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Kati Naumann Wo wir Kinder waren

Kati Naumann führt uns mit ihren Geschichten ins thüringisch-fränkische Grenzgebiet. In ihrem neuesten, zweiten Roman "Wo wir Kinder waren" nimmt sie ihre Leserinnen und Leser mit in die Spielzeugmetropole Sonneberg, von 1910 bis heute.

Von: Dirk Kruse

Stand: 08.06.2021 | Archiv

Roman: "Wo wir Kinder waren" von Kati Naumann | Bild: BR-Studio Franken/Dirk Kruse

Nach "Was uns erinnern lässt" über ein Hotel am Rennsteig in den Wirren vom 2. Weltkrieg über die Verstaatlichung in der DDR bis zu den Nachwehen im Hier und Jetzt, hat die 1963 in Leipzig geborene Autorin Kati Naumann gerade einen zweiten Roman vorgelegt. Der heißt "Wo wir Kinder waren" und ist ein historischer Roman über die Spielzeugmetropole Sonneberg in den vergangenen 100 Jahren.

Sonneberg 1910. In der Weltspielwarenstadt herrscht reges Gedränge. Denn alle wollen die prächtige Figurengruppe bestaunen, die auf die Weltausstellung nach Brüssel geschickt wird. Die 67 Figuren stellen eine thüringisch-fränkische Kirmes dar, erbaut von den ansässigen Spielzeugherstellern. Auch der frischgebackene Puppenfabrikant Albert Langbein ist mit seinen Kindern unter den stolzen Schaulustigen.

"'Da!', rief Albert plötzlich, und in der Stimme des stets gelassenen Fabrikanten war ein Zittern zu hören. 'Seht doch! Dort ist unsere Puppe!' Sie saß in der obersten Etage des Karussells, und immer, wenn Otto glaubte, sie entdeckt zu haben, war sie schon wieder vorbeigehuscht. 'Seht es euch gründlich an', sagte Albert feierlich. 'Genau darum ist Sonneberg die größte Spielzeugmetropole. Und wir sind ein Teil davon. Unsere Puppe wird nach Brüssel reisen und der Welt zeigen, was die Langbeins können.'
Otto starrte auf die prächtige Szenerie und fühlte plötzlich eine Ergriffenheit, die er bisher nicht gekannt hatte. Zum ersten Mal glaubte er, die Begeisterung seines Vaters für das Spielzeughandwerk zu verstehen. Es ging ja gar nicht um Zahlen und Aufträge. In Wahrheit ging es doch um Schönheit und Freude!"

Zitat aus dem Roman 'Wo wir Kinder waren'

Über tausend Spielwarenfirmen gibt es zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Sonneberg, von vielen Einmannbetrieben und Heimwerkern bis hin zu großen Fabriken. Eine davon ist die des Puppenfabrikanten Albert Langbein. In "Wo wir Kinder waren" erzählt die Leipziger Autorin Kati Naumann die Geschichte der Langbeins und ihrer Fabrik über vier Generationen hinweg bis in die Gegenwart. Ein Roman, der auch von der eigenen Familiengeschichte inspiriert wurde. Denn Kati Naumann wuchs in den 1960er- und 70er-Jahren zum Teil bei ihren Großeltern in Sonneberg auf.

"Also Sonneberg ist für mich das Paradies gewesen. Das muss ich wirklich sagen. Zum einen hatte ich unglaublich liebe, herzliche und kluge Großeltern. Dann dieser magische Wald, der die Stadt umgibt und dieses allgegenwärtige Spielzeug, das in der Stadt überall zu merken ist. Da hat eigentlich aus jeder Familie jemand in der Spielzeugindustrie gearbeitet. Und hinter dem Haus meiner Großeltern stand eine stillgelegte Puppenfabrik, die mal im Besitz meiner Familie war. Das hat schon immer meine Fantasie sehr beschäftigt."

Kati Naumann, Autorin

Der 1. Weltkrieg, der Boom der 1920er-Jahre, die Hyperinflation, die Nazizeit, der 2. Weltkrieg, der Wiederaufbau danach, die deutsche Teilung, das Leben und Arbeiten im Sperrgebiet an der Grenze, die Verstaatlichung der Betriebe in der DDR, der Fall der Mauer, der Niedergang der Spielwarenindustrie danach. All das erzählt Kati Naumann in ihrem Roman anhand der fiktiven Familie Langbein. Als studierte Museologin hat sie intensiv in Archiven recherchiert und viele Zeitzeugen befragt.

"Diese Geschichte ist gerade in ihren Anfängen sehr an meiner Familiengeschichte orientiert. Das war für mich sehr hilfreich. Denn über 1910 kann ich ja niemanden mehr befragen, wie es damals gewesen ist. Ich habe mich an viele Dinge erinnert, die mir meine Oma erzählt hat. Und ich habe einen richtigen Familienschatz gehoben mit alten Geschäftsbüchern, Gegenständen, Dokumenten und Briefen vor allem, die ganz viel überliefern aus dieser Zeit. Und daran habe ich mich auch orientiert beim Schreiben bis zu einem gewissen Punkt. Dann hat sich die Geschichte aber gelöst von meiner Geschichte."

Kati Naumann, Autorin

Wie schon in ihrem Vorgängerroman "Was uns erinnern lässt", erzählt Kati Naumann diesen thüringisch-fränkischen Roman auf zwei Erzählebenen. Einer historischen, die chronologisch Episoden aus der Geschichte der Familie Langbeins beschreibt, und einer gegenwärtigen, in der die zerstrittenen Urenkel Eva und Jan aus Sonneberg und Iris aus Neustadt bei Coburg, das marode Stammhaus der Familie und die alte Fabrik ausmisten. Abwechselnd werden Gegenwart und Vergangenheit in einzelnen Kapiteln gegeneinander geschnitten, wodurch die Geschehnisse einen unglaublichen Sog beim Lesen entwickeln und die Zeitebenen sich gegenseitig spiegeln.

"Alles, was wir heute sind und was wir heute tun, resultiert ja aus dem, was in der Vergangenheit passiert ist. Und ich finde es spannend, dass ich beim Schreiben die Möglichkeit hatte, dies so direkt und unmittelbar zu vergleichen. Wir als Leser erfahren Dinge, die Menschen in der Vergangenheitsebene nicht erfahren können. Aber wir sehen im Prinzip die Konsequenzen, die aus dem Handeln von früher entstehen. Und das finde ich immer sehr spannend."

Kati Naumann, Autorin

Info & Bewertung

Wertung: 5 Frankenrechen von 5 | Bild: BR

Kati Naumann: "Wo wir Kinder waren", Hamburg 2021, HarperCollins Verlag, 496 Seiten, 20,00 Euro, ISBN 978-3-7499-0000-8

Mit "Wo wir Kinder waren" ist Kati Naumann ein ebenso unterhaltsames wie informatives Buch über die Spielwarenherstellung und die deutsch-deutsche Geschichte geglückt. Eine gelungene Mischung aus Familienroman, historischem Roman und Wirtschaftsroman. Das ist süffiger, teilweise spannender Lesestoff, bei dem man eine ganze Menge lernen kann.


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