Franken - Zeitgeschichte


1

Arbeitslosenstatistik Geschönte Zahlen aus Nürnberg?

Alle vier Wochen hat die Bundesagentur einen festen Platz in den Nachrichten: wenn die aktuellen Arbeitslosenzahlen verkündet werden. Wie sich "arbeitslos" definiert, hat sich allerdings immer wieder gewandelt – und für Kritik gesorgt.

Von: Wolfram Weltzer und Rainer Aul

Stand: 04.03.2022 | Archiv

Jugendliche Arbeitslose auf Jobsuche - genau darum geht es auf dem EU-Gipfel der Kanzlerin Merkel | Bild: picture-alliance/dpa

Vor allem in wirtschaftlich schwierigen Zeiten schaut die Öffentlichkeit einmal im Monat gebannt nach Nürnberg: Wie hoch werden sie wohl sein, die Zahl der Arbeitslosen und die Arbeitslosenquote? Herrschte in den 1960er-Jahren während des sogenannten Wirtschaftswunders noch Vollbeschäftigung (Tiefstand war der September 1965 mit nur 85.000 Arbeitslosen), waren es nach der Ölkrise der 1970er-Jahre schon über eine Million und kurz nach der Jahrtausendwende vorübergehend über 5 Millionen Menschen ohne Job.

Tatsächlich weniger als 3 Millionen Arbeitslose?

Nach Reformen und durch wirtschaftlichen Aufschwung erholte sich der Arbeitsmarkt in Deutschland, sodass in den Jahren vor der Corona-Pandemie im Durchschnitt nur noch weniger als 3 Millionen Arbeitslose registriert waren.

Oder waren es in Wahrheit doch deutlich mehr? Immer wieder gibt es Vorwürfe, die Zahlen seien manipuliert. Die Bundesagentur weist das weit von sich und hat viele Argumente auf ihrer Seite, obwohl tatsächlich eine ganze Reihe von Menschen ohne Job nicht als arbeitslos gilt. Es lohnt sich genau hinzuschauen:

Ohne Job – und trotzdem nicht arbeitslos

Nicht als arbeitslos gezählt werden vor allem Arbeitsuchende, die gerade eine der vielen Arbeitsförderungsmaßnahmen der Agenturen oder Jobcenter absolvieren, also zum Beispiel Bewerbungstrainings, Aus- und Weiterbildungen oder Sprachkurse. Ebenso alle, die gesundheitlich nicht in der Lage sind, regelmäßig mehr als 15 Stunden pro Woche zu arbeiten oder zum Stichtag der Statistik krank geschrieben sind sowie viele Arbeitslose, die 58 Jahre alt und älter sind: Sie gelten als nicht mehr vermittlungsfähig.

Ohne Arbeit, aber für die Statistik nicht arbeitslos – das sind die Gründe:

• Nicht gemeldet

Das ist natürlich logisch: Wer sich nicht als arbeitssuchend gemeldet hat, wird nicht in der Arbeitslosenstatistik aufgeführt.

• Fördermaßnahmen

Wer dagegen an sogenannten Maßnahmen zur Arbeitsförderung teilnimmt, gilt in der offiziellen Arbeitslosenstatistik als unterbeschäftigt und nicht arbeitslos. Das gilt für Personen in Fort- und Weiterbildung ebenso wie für alle, die zum Beispiel an Bewerbungstrainings oder Sprachkursen teilnehmen oder auch für alle in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen Beschäftigten.

• Kurzarbeit

Kurzarbeitende sind zwar nicht arbeitslos, arbeiten aber weniger als sie möchten und gelten damit ebenfalls als unterbeschäftigt. Die Summe dieser sogenannten Minderarbeit fließt nicht in die Arbeitslosenzahlen ein.

• Ich-AG

Von der Bundesagentur einen Zuschuss genehmigt bekommen, um eine Firma zu gründen? Glückwunsch, damit tauchen Sie in der Arbeitslosenstatistik nicht mehr als arbeitslos auf!

• Ein-Euro-Job

Auch wer einen Ein-Euro-Job hat, ist statistisch gesehen nicht arbeitslos. Dabei arbeitet ein Empfänger oder eine Empfängerin von Arbeitslosengeld II lediglich für eine Aufwandsentschädigung: einen Euro als Stundenlohn.

• private Vermittlung

Neben der staatlichen Bundesagentur für Arbeit gibt es auch private Arbeitsvermittlungen, die Arbeitslose mit einen Vermittlungs-Gutschein nutzen können. Wer so betreut wird, zählt in der offiziellen Statistik seit 2009 automatisch nicht mehr als arbeitslos.

• 58er-Regelung

Unter die sogenannte 58er-Regelung fallen alle Menschen, die zwischen 58 und 64 Jahre alt sind und als nicht mehr vermittlungsfähig oder -willig eingestuft wurden. In der Statistik werden sie ebenfalls nicht mehr als arbeitslos gezählt.

• Krankheit

Und schließlich: wer krankheitsbedingt nicht in der Lage ist, mindestens 15 Stunden pro Woche zu arbeiten oder krankgeschrieben ist, gilt in der Arbeitslosenstatistik ebensowenig als arbeitslos.

Aktuell sind es knapp eine Millionen Menschen, die auf diese Weise nicht in der Arbeitslosenzahl auftauchen. In der Statistik sind sie allerdings aufgeführt. Die Bundesagentur nennt das dann "Unterbeschäftigung". Wer es wissen will, kann genau nachlesen, wie viele Menschen von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Schuld an der Verzerrung sind nicht die vielen Statistiker der Nürnberger Behörde, sondern die Politik: Beginnend mit der CDU/CSU/FDP-Regierung unter Helmut Kohl (Stichwort: "Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen") wurde die amtliche Definition von Arbeitslosigkeit  immer wieder verändert.


1