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Eugen Gomringer poema – Gedichte und Essays

Der Dichter Eugen Gomringer aus Oberfranken gilt als der Vater der Konkreten Poesie. Mit seinem Gedicht "avenidas" löste er eine Kontroverse aus. Nun ist das Buch "poema" mit seinen bekanntesten Gedichten erschienen.

Von: Dirk Kruse

Stand: 18.07.2018 | Archiv

Eugen Gomringer: poema | Bild: BR-Studio Franken / Tina Wenzel

Vor genau 65 Jahren veröffentlichte Eugen Gomringer in der Berner Künstlerzeitschrift "spirale" sein erstes konkretes Gedicht "avenidas". Damit schuf er eine ganz neue Art der Lyrik und schrieb Literaturgeschichte. Er wurde zum Vater der Konkreten Poesie.

avenidas

avenidas y flores

flores

flores y mujeres

avenidas

avenidas y mujeres

avenidas y flores y mujeres y

un admirador

"Also avenidas sind Straßen, wenn Sie so wollen. Das sind Avenuen, flores sind Blumen, mujeres sind Frauen. Avenidas y flores y mujeres y un admirador heißt: Avenuen und Blumen und Frauen und ein Bewunderer."

Eugen Gomringer

Gomringer-Gedicht an Alice-Salomon-Hochschule in Berlin

Dieses Ursprungsgedicht der Konkreten Poesie stand seit 2011 an der Fassade der Berliner Alice-Salomon-Hochschule, bis Studentenvertreter es als frauenfeindlich und sexistisch kritisierten. In diesem Herbst soll es deshalb übermalt werden. Ein Vorgang, der einen Sturm der Entrüstung in den internationalen Feuilletons erregte und für hitzige Debatten sorgte. Fast alle ergriffen für Eugen Gomringers Kunst Partei. Auch seine Frau, die Literaturwissenschaftlerin Nortrud Gomringer.

"Ich bin sehr erstaunt, dass mein Mann ein Sexist sein soll. Das ist mir bis jetzt noch nicht aufgefallen. Und ich finde diese Aktion in Berlin von der Hochschule absolut lächerlich, aber auch empörend. Und es ist ja auch so, dass ich auch Männer bewundere. Da haben die doch keine Angst, dass ich ihnen beim nächsten Mal an die Wäsche gehe. Was soll denn das? Das ist total absurd. Ich lasse mich gerne bewundern. Das muss ich auch mal sagen. Das finde ich schön."

Nortrud Gomringer

Sammlung von Gedichten und Essays

Mit dem neuesten Buch des 93-jährigen Wahlfranken Eugen Gomringer unternimmt der Nimbus Verlag jetzt den Versuch, die erhitzten Gemüter zu beruhigen und einen vielfältigen Blick auf Gomringers epochemachende Lyrik zu werfen. "poema" enthält seine bekanntesten Gedichte, wie das berühmte "schweigen". Das besteht aus vierzehnmal demselben Wort Schweigen. Nur in der Mitte der fünf Zeilen fehlt es und hinterlässt eine stumme Lücke.

schweigen schweigen schweigen

schweigen schweigen schweigen

schweigen                   schweigen

schweigen schweigen schweigen

schweigen schweigen schweigen

Ein Gomringer-Gedicht erkennt man auf Anhieb. Manchmal kann man es sogar von mehreren Richtungen aus lesen. Die Isolierung der Wörter im Gedicht erregt Aufmerksamkeit. Gomringers Gedichte, die er Konstellationen nennt, sind auf einen Blick erschließbar und bleiben trotzdem rätselhaft. Wie etwa das Gedicht "ping pong".

"Dieses weltweit bekannte Ping Pong Gedicht, ist in Österreich 1953 entstanden durch das Geräusch des Ping Pong Spielens. Ping Pong hab ich gedacht, ja das ist unsere Sprache. Dann hab ich gedacht, das muss ich gestalten und bin dann zu dieser Form gekommen, die heute allgemein akzeptiert wird. Also diese vier Zeilen mit zwei Zeilen in der Mitte Ping Pong Ping, Pong Ping Pong, und am Schluss wieder Ping Pong. In der gleichen Reihenfolge geht es weiter, aber man muss diesen Hiatus gestalten in der Mitte, damit etwas hängen bleibt für das Auge. So ist das mit dem Einfachen. Es muss auch gestaltet werden."

Eugen Gomringer

ping pong

      ping pong ping

       pong ping pong

                       ping pong

Zusätzlich zu Gomringers berühmtesten Gedichten enthält der Band „poema“ erhellende Erläuterungen des Autors. Denn so kurz seine visuell wirkenden Gedichte auch sein mögen, stecken in ihnen doch viele theoretische Überlegungen.

Essays über Gomringer

Info und Bewertung

Wertung: 4 Frankenrechen von 5 | Bild: BR

Eugen Gomringer: poema. Gedichte und Essays, Wädenswil 2018, Nimbus Verlag, 212 Seiten, 29,80 Euro, ISBN 978-3-03850-047-6

Was das Buch aber vollends zu einem Gewinn macht, sind die rund 20 Essays von Literaturwissenschaftlern und Dichtern wie Oskar Pastior, Walter Jens oder Sybille Lewitscharoff. Sie würdigen Gomringers Experimentierfreude, Erfindungsgabe und seine Bedeutung für die Literaturgeschichte. Dass wenige Kritiker, die in diesem Buch nicht zu Wort kommen, der Konkreten Poesie gerne formale Spielerei und Substanzlosigkeit vorwerfen, lässt Eugen Gomringer eher kalt. Und dass sich seine Gedichte leicht nachahmen lassen, und sogar von Grundschülern im Deutschunterricht geschrieben werden, findet der Autor herrlich.      

"Das will ich eigentlich. Ich provoziere das geradezu. Das liegt ganz in der Anlage dieser Dichtung. Durch offene Stellen, die der Leser auszufüllen hat durch eigene Erfahrung. Auch strukturell eignen sich die Texte sehr gut zur Nachahmung gerade in den Schulen. Und was kann man besseres verlangen, als dass eigene Gedichte anregend sind für neue Generationen, für Kinder."

Eugen Gomringer

Dass Eugen Gomringers Konkrete Poesie kein verstaubtes Stück Literaturgeschichte, sondern höchst lebendig ist, das kann man in diesem Buch erfahren.

Das Wirken von Eugen Gomringer

Der Dichter Eugen Gomringer, der seit über 50 Jahren in Oberfranken lebt, gehört zu den wichtigen Autoren der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Anfang der 50er-Jahre schuf er eine eigene experimentelle Lyrik-Gattung, die schnell Anhänger fand: die Konkrete Poesie. Daneben hat sich Eugen Gomringer aber auch als Professor für Ästhetik, Kunstkritiker, Werbefachmann und Kulturbeauftragter beim Porzellanhersteller Rosenthal in Selb einen Namen gemacht. Der gebürtige Schweizer, der in Rehau lebt, ist 93 Jahre alt.


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