Franken - Buchtipps


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Kati Naumann Was uns erinnern lässt

"Was uns erinnern lässt" spielt im ehemaligen deutsch-deutschen Grenzgebiet zwischen Coburg und Sonneberg am Rennsteig. Der Roman beschreibt das Leben einer Familie im ehemaligen Grenzstreifen an der Mauer – immer mit Blick in den Westen nach Oberfranken.

Von: Dirk Kruse

Stand: 15.05.2019 | Archiv

Buchtippp: Kati Naumann "Was uns erinnern lässt" | Bild: BR

Milla aus Coburg ist Mitte dreißig, alleinerziehende Mutter eines 14-jährigen Sohnes und inszeniert ihr Leben in den sozialen Medien als aufregend. In Wahrheit ist die Anwaltssekretärin aber ziemlich einsam. Sie besucht gern einsame Orte wie Burgruinen, verlassene Kasernen oder verfallene Häuser, sogenannte Lost Places. Im Thüringer Wald in der Nähe des Rennsteigs, dort wo früher die Grenze zwischen Oberfranken und der DDR verlief, entdeckt sie einen verlassenen Ort, den vor ihr noch keiner gefunden hat. Den Keller im Fundament eines abgerissenen Hotels.

"Obwohl das Haus darüber amputiert worden war, lebte der Keller noch. In verschlossenen Vitrinen reihte sich Geschirr aneinander. Milla öffnete eine der Glastüren. Das Porzellan fühlte sich kalt an. (…) Sie fand Unmengen dunkel angelaufener Silberbestecke, stockfleckige Leinentücher und silberne Serviettenringe."

Zitat aus dem Roman 'Was uns erinnern lässt'

Geschichte ist Teil der eigenen Biografie

Und Milla findet eingemachtes Obst von 1977 und einen Stapel Diktathefte aus demselben Jahr. Darin schreibt eine 14-jährige Jungpionierin namens Christine Dressel, wie sie sich das Jahr 2000 vorstellt. Nichts davon ist eingetroffen. Milla macht diese Christine tatsächlich in Sonneberg ausfindig. Die beiden ungleichen Frauen befreunden sich miteinander und sie erfährt, dass Christine mit ihrer Familie im ehemals mondänen Hotel Waldeshöh gelebt hat. In der Sperrzone direkt an der Grenze hinter Stacheldraht, die nur mit einem Passierschein betreten werden durfte. 1977 wurde die Familie in einer Nacht- und Nebelaktion zwangsumgesiedelt und in einen Plattenbau bei Bitterfeld verfrachtet. Nun versucht Christine mit Millas Hilfe den enteigneten Besitz zurückzubekommen und das Trauma der Vertreibung zu verarbeiten.

"Diese beiden großen Themen des Romans der Thüringer Wald und das Sperrgebiet sind Teile meiner eigenen Biographie. Ich bin als Kind große Teile meiner Zeit bei meinen Großeltern im Thüringer Wald gewesen. Die haben damals in Sonneberg gewohnt, das zum Sperrgebiet gehört hat. Deshalb ist das immer ein Thema gewesen, das mir vertraut war und zu dem ich schon lange etwas schreiben wollte."

Kati Naumann, Autorin

Die Geschichte zweier Schicksale

Kati Naumann, die Autorin des Romans "Was uns erinnern lässt", erzählt die Geschichte an der ehemals hochgesicherten thüringisch-oberfränkischen Grenze in zwei Erzählsträngen. Man erfährt nicht nur von Millas und Christines wachsender Freundschaft, in der die eine lernt, Erinnerungen anzunehmen und die andere, sie loszulassen. Jedes zweite Kapitel behandelt das Leben der Familie Dressel, vom Ende des 2. Weltkrieges bis zur traumatischen Zwangsumsiedlung 1977. Von Zeiten der Zuversicht, das Hotel im Wald wiedereröffnen zu können, bis zu den zunehmenden Schikanen des DDR-Regimes und der Grenzsoldaten.

"Ich finde, dass die Vergangenheit extrem starke Auswirkungen auf unsere Gegenwart hat. Das ist so interessant an diesen Themen, dass wir heute von dem geprägt und beeinflusst werden, was unseren Eltern passiert ist und was unseren Großeltern passiert ist. Und deshalb habe ich diese beiden Stränge gebraucht, um zu zeigen: Was macht das mit den Menschen heute? Wie verändert es nicht nur die, die es erlebt haben, sondern auch die Nachkommenden? Die sind ja von ihren Eltern so erzogen, dass sie auch dieses Gefühl noch in sich tragen und weitergeben."

Kati Naumann, Autorin

Schicksal ist exemplarisch für viele Familien

Die Familie Dressel ist fiktiv. Aber ihr Schicksal ist exemplarisch für viele Familien, die direkt hinter der Grenze im Sperrgebiet gelebt haben. Kati Naumann hat dafür viel in Archiven recherchiert und Zeitzeugen gefunden, die ihr von ihrem Schicksal erzählt haben.

"Es ist nicht so leicht gewesen, weil gerade die Zwangsaussiedlungen ein großes Trauma sind, das Menschen eigentlich heute noch begleitet. Es war eine Vertrauenssache jemanden zu finden, der mir seine Erinnerungen, auch schlimme Erinnerungen, anvertraut. Ich habe aber noch Freunde in der Gegend, die mir Kontakte vermittelt haben und so ist das zustande gekommen."

Kati Naumann, Autorin

Info & Bewertung

Wertung: 5 Frankenrechen von 5 | Bild: BR

Kati Naumann: "Was uns erinnern lässt", Hamburg 2019, HarperCollins Verlag, 416 Seiten, 20,00 Euro, ISBN 978-3-95967-247-4

"Was uns erinnern lässt" ist ein großartiger Familienroman über die deutsch-deutsche Geschichte und die Wunden, die die Diktatur bis heute in den Menschen angerichtet hat. Fundiert recherchiert, packend erzählt, einfühlsam, berührend und informativ. Ein Roman über Heimat und Herkunft im besten Sinne, der einen unglaublichen Sog beim Lesen erzeugt und den man bereichert wieder aus der Hand legt.


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