Kultur - Künstliche Intelligenz

Künstliche Intelligenz & Kultur Warum Hollywood auf Algorithmen setzt

Sind wir alle verloren? Ist das Ende Menschheit nah? Künstliche Intelligenz führt in vielen Filmen direkt in die Katastrophe. Aber hinter den Kulissen von Hollywood begründet K.I. eine neue Ära der Filmproduktion. Nur anders, als wir denken.

Von: Vanessa Schneider

Stand: 30.09.2019 | Archiv

Die Künstliche Intelligenz Benjamin hat den Film "Zone Out" komplett generiert. | Bild: Thereforefilms

Die Streaminggiganten Netflix und Amazon haben es vorgemacht: Sie analysieren das Verhalten ihrer Nutzer und verbessern ihre Produkte mit großem Erfolg. Auch die großen Hollywoodstudios setzen inzwischen auf die Macht der Maschinen und Daten. Aber nicht, damit die Computer selbst kreativ werden. Die Studios hoffen durch Machine Learning und Künstliche Intelligenz besser zu verstehen, wie wir Geschichten erzählen und wahrnehmen und was die menschliche Schaffenskraft so einzigartig macht.

Das richtige Publikum finden

Hollywoods Filmstudios hoffen, dass Big Data ihre Filme vor allem besser vermarktet. Die Studios wissen welche Zuschauer für welche Filme online Tickets kaufen. Sie erfassen, wer wie welche Medien nutzt und wann. Und dem "Warum" kommen sie mit aufwändigen Datenanalysen auf die Spur. Dabei helfen soll das Entertainment Technology Center - ein Think Tank an der University of Southern California, der von allen großen Hollywood-Studios aber auch von Tech-Unternehmen aus dem Silicon Valley finanziert wird. Der Datenwissenschaftler Yves Bergquist entwickelt hier "Corto", einem von Künstlicher Intelligenz getriebenen Tool, das dank künstlicher neuronaler Netze in der Lage sein soll, den Erfolg eines Films vorherzusagen. Diese neuronalen Netzwerke sollen es der KI erlauben, den Zusammenhang von verschiedenen Elementen einer filmischen Erzählung zu erkennen und ihre Wirkung auf das Publikum sichtbar und vergleichbar zu machen. Dafür zieht das Team von Bergquist neben detaillierten Informationen zur Gestaltung des Films, der Tonalität, der Musik, Licht und Kameraeinstellungen auch Daten aus den Sozialen Medien heran: "Wir versuchen aus Publikumsäußerungen bei Social Media die Stimmung und deren kognitiven Zustand abzuleiten, um wirklich verstehen zu können, welche Eigenschaften von Medieninhalten wie und bei welchem Teil des Publikums Anklang gefunden hat,” so Bergquist. Dann – so die Hoffnung der Datenwissenschaftler - kann ein Film erfolgreich bei den Menschen beworben werden, die sich auch tatsächlich für den Film interessieren könnten.

Dieser mikroskopische Blick auf das Publikum ist neu in der Filmbranche, die jahrzehntelang mit den gleichen und oft fehlerhaften Annahmen gearbeitet hat und sich nur langsam traut diese zu überdenken. Frauen und People of Color in der Hauptrolle galten beispielsweise lange als Kassengift, bis im vergangenen Jahr "Black Panther", "Wonder Woman" und "Crazy Rich Asians" rekordverdächtig viele Menschen ins Kino lockten. Noch ein Instrument also, um massentaugliche, austauschbare und perfekt kalkulierte Blockbusterware zu fertigen? Bergquist gibt sich optimistisch: "Es wird Medienmachern und Kreativen ermöglichen originellere, mutigere und innovativere Geschichten zu erzählen, von denen sie wissen, dass diese einen Effekt auf ihr Publikum haben werden.” Auch ohne den Einfluss von Maschinen versuchten schließlich auch heute schon viele Produzenten dem Risiko Neues zu wagen zu entgehen, indem sie immer wieder die gleichen Geschichten erzählten. Mit Hilfe von KI und Machine Learning könnten Filme entstehen, die heute aus finanzieller Sicht als nicht umsetzbar gelten, "aber tatsächlich einen großen Wert schaffen können, für die Zuschauer und für denjenigen, der die Filme finanziert,” glaubt Bergquist.

