Bildrechte: Neues Museum (Annette Kradisch)

"Before the Beginning and After the End, 6 pieces", 2016/18 (Detail)

Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

Wunderbar größenwahnsinnig: Goshka Macuga in Nürnberg

Das Werk der polnisch-britische Künstlerin Goshka Macuga ist facettenreich. In Neuen Museum Nürnberg versucht man das jetzt nachzuempfinden und zeigt: Collagen, Skulpturen, Spiegelarbeiten, Wandteppiche und Installationen. Von Barbara Bogen

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Goshka Macuga, 1967 in Warschau geboren, hat, so viel lässt sich sagen, nicht eben einen kleinlichen Anspruch, wenn es um ihre Selbstdefinition als Künstlerin geht. Vielmehr sucht sie den traditionellen Begriff des Künstlers aufzusprengen, ja geradezu explodieren zu lassen. Sie sei, so sagt Goshka Macuga, nicht allein Künstlerin, sondern zugleich Kuratorin, Historikerin, Archivleiterin, Ausstellungsdesignerin, Soziologin, Sammlerin, Fotografin, Performerin, Magikerin -und so weiter. Fast ebenso anspruchsvoll verhält es sich mit ihrer Kunst selbst oder dem was sie darzustellen versucht, und dies ist nichts weniger als ein neuer Blick auf die Geschichte der Menschheit. Und zwar die Geschichte, Kulturgeschichte, die bleiben wird als Relikt, als Restbestandteil nach unserem wohl unvermeidlichen Untergang. Posthumanismus ist das Stichwort.

Urknall, Evolution, Adam und Eva

Die Zeit also, nachdem die Menschheit, destruktiv und kriegsbesessen, endgültig abgedankt hat. Was bleibt? In ihrer raumfüllenden riesigen Installation mit dem Titel „Before the Beginning and after the End“, also „Vor dem Anfang und nach dem Ende“ reiht sie sechs, jeweils fast zehn Meter lange Druckerei-Tische aneinander, auf denen Papierrollen montiert sind. Die wiederum sind dicht mit Kugelschreiberzeichnungen bedeckt, die von Robotern angefertigt wurden. Ein System, entwickelt von dem französischen Künstler Patrick Tresset gemeinsam mit Goshka Macuga. Es sind Erzählungen von Urknall, Evolution, von Adam und Eva über Marxismus, Stalinismus, Feminismus bis zu Joseph Beuys.

Wissenschaft einleuchtender als Kunst

Dazu platziert die Künstlerin Objekte aus dem Bestand des Germanischen Nationalmuseums, wie etwa ein Fragment eines Meteoriten, der zwischen dem 2. und 4. Jahrtausend vor Christus auf der Erde einschlug oder die Nachbildung des berühmten Behaim-Globus. Ein Kunstkonglomerat, eine zeitgenössische Wunderkammer mit dem Charme eines wissenschaftlichen Labors.

"Es ist eines der anspruchsvollsten Projekte, die ich je gemacht und recherchiert habe. Es war schwer, einen Weg zu finden in der Synthese, diese große Geschichte zu erzählen. Wirklich den Anfang der Geschichte bis zum Ende in den Blick zu nehmen. Davor hatte ich Kontakt zu Wissenschaftlern. Ich bin einige Male ins CERN gefahren, ins Kernforschungszentrum bei Genf, habe Leute getroffen, die sich wissenschaftlich mit dem Thema auseinandergesetzt haben, und wir hatten viele Diskussionen über den Urknall. Es war sehr faszinierend, zu sehen, dass man aus einer künstlerischen Perspektive wirklich einige Beobachtungen teilt mit Wissenschaftlern, Philosophen. Nur dass Wissenschaftler dafür eine andere Sprache verwenden, die für sich in Anspruch nimmt, einleuchtender zu sein als die der Kunst. Aber wir sind mit dem gleichen Prozess befasst, der Beschreibung des Universums oder der Beschreibung der Welt, der so genannten Realität. Nur arbeiten wir mit unterschiedlichen Mitteln, um das auszudrücken." Goshka Macuga

Machtstrukturen und Systemwechsel

Eva Kraus, Direktorin des Neuen Museums Nürnberg, hat dieser Ansatz von Goshka Macuga überzeugt:

Ich bin sehr begeistert von ihrem künstlerischen Prozess. Ich finde es ist ein emanzipatorischer Prozess, wo man versucht, die Dinge auch nochmal neu zu betrachten unter einem anderen Blickwinkel zu sehen. Sie bemüht sich immer sehr, Fragen wie nach Gleichberechtigung, nach Machtstrukturen, nach Systemwechseln immer wieder auch in ihrem Werk zu beantworten. Und ich denke, diese Perspektive, diese Vorstellungen, dass wir von außen aus der Zukunft dann, eben wenn wir nicht mehr existieren, aus einer posthumanistischen Idee heraus auf unsere Existenz hinschauen und auf das was produziert wird und was wir auch hinterlassen als Menschen oder auch eben die Künstler eben als Kultur eben hinterlassen dann, ist das doch ne ganz besondere Position, die sie da einnimmt, die ich sehr spannend finde." Eva Kraus

Wunderbar größenwahnsinnige Ausstellung

Für die Installation „Before the beginning and after the end“ hat Goshka Macuga auch einen Briefwechsel zwischen Albert Einstein und Sigmund Freud aus dem Jahr 1932 ausfindig gemacht. Er ist in der Ausstellung einzusehen und widmet sich der Frage, wie Krieg verhindert werden kann. Bis heute hat die Menschheit darauf keine Antwort gefunden. Bis heute ist es ein ewiger dämonischer Kreislauf von Entstehung und Zerstörung. Den letzten Tisch von Macugas Installation beschreiben nur noch Computer, völlig überfordert und überfüttert mit Informationen, so dass am Ende nur noch Chaos entsteht, wirre, wilde Kritzeleien, und zugleich durch paralysiert, gelähmt scheinende Maschinen in Slow-Motion entstehende Zeichnungen ohne Sinn und Sinnlichkeit, ohne Geist und Verstand. So viel also in dieser bemerkenswert komplexen und zugleich wunderbar größenwahnsinnigen Ausstellung zum Thema: Was von uns bleibt!