Die Grünen wirken bei ihrer Bundesdelegiertenkonferenz enttäuscht über die geplatzten Jamaika-Verhandlungen – und sie wirken überrascht: über die eigene Disziplin. Fast jeder Redner, ob "Linker" oder "Realo", lobt die Geschlossenheit des 14-köpfigen Sondierungsteams. Fast jeder betont, was die Grünen alles durchgesetzt hätten: den Beginn des Kohleausstiegs, ein Tierwohllabel, einen Stopp der Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien, mehr Geld für Kinder.
Hofreiter: Nicht in alte Rituale zurückfallen
Der grüne Fraktionschef Anton Hofreiter appelliert in einer energischen Rede an die Partei, nicht in alte Rituale zurückzufallen, sondern die Gemeinsamkeit aus den Sondierungen in die Zukunft mitzunehmen. Er wirbt um Verständnis für die Zugeständnisse an CDU, CSU und FDP – etwa bei einer Begrenzung der Zuwanderung, beim Solidaritätszuschlag oder der Mütterrente.
"Wir wussten, dass mit manchen Kompromissvorschlägen wir manchen von euch und uns selbst auch vieles zugemutet haben. Und deshalb sage ich mal ganz herzlichen Dank an euch alle, dass ihr (…) uns so viel Vertrauen entgegengebracht habt." Anton Hofreiter, Fraktionsvorsitzender der Grünen
Nur ein Kreisverband stört die Harmonie
Ein wenig gestört wird die Harmonie nur durch kritische Anträge des traditionell linken Berliner Kreisverbands Friedrichshain-Kreuzberg. Der würde gerne gemeinsam festhalten, dass ein Bündnis mit Union und FDP bei Streitpunkten wie Verkehr, Europa oder sozialer Gerechtigkeit bestenfalls den „Status quo“ gesichert hätte. "Dies hätte vier Jahre Stillstand bedeutet", so der Antrag. Große Chancen dürfte er allerdings nicht haben.
Egal, wo in der Berliner Arena man sich umhört, ob unter den bayerischen Delegierten oder der Gruppe aus Nordrhein-Westfalen: Alle sind zufrieden mit dem Sondierungsteam. Die meisten hätten gerne mitregiert. Und manche wollen aus der neu gewonnenen Nähe der CDU und CSU noch etwas machen.
Grüne werden über Minderheitsregierung diskutieren
Auf der Agenda des Parteitags steht auch die Diskussion über eine mögliche Minderheitsregierung im Bund, sollte die SPD sich einer Großen Koalition verweigern. Mehrere Anträge fordern, die Gespräche mit der Union fortzusetzen – um dann gemeinsam eine Minderheitsregierung zu bilden.
Claudia Roth aus dem Sondierungsteam betont, dass es weiterhin große inhaltliche Unterschiede zu CDU und CSU gebe. Allerdings sei durch die Verhandlungen "Respekt" und "Verständnis" füreinander entstanden. Eine Minderheitsregierung mit der Union schließt sie nicht grundsätzlich aus. "Ich kann es mir vorstellen, aber es wäre sehr mutig, das zu tun. Aber selbst dann müsste man sich nochmal deutlich hinsetzen, weil viele, viele Punkte waren ja nicht geeint." so Claudia Roth.
Schimpfen auf die FDP
Neben der Geschlossenheit, den eigenen Sondierungserfolgen und der weiteren Gesprächsbereitschaft zieht sich ein weiteres Thema wie ein roter Faden durch alle Reden: die Abrechnung mit der FDP, die die Jamaika-Gespräche platzen ließ. Grünen-Chef Özdemir warb nicht nur um enttäuschte FDP-Wähler, er warf den Liberalen auch vor, die Interessen ihrer Partei über die des Landes gestellt zu haben.
"Der Ausstieg der FDP aus den Verhandlungen, der war nicht inhaltlich, sondern taktisch begründet, liebe Freundinnen und Freunde, da beißt keine Maus keinen Faden ab." Cem Özdemir