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Die Bundesrepublik in den 1960er Jahren

1968 Die Bundesrepublik in den 1960er Jahren

Stand: 09.04.2018

Gegen die Verhaftung von "Spiegel" - Redakteuren demonstriert am 30. Oktober 1962 eine Gruppe von Studenten vor der Frankfurter Hauptwache mit einem Sitzstreik | Bild: picture-alliance/dpa

Die zwischen 1944 und 1947 Geborenen - im Jahr 1968 werden sie Träger der Studentenrevolte in Deutschland sein - gehören zur Generation der "Ruinenkinder". Als Babys müssen sie Bombennächte oder die Flucht vor der Roten Armee überstehen. Sie ertragen die Hungerwinter der Nachkriegsjahre und spielen oft zwischen Trümmern. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass ihre Eltern NSDAP-Mitglieder waren; im Krieg erlebten sie oft Schreckliches, wurden traumatisiert und erziehen ihre Kinder nun mit emotionaler Kälte.

Die NS-Vergangenheit wird in der Adenauer-Ära verdrängt, eine konservative Grundstimmung macht sich breit. Die Eliten der jungen Bundesrepublik sind zufrieden: Man hat schließlich die Demokratie eingeführt und eine passable politische Ordnung etabliert, dabei will man es belassen.

Ein Hauch von Modernisierung

Vor allem den Bemühungen der so genannten "Flakhelfergeneration" (Geburt etwa um 1930), zu der Politiker wie Helmut Kohl (CDU) oder Erhard Eppler (SPD) gehören, ist es zu verdanken, dass ab den späten 1950er Jahren Erneuerungstendenzen spürbar werden. Der Wiederaufbau des Landes ist zu dieser Zeit abgeschlossen, die Einkommen steigen, die Massenmotorisierung ist in vollem Gange und die Menschen freuen sich über einen erhöhten Wohnkomfort.

1958 wird die Zentralstelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung von NS-Verbrechen geschaffen und der Ulmer Einsatzgruppenprozess gegen ehemalige SS- und Gestapomänner führt den Westdeutschen vor Augen, welche Grausamkeiten während des Krieges im Osten verübt wurden. In den Schulen beginnen Lehrkräfte, die Nazi-Vergangenheit und den Völkermord an den Juden zaghaft anzusprechen. Jugendliche fragen zuhause nach, was damals geschah.

Währenddessen mahnt der 1957 ins Leben gerufene Wissenschaftsrat Hochschulreformen an und auch die einst so fest gefügten katholischen und protestantischen Milieus beginnen sich allmählich aufzulösen.

Unübersehbar ist zu Beginn der 1960er Jahre aber auch, dass Altnazis in Wirtschaft, Verwaltung, Justiz und Politik nach wie vor fest im Sattel sitzen und Hitlers Offiziere der Bundeswehr den Ton abgeben. Homosexualität ist in der BRD noch immer strafbar. Frauen dürfen zwar ein eigenes Konto haben, benötigen aber die Erlaubnis des Ehemannes, wenn sie berufstätig sein wollen. In diesem Spannungsfeld werden die "Ruinenkinder" erwachsen und beginnen nach Neuem zu suchen.

Eine kritische Öffentlichkeit entsteht

1962 erschüttert die "Spiegel"-Affäre die Bundesrepublik. Am 26. Oktober besetzen Polizisten die Redaktionsräume des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel". Der Herausgeber Rudolf Augstein und einige Redakteure kommen in Haft. Der Grund: Das Blatt soll mit einem Artikel zur Verteidigungspolitik Landesverrat begangen haben.

Dieser eklatante Eingriff in die Pressefreiheit, in den Verteidigungsminister Franz Josef Strauß verwickelt ist, ruft massive Proteste hervor. Tausende Studenten treffen sich in den Universitätsstädten zu Spontankundgebungen und Demonstrationen. Hunderte von ihnen ziehen vor das Hamburger Untersuchungsgefängnis und demonstrierten unter Augsteins Zellenfenster. Professoren, Dozenten, Gewerkschafter und Schriftsteller ergreifen Partei für den "Spiegel".

Dass schließlich große Teile der Öffentlichkeit für die Pressefreiheit Partei eintreten, hat es bis dahin in Deutschland nicht gegeben. In diesen Tagen wird - aus der Rückschau betrachtet - eine Bewegung geboren, die Außerparlamentarische Opposition (APO).

Die zunehmende Pluralisierung und Politisierung des Meinungsklimas fällt gerade bei Studierenden aus bürgerlichen Elternhäusern auf fruchtbaren Boden. In diesem - privilegierten - Teil der Jugend macht sich eine eigentümliche Sehnsucht nach Veränderung, verbunden mit der Ablehnung von Autoritäten breit.

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