korrekt. Der Kreml Chef verlangt von den Oligarchen nur eins: sie mögen sich bitte aus der Politik heraushalten.

Der Eklat mit Putin
Ein Treffen Putins mit dem Oligarchen wird im Fernsehen übertragen. Der JUKOS-Boss wirft Putin indirekt vor, die Korruption in den staatlichen Ölkonzernen zu tolerieren. So sei ein Schaden von 30 Milliarden US-Dollar entstanden. Igor Jürgens - heute ein Wirtschaftsberater von Präsident Medwedew - meint: „Das war zu viel. Chodorkowski trat arrogant auf.“ Inhaltlich stimmte es jedoch, was Chodorkowski sagte, gibt Igor Jürgens zu. Für Jewgeni Saburow fühlte sich Putin durch Chodorkowski herausgefordert. Für viele Beobachter war dieses TV-Duell das Ende von JUKOS.

Letzte Warnungen und die Verhaftung
Chodorkowski fliegt im Sommer 2003 viel in die USA, verhandelt dort mit EXXONMOBIL über einen Einstieg bei JUKOS und trifft auch Präsident George W. Bush.

Dann wird am 2. Juli 2003 sein Geschäftspartner Platon Lebedew verhaftet. Michail Brudno flieht nach Israel. Die Aktie von JUKOS fällt. Im Oktober erklärt Michail Chodorkowski öffentlich, er werde nicht emigrieren und keine Deals mit der Regierung machen.

Am 25. Oktober 2003 stürmt eine Spezialeinheit den Privatjet Chodorkowskis in Nowosibirsk und verhaftet ihn. Am Tag seiner Verhaftung fliehen sieben der reichsten Russen aus dem Land.

Das Ende von JUKOS
Gerhard Schröder, der damalige Bundeskanzler, äußert später im deutschen Fernsehen, der russische Staat habe ihm mitgeteilt, Chodorkowski hätte Steuern hinterzogen, und das ließe sich kein Staat bieten. Joschka Fischer erinnert sich, wie aufgekratzt  Putin bei einem Treffen mit ihm und Schröder meinte: „Morgen seht ihr mal, wie das geht“. Und so kaufte eine unbekannte Investorengruppe aus Twer JUKOS auf, um sie schnell weiter an ROSNEFT zu veräußern. Einer in Texas anhängigen Zivilklage gegen die Zerschlagung und Übernahme von JUKOS sah Putin offenbar gelassen entgegen. Der ursprüngliche Investor verschwand dann, laut Fischer: „in den sibirischen Weiten im Nichts“. Eine Zivilklage war nicht mehr möglich.

Neue Vorwürfe und ein zweiter Prozess
Wladimir Putin erwähnt im Fernsehen, dass in den Mordfall des Bürgermeisters von Neftejugansk in Sibirien auch führende JUKOS-Mitglieder verwickelt sein sollen. Der Bürgermeister war 1998 am Geburtstag von Chodorkowski ermordet worden. Er hatte sich zuvor dagegen gewehrt, dass JUKOS keine Steuern zahlte. Nun wird Leonid Newslin dieser Mord zur Last gelegt und bei Interpol Haftbefehl gegen ihn erlassen.

Dmitri Gololobow, ein ehemaliger enger Mitarbeiter von Chodorkowski, der heute in London lebt, wirft seinem Chef vor, freiwillig ins Gefängnis gegangen zu sein, anstatt zu fliehen und die Firma und ihre Mitarbeiter zu schützen.

Im Sommer 2008 wird eine vorzeitige Entlassung aus der Haft für Chodorkowski nach fünf Jahren Gefängnis abgelehnt. Stattdessen kommt es 2010 zu einem zweiten Prozess. Chodorkowski soll 218 Millionen Tonnen seines eigenen Öls gestohlen haben.

Für Newslin ist der Fall klar. Solange Putin an der Macht ist, wird Chodorkowski nicht entlassen. Joschka Fischer gibt zu Bedenken: „Die Vorstellung, da gibt es Menschenrechte, und die setzen wir jetzt durch, ist natürlich abwegig. Dann würde das Gegenteil von Menschenrechten erreicht werden.“

In den letzten Minuten des Films kommt schließlich Chodorkowski selbst zu Wort. Durch die Scheibe einer Glaszelle im Gerichtssaal darf Cyril Tuschi mit laufender Kamera mit ihm sprechen: Chodorkowski weist dabei auf die Absurdität der Anklage hin und die physische Unmöglichkeit, eine solche Menge Öl zu stehlen. Das reiche aus, um damit  einen Güterzug zu füllen, der dreimal so lang ist wie der Erdumfang. Chodorkowski bestätigt, dass er die Möglichkeit hatte zu fliehen, sich aber verteidigen wollte - auch wenn das vielleicht naiv war.

In einem neuen Verfahren wird Michail Chodorkowski am 30.12.2010 zu weiteren sechs Jahren Gefängnis verurteilt.


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