Bildrechte: Sebastian Hoffmann/Theater an der Rott

Ehe in der Silvester-Nacht

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Heiraten ist erstaunlich riskant: "I do, I do" in Eggenfelden

Agnes und Michael haben sich das mit der Ehe total romantisch vorgestellt, fragen sich dann aber, wann die Kinder eigentlich "erwachsen" werden. Das Theater an der Rott zeigt ein berührendes Zwei-Personen-Musical. Nachtkritik von Peter Jungblut.

Die Zuschauer sind sich bei einer überraschenden Abstimmung im Saal ziemlich einig: Männer und Frauen können nicht mal „sinnvoll“ miteinander reden – umso erstaunlicher, dass Männer und Frauen heiraten. Ja, im Theater an der Rott in Eggenfelden wird das Zwei-Personen-Musical „I do, I do!“ zum beschwingten Mitmach-Theater, schon deshalb, weil es um die Stationen einer langjährigen Ehe geht, und die, so stellt sich schnell heraus, sind bei fast allen Betroffenen die gleichen: Liebesheirat, Kindersegen, Geldsorgen, Alltagsstress, Eifersucht und Seitensprünge, Pubertätsprobleme und Selbstzweifel. Da wurde viel mitgeseufzt, mitgelacht und mitgefiebert im Publikum. Stummes Zeitunglesen am Frühstückstisch? Kennen wir!

Braune Kugel-Tapeten und Schlaghosen

1966 kam „I do, I do!“ Off-Broadway heraus, geschrieben von Tom Jones, komponiert von Harvey Schmidt. Damals ging es um eine Ehe zwischen 1895 und 1945, aber die Zeit spielt eigentlich gar keine Rolle: In Eggenfelden heiraten Michael und Agnes der Ausstattung nach zu urteilen um 1960, machen die Flower-Power-Zeit mit (einschließlich brauner Kugel-Tapeten und Schlaghosen), werden in den siebziger Jahren Eltern und beginnen spätestens in den achtziger Jahren, an ihrem Leben zu zweifeln. Als die Kinder endlich aus dem Haus sind - wann werden die eigentlich wirklich erwachsen? - und selbst heiraten, beschließt das Ehepaar, endlich alle Träume zu verwirklichen: Klavier spielen und Saxophon lernen, nach Hawaii fliegen, tausend schöne Dinge tun. Ob das gelingt, bleibt offen, denn auch in der Ehe gibt es Einsamkeit, Enttäuschung, Langeweile. Womöglich ist es zu spät, lang gehegte Pläne zu verwirklichen, womöglich hat die Routine längst über die Abenteuerlust gesiegt.

Showtreppe mit Herz

Regisseur Rainer Holzapfel inszeniert das Auf und Ab der Liebe souverän und kurzweilig auf einer von ihm selbst entworfenen „Showtreppe“, die von einem riesigen Herz eingerahmt wird. Dazu kommt ein Flittervorhang, der ans Rotlicht-Milieu denken lässt, und tatsächlich gibt es auch einen Erotik-Tanz, denn Agnes will nicht nur in ihrer Mutterrolle aufgehen und Michael auch mal den maskulinen „Hengst“ geben. Es sind einfühlsame, durchweg gelungene und mal sentimental-düster, mal grellbunt beleuchtete Bilder, die das begeisterte Publikum über zwei Stunden bei Laune halten. Lauter Bettgeschichten von herrlicher Komik: Silvester ist nach ein paar Jahrzehnten Ehe auch nicht mehr das, was er mal war. Schon ein Glas Sekt kostet Überwindung, und vor Mitternacht einzuschlafen, ist auch kein Sakrileg mehr. Die Texte sind von nüchterner Klarheit, absolut kitschfrei und in ihrer deutschen Version erfreulich modern, frisch und unverstellt (Übersetzung vom Regisseur).

Ratlos zwischen den Kulissen

Carolin Waltsgott ist eine quirlig-selbstbewusste Agnes, Markus Krenek ein locker-nassforscher Michael. Nein, Spießer sind die beiden ganz und gar nicht, und doch macht die Ehe scheinbar alle gleich, nämlich besorgt um die Kinder, um das Haushaltsgeld und um die eigene Zukunft. Am Ende stehen die beiden in den weg geschobenen Theaterkulissen etwas ratlos herum. Wie geht´s weiter? Mit einer neuen Verabredung? Das muss jeder Zuschauer selbst entscheiden, Theater ist weder Eheberatung, noch Krisenintervention, sondern im besten Falle unterhaltsame Kunst. Dazu trug Dirigent Dean Wilmington mit seinen vier Musikern entscheidend bei. Die Band war mal beschwingt, mal melancholisch, mal von ätzender Ironie. Musical geht also auch so: Ehrlich, authentisch, gegenwartsbezogen, alltagstauglich. Für Heiratswillige bietet das Theater an der Rott übrigens Sonder-Arrangements an. Wenn das mal gut geht!


Wieder am 19., 24., 25. und 26. November.