Persönliche Empfehlungen für Filmfans

Netflix hat's vorgemacht: Der Streamingdienst schlägt den User*innen basierend auf ihrem Guckverhalten immer neue Serien und Filme aus dem Angebot vor und bringt sie so dazu immer mehr anzuschauen. Dieser Empfehlungsalgorithmus ist auch deshalb so erfolgreich, weil Netflix vom Trailer bis zum Vorschaubild alles auf die einzelnen Nutzer*innen zuschneiden lässt. Weil jeden Filmfan etwas anderes anspricht, werden aufgrund des individuellen Sehverhaltens automatisch Trailer erstellt, die die persönlichen Vorlieben berücksichtigen. Der Actionfilm mit zwei weiblichen Hauptfiguren wird Filmfan A dann zum Beispiel mit Fokus auf die Action vorgeschlagen, während Filmfan B einen Trailer sieht, in dem die beiden Hauptfiguren im Mittelpunkt stehen – weil Filmfan B in der Vergangenheit ähnliche Filme gefallen haben. Auch die Hollywood Filmstudios orientieren sich daran und lassen verschiedene Trailer aufgrund von Datenanlaysen auf spezielle Zielgruppen zuschneiden. Noch sind die Ergebnisse dieser Datenanalysen oft sehr offensichtlich und auch nicht immer hilfreicher als die Einschätzung eines menschlichen Spezialisten. In Zukunft soll aber mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz schon vor und während einer Produktion evaluiert werden können, ob und in welcher Zielgruppe ein Film ankommt.

Drehbücher optimieren für mehr Erfolg

Maschinenbasierte Erfolgsvorhersagen und Datenanalysen zum möglichen Einspielergebnis sollen den Filmemachern und Filmemacherinnen strukturiert und belegbar kreative Optionen aufzeigen, wo es sinnvoll sein könnte dem Filmkanon zu folgen, oder wo es sich lohnt davon abzuweichen und neue Ideen einzubringen. Wie das gehen soll, zeigen Start-Ups wie StoryBook aus Antwerpen und StoryFit aus Austin, Texas. Sie beraten Produktionsfirmen und Filmemacher bei der Entwicklung ihrer Drehbücher, die sie auf erzählerische Muster und emotionale Tiefe untersuchen. Storyfit kombiniert den datenwissenschaftlichen Ansatz der Hollywoodstudios mit der klassischen Lektoriats-Arbeit und systematisiert sie. Weil die Studios ihre Daten aber unter Verschluss halten, müssen Unternehmen wie StoryFit ihre eigenen Datenbanken aufbauen. StoryFit füttert ihre KI mit tausenden verschlagworteten Büchern, veröffentlichten und unveröffentlichten Drehbüchern aus den letzten Jahrzehnten und reichert diese Datensets an mit Metadaten zum Einspielergebnis dieser Filme, sowie zum Geschlechterverhältnis der Figuren. Das ist eine Herausforderung für sich, denn die Algorithmen übernehmen Vorurteile und Annahmen der Menschen, die sie trainieren, sagt Marc Bessen, Literaturwissenschaftler und Datenanalyst bei Storyfit: "Wir arbeiten an Filmen, die im Endeffekt beeinflussen, wie wir die Welt sehen. Deshalb nehmen wir unseren Job sehr ernst und stellen sicher, dass wir Rassen- und Geschlechterklischees vermeiden, die typisch sind für die Filmindustrie und das wahre Leben.”

Storyfit analysiert den Blockbuster "Black Panther" auf emotionale Tiefe und Sprechanteil der Charaktere.

Die KI von StoryFit verortet das ausgewertete Drehbuch dann im Kontext aller Drehbücher in der Datenbank, zeigt Gemeinsamkeiten und Abweichungen vom Durchschnitt auf und beleuchtet die Figurenkonstellationen und Dialoge. Aber auch in einer datengetriebenen Filmwelt gilt: Der Durchschnitt ist kein Maßstab. Sich allein daran zu orientieren schade nicht nur der Kunst, sondern auch dem Resultat an den Kinokassen, ist sich Monica Landers, Gründerin von StoryFit, sicher. Der menschliche Anteil der Arbeit von StoryFit sei entscheidend: "erkennen, was einzigartig ist und das herausstellen. Es geht nicht darum willkürlich etwas anders zu machen, aber ein besonderer Charakter oder eine ungewohnte Wendung zum Schluss sind Möglichkeiten das Publikum zu überraschen und trotzdem etwas zu bieten, das ankommt.”

Die Illusion perfektionieren

In der Filmproduktion selbst könnte der Einsatz von künstlicher Intelligenz und Machine Learning bald zu radikalen Umwälzungen führen, bei denen sich viele Jobs verändern oder auch ganz verschwinden werden. Algorithmen und Künstliche Intelligenz werden Menschen viele Tätigkeiten abnehmen, die bisher nicht offensichtlich als automatisierbar erkennbar waren: An der Stanford Universität und dem Max Planck Institut für Informatik wird eine künstliche Intelligenz für Videoschnitt entwickelt. Storyboards, die Regisseur*innen und Produzent*innen helfen Szenen vor dem Dreh zu planen und zu visualisieren können mittlerweile digital vom Drehbuchtext ausgehend generiert werden und müssen nicht mehr von Hand entworfen werden. Und in der Postproduktion übernehmen Computer immer öfter die zeitintensive und anspruchsvolle Arbeit lebensechte menschliche Figuren und realistische Special Effects digital zu erstellen, die dann von Visual-Effects-Spezialisten bearbeitet und perfektioniert werden. So können inzwischen auch mit Hilfe von Machine Learning Schauspieler digital um Jahrzehnte verjüngt und andere wieder zum Leben erweckt werden – wie 2016 Carrie Fisher, die Darstellerin von Prinzessin Leia für den Star Wars Film "Rogue One".

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Re-creating Tarkin & Leia in Rogue One, Plus Star Wars Trivia...ON A ROLLERCOASTER! | Bild: Star Wars (via YouTube)

So wurde Prinzessin Leia in "Rogue One" digital wiedererweckt

Die Künstliche Intelligenz im Regiestuhl

Viele Filmemacher*innen und Kreative fürchten die Digitalisierung von Hollywood. Sie haben Angst ihre künstlerische Autonomie zu verlieren und ihre Arbeit den Berechnungen einer Maschine unterordnen zu müssen, die nicht fühlen und denken kann – und gar nicht versteht, was Geschichten erzählen. Wie weit die technische Entwicklung davon noch entfernt ist, das zeigt der Science Fiction Film "Zone Out", den die Künstliche Intelligenz Benjamin 2018 in 48 Stunden für einen Filmwettbewerb erstellt hat. Regie, Drehbuch, Film und sogar die Darsteller*innen: alles ist digital generiert.

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Zone Out | A Sci-Fi Short Film Starring Thomas Middleditch | Bild: Ars Technica (via YouTube)

Zone Out | A Sci-Fi Short Film Starring Thomas Middleditch

So eindrucksvoll das Ergebnis ist, "Zone Out" hat keine dramatische Struktur, statt Dialogen bietet die Maschine in ihrem Film nur unverständlichen Wortsalat an.

Ohne menschliche Hilfe ist die KI noch nicht in der Lage die komplexe Struktur einer dramatischen Erzählung mit all ihren Bedeutungsebenen und Codes zu erfassen und zu replizieren. Auch manipulierte Deep Fake Videos, Pornos und Propaganda, die ohne Zustimmung der gezeigten Personen erstellt werden, sind daher zumindest in der nächsten Zeit noch ein kleineres Problem. Trotzdem stellt sich jetzt schon die Frage, wie man diese Technologien zukünftig vor Missbrauch schützen und sie gleichzeitig öffentlich zur Verfügung stellen kann. Denn wenn Maschinen immer glaubwürdiger Stoffe kreieren, könnten sie nicht nur faulen Schülern die Hausaufgaben abnehmen, sondern auch für gezielte Desinformation eingesetzt werden. Noch ist diese Technologie nicht ausgereift, sie einzusetzen aufwändig und zeitintensiv – zumindest auf den Kinoleinwänden ist diese Zukunft also noch lange nicht angebrochen.

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Sendungsbezug: Bayern2 Kulturjournal vom 17.03.2